München 72

Ein Trauerspiel

Olympische Spiele in München 1972: Die Erinnerung will nicht verblassen, die Bilder wollen nicht verbleichen, die Wunden nicht heilen. Foto: picture alliance / dpa

Die Olympischen Spiele in München 1972 sollten ein Fest der Freude und des Friedens werden. Sie starteten als heiteres Sportspektakel und endeten als todtrauriges Massaker. Die Erinnerung will nicht verblassen, die Bilder wollen nicht verbleichen, die Wunden nicht heilen. Die seelischen Narben halten das Geschehen fest und eitern immer noch. Als stumme Zeugen erinnern sie an das traumatische Geschehen, das ein Leben lang im Gedächtnis der Zeitzeugen haften bleiben wird.

Ich habe noch heute das tiefe, dumpfe Knarren der Helikopter im Ohr und sehe, wie sie am Münchner Himmel vorbeiziehen. Damals war meine Hoffnung ebenso groß wie naiv, der Spuk möge schnell vergehen und das Gute siegen.

Schock Am Abend des 4. Septembers war die Welt noch in Ordnung, der Jubel riesig, die Stimmung grandios. Die 16 Jahre alte Ulrike Meyfarth war im Fosbury-Flop der Konkurrenz davongesprungen, und Mark Spitz, der jüdische Superheld, holte in München einen Weltrekord nach dem anderen. So grenzenlos die Freude war, so unendlich war der Schock, der die Welt am frühen Morgen des schicksalhaften 5. September ereilte.

Es hieß, Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe »Schwarzer September« hätten das schlafende Olympiadorf erstürmt und würden die israelische Sportmannschaft als Geiseln festhalten. Niemand ahnte, dass 36 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen unter dem Hakenkreuz Juden von palästinensischen Terroristen zu Freiwild erklärt und zum Abschuss freigegeben werden würden.

Meine Hoffnung war so groß wie naiv, der Spuk möge schnell vergehen und das Gute siegen.

Ihre Forderung nach Freilassung von 233 inhaftierten Palästinensern, eines japanischen Terroristen sowie der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof war nur ein Puzzleteil in ihrem selbstgerechten Kampf gegen Israelis und Juden. Damals wie heute heiligten die Mittel den Zweck. Die Fatah unter Führung von Jassir Arafat im Verbund mit der marxistisch-leninistischen »Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas« (DFLP) fanden in der linksextremistischen RAF, aber auch bei den Neonazis, Brüder und Schwestern im Geiste.

Der mörderische Hass auf »Juden, Zionisten und Imperialisten« bildete den Knotenpunkt, bei dem scheinbar konträre, totalitäre Ideologien sich trafen. Auf der Zielgeraden wurde man sich schnell einig, die israelischen Repräsentanten des zionistischen Staates zu ermorden. Für die Terroristen von damals wie von heute bildet Israel, der Zufluchtsort der Schoa-Überlebenden, einen angeblich imperialistischen, rassistischen Brückenkopf.

Dass das Schicksal einen derart katastrophalen Verlauf nahm, war kein Zufall. Es war vielmehr das Ergebnis eines kollektiven Versagens aufseiten der Bundesregierung und des Bundesnachrichtendienstes, des Olympischen Komitees sowie des Freistaats Bayern und der Sicherheitsbehörden.

KUGELHAGEL Akten belegen, wie sehr es der Polizei an allem fehlte: Es gab kein schlüssiges Sicherheitskonzept, keinen professionellen Krisenstab, keinen Einsatzplan mit klarer Zuordnung von Verantwortung und Entscheidung, keine solide Ausrüstung und Bewaffnung. Das Bild von Polizisten ohne Helm in Trainingsanzügen bei der Erstürmung des Olympiadorfes ging um die Welt. Die Attentäter konnten ihr hilfloses Heranrücken und Zurückweichen am Fernseher live beobachten.

Der Weg in die Katastrophe war vorgezeichnet. Die Verantwortlichen hatten sich damals dazu entschlossen, die Warnzeichen aus dem Bewusstsein zu verbannen und die reale Gefahr eines Anschlags auf deutschem Boden nicht zur Kenntnis zu nehmen. So hatten arabische Terroristen am Flughafen München-Riem im Februar 1970 vergeblich versucht, eine EL-AL-Maschine zu entführen. Drei Tage später erfolgte der Brandanschlag auf das jüdische Altersheim in der Reichenbachstraße, der bisher unaufgeklärt blieb.

Erschwerend hinzu kam die Selbstüberschätzung der überforderten Polizei, die glaubte, alle Geiseln befreien zu können. Deutschland war zu jenem Zeitpunkt mehr damit beschäftigt, die braunen Schatten der Olympiade von 1936 hinter sich zu lassen und der Welt eine grandiose, perfekt organisierte Show zu bieten, als die Möglichkeit eines Anschlags durch Palästinenser auf deutschem Boden anzuerkennen.

DACHAU Als der damalige Regierungssprecher Conrad Ahlers erleichtert der erstarrten Welt feierlich verkündete, wie »glücklich und gut« die Befreiungsaktion verlaufen war, atmete die Welt auf. Schnell erwies sich die frohe Botschaft als tragischer Irrtum epochalen Ausmaßes: Bei der chaotischen Befreiungsaktion am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck wurden neun israelische Sportler sowie ein Polizist ermordet. Fünf der acht Attentäter starben im Kugelhagel, mehrere Personen wurden schwer verletzt.

Fünf Tage zuvor hatte das israelische Olympiateam anlässlich seines Besuches des Konzentrationslagers Dachau noch einen Kranz in Erinnerung an die ermordeten Häftlinge niedergelegt. Wenig später waren sie selbst tot.

Die Bundesregierung und der Freistaat Bayern taten alles, um in den Königsdisziplinen Vergessen, Verdrängen, Verleugnen den Sieg zu erringen. Gemeinsam wiesen die politisch Verantwortlichen jeden Fehler und jedes Versäumnis weit von sich und hofften durch Nachgiebigkeit den Rechtsstaat vor Erpressung zu schützen.

Der Ansatz der Bundesregierung wirkt bürokratisch, ihr Vorgehen kleinteilig, ihre Angebote unwürdig.

Auch Avery Brundage, ein Sport-Antisemit par excellence, tat das, was er bereits 1936 anlässlich der Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen und der Sommerolympiade in Berlin erfolgreich praktiziert hatte: wegschauen, weghören, nicht wissen wollen. Als Bewunderer Hitlers und Sympathisant des Nationalsozialismus wollte Brundage bei seinem Besuch in Nazi-Deutschland kurz vor der Olympiade die Diskriminierung von Juden im Alltag und im Sport nicht als Übel erkennen. Er stemmte sich gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in Nazi-Deutschland. 36 Jahre später, als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sprach Brundage erhobenem Hauptes und nur Stunden nach dem Ende des Anschlags auf die israelische Mannschaft den wohl schäbigsten, umstrittensten Satz der Sportgeschichte aus: »The games must go on.«

Die Spiele wurden für 34 Stunden unterbrochen, dann gingen die Funktionäre zum Tagesgeschäft über, und das, obwohl sich viele Menschen angewidert von den Spielen abwandten. Selbst 40 Jahre später, anlässlich der Sommerolympiade in London 2012, verweigerte der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge den israelischen Angehörigen eine Gedenkminute während der Eröffnungsfeier. Die solle schließlich von Fröhlichkeit und Feierlichkeit geprägt sein und nicht von Trauer, wurde Rogge damals zitiert.

AUFKLÄRUNG Die schreckliche Vergangenheit des Olympia-Attentats wirft auch heute noch einen langen Schatten, aus dem die deutsche Regierung offensichtlich nicht willens ist herauszutreten. Stattdessen hüllt sie sich weiter eisig in Schweigen, wenn es etwa um die lückenlose Aufdeckung der unsäglichen Kooperation zwischen der nachgiebigen, erpressbaren Bundesregierung unter Willy Brandt und der terroristischen »Palästinensischen Befreiungsorganisation« PLO geht.

Ebenso ungeklärt bleibt, warum Mohammed al-Safadi und Jamal al-Gashey, zwei der drei überlebenden Attentäter, bis zum heutigen Tag nicht vor einem deutschen Gericht zur Verantwortung gezogen wurden. Ihr Aufenthaltsort ist den deutschen Behörden seit langem bekannt.

Auch die Rolle des damaligen Schatzmeisters der PLO, in dessen Verantwortung es lag, die Terroraktionen zu finanzieren, ist bekannt. Es handelt sich um den amtierenden Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Der wurde jüngst mit allen Ehren im Kanzleramt in Berlin empfangen.

EINIGUNG Der gegenwärtigen Bundesregierung, wie auch der vergangenen ist die kaltherzige Haltung gegenüber den Angehörigen der ermordeten Sportler anzulasten. Ihr Ansatz wirkt bürokratisch, ihr Vorgehen kleinteilig, ihre Angebote unwürdig. Es heißt, die Bundesregierung sei um eine Lösung bemüht. Tatsache bleibt, die »vertrauensvollen Gespräche« zwischen den
Angehörigen der Ermordeten und der Bundesregierung brachten monatelang keine Einigung.

Dass die Verhandlungen derart in die Länge gezogen wurden, ist beschämend und schadet dem Ansehen Deutschlands. Die Opfer-Angehörigen haben solch ein unwürdiges Ringen um eine sogenannte finanzielle Entschädigung oder »Wiedergutmachung« nicht verdient. Ludwig Spaenle, der unermüdliche und unerschrockene Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, traf den Nerv der Angehörigen, als er von einem »Staatsversagen erster Ordnung« sprach. Was für ein unwürdiges Trauerspiel.

Der Autor ist Psychologe, Publizist und Coach. Er berät Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik.

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