Zehntausende Juden weltweit wollen beim »Shabbos Project« mitmachen und gemeinsam den kommenden Schabbat halten, vom 24. bis zum 25. Oktober, Freitag- bis Samstagabend, nach allen Regeln der Halacha. Ohne Auto und Arbeit, ohne Hast und Handy. Es soll bereits Teilnehmer in 33 Ländern und 212 Städten geben – und täglich werden es mehr.
Die Initiative kommt aus Südafrika. Oberrabbiner Warren Goldstein startete das Projekt im vergangenen Jahr, als er Juden in seinem Land dazu aufrief, gemeinsam den wöchentlichen Ruhetag zu erleben. Das Ganze ist inzwischen zu einer weltweiten Aktion geworden. Wer sich daran beteiligt, könne jüdischen Stolz und Identität sowie jüdische Einheit in der ganzen Welt erfahren. Zudem werde das Familien- und Gemeindeleben gestärkt, verspricht Rabbiner Goldstein.
initiative Zahlreiche prominente Unterstützer hat die Initiative gewonnen, die Schauspielerin Maureen Lipman oder den Singer-Songwriter Alex Clare zum Beispiel. Auch die amerikanische Sängerin Paula Abdul wird mit dabei sein. Sie verrät in einem YouTube-Video, dass der Schabbat ihr persönlicher »Club Med« sei, in dem sie wieder zu sich kommen könne.
Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar weitere Gründe nennen, warum dieser Tag – nicht nur beim »Shabbos Project« am kommenden Wochenende – eine besondere Magie hat. Natürlich, als Rabbiner muss ich betonen, dass es eine Vorgabe der Tora ist, den Schabbat zu halten. Einerseits ist es unsere jüdische Pflicht, die wir befolgen müssen. Andererseits ist es auch eine Empfehlung, die nicht nur für uns gilt.
Heutzutage verdienen viele Allgemeinmediziner und Psychologen ganz gut daran, ihren Patienten den Schabbat zu verschreiben: einfach mal nicht hetzen, auch mal zu Fuß gehen, nicht rauchen, langsam und ohne Ablenkung essen, nachhaltig und bewusst den Tag erleben, sich mit Spiritualität beschäftigen. Wenn man das regelmäßig anwendet, also einmal pro Woche, ist es ein Patentrezept und probates Mittel gegen Stress und Burn-out – ganz ohne Nebenwirkungen.
auszeit Nun gibt es viele Menschen, die sich zwar einen freien Tag gönnen, diesen aber lediglich als Auszeit von der eigentlichen beruflichen Tätigkeit verstehen. Sie haben in der sogenannten Freizeit manchmal sogar mehr Stress als bei der Arbeit. Dann stehen sie im Stau auf der Autobahn oder in der Schlange an der Kaufhauskasse, wollen partout noch diese eine dringende Sache erledigen, hetzen von hier nach dort.
Wann kommen wir wirklich zur Ruhe, wann haben wir Gelegenheit, in uns zu gehen? Wann können wir uns ungestört von Anrufen und E-Mails unserer Familie und unseren Freunden widmen? Immer piepst, klingelt oder leuchtet irgendetwas. Eigentlich sollten uns Smartphones, Tablets und Notebooks helfen, Zeit zu sparen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie rauben Zeit. Die Arbeit ist inzwischen nicht mehr nur auf den Arbeitsplatz beschränkt. Wir erledigen Telefonate auf dem Heimweg, checken dienstliche Mails nach Feierabend, kommunizieren mit Kollegen über Twitter und Facebook auch am Wochenende. Wir sind rund um die Uhr erreichbar, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche.
Das ist nicht gesund. Und ebenso ungesund ist, dass wir – immer online – Gefahr laufen, den Bezug zum Leben außerhalb des Virtuellen zu verlieren. Spielern eines beliebten Onlinespiels werden sogenannte Tipps des Tages gegeben. Einen fand ich besonders interessant: »Vergiss nicht, dass du noch ein reales Leben hast!«
präsenz Die ständige Präsenz der Technik, schreibt die Medienunternehmerin Arianna Huffington in ihrem neuen Buch Die Neuerfindung des Erfolgs, macht es unserem Gehirn sehr schwer, sich zu regenerieren. Ein durchschnittlicher Smartphone-Nutzer prüfe etwa alle 6,5 Minuten, ob neue Nachrichten gekommen sind, also 150-mal am Tag. Unser Gehirn sei von Natur aus so geschaltet, dass es nach Verbindung strebt, daher sei es nicht einfach, sich diesen Stimuli zu entziehen.
Doch die Verbindung durch Technologie sei oft nur die Ersatzversion einer echten Verbundenheit mit anderen Menschen. Und unser Wunsch nach unbegrenzter Information und ständiger Erreichbarkeit schaffe, so Huffington weiter, einen Stau »zwischen uns und unserem Ort der Erkenntnis und des Friedens«.
Ihre Empfehlung: eine zeitweilige Trennung von der digitalen Welt, innehalten, sich von E-Mails, Kurznachrichten und Playlists freimachen, um ganz in der realen Welt präsent zu sein. Ich stimme dem uneingeschränkt zu und ergänze dies noch um die rabbinische Empfehlung, die Sie schon kennen: Halten Sie den Schabbat!
Hier finden wir einmal in der Woche Ruhe und Gelassenheit, es ist unser Ort der Erkenntnis und des Friedens, Zeit für uns selbst und für andere. Und das nicht online, sondern ganz real. Ein Tag offline, das ist wahre Freiheit. Das schafft, wie es der Tel Aviver Oberrabbiner Israel Meir Lau einmal formulierte, eine Insel in der Zeit. Ein Tag, so Lau, der auf geistige Dinge ausgerichtet ist, deren Abglanz auch noch in der Woche nachschimmert. Das kommende Wochenende mit dem »Shabbos Project«, das am Freitagabend beginnt, wäre genau der richtige Anlass, dies einmal auszuprobieren.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.