Pessach

Ein süßes Stück Zement

Das Leckerste an Pessach ist Charosset. In jeder jüdischen Gemeinschaft wird diese Süßspeise anders hergestellt, doch überall symbolisiert sie den uralten, in Ägypten verwendeten »Zement«. Charosset steht kulinarisch für die Mischung aus Lehm, Stroh und Kuhmist, aus der in der Sklaverei Hütten und Paläste gebaut wurden. Um daran zu erinnern, wird zu Pessach eine bräunliche Masse aus Datteln, Früchten, Zimt, Nüssen, Mandeln, Ingwer und Wein gestampft und dann löffelweise in einem frischen zusammengefalteten Salatblatt gereicht.

Die Süße soll den Optimismus während der Fronarbeit andeuten, und die Zimtstangen symbolisieren das Stroh, mit dem der Lehm beim Bau der Paläste des Pharao vermischt wurde. Auch mit dem biblischen Hohelied Salomons assoziierten die Rabbiner das Charosset. Darin wird die Geliebte besungen mit der Erwähnung von Früchten des Heiligen Landes: Granatäpfel, Feigen, Datteln oder Äpfel. So verbinden die Zutaten des Charosset die Juden mit dem Land Israel.

diaspora Die Zahl der Variationen dieses im Grunde einfachen Gerichts sind unendlich. Die Juden in China, Indien, Kurdistan, Russland, Polen oder rund um das Mittelmeer ließen ihrer Fantasie freien Lauf, um den süßen »Lehmziegel« mit getrockneten Früchten, Feigen, Portwein, Pistazien und Aprikosen zu bereichern. Es war nicht nur Fantasie, es sind auch die sehr unterschiedlichen landwirtschaftlichen Bedingungen, die dafür sorgen, dass die Paste mal hellbraun, mal dunkelbraun schimmert und immer sehr unterschiedlich schmeckt.

Für die amerikanische Kochbuchautorin Joan Nathan erzählt gerade Charosset »die Geschichte der Diaspora, das Wandern des jüdischen Volkes«. Mit Vorliebe sammelt Nathan Charosset-Varianten, um herauszufinden, wie Juden in unterschiedlichen Ländern gelebt haben. Die Vielfalt, von der Nathan spricht, findet sich in unzähligen Kochbüchern der Diaspora-Küche.

Varda Schiloh etwa bietet in ihrem Buch Kurdisches Kochen gleich zwei Rezepte für Charosset: In dem einen wird gewärmter Dattelhonig mit gerösteten und gemahlenen Erdnüssen, Walnüssen und Mandeln und einem Teelöffel Kardamom vermischt. In ihrem zweiten Rezept kommen noch zerkleinerte Sesamkörner hinzu.

jemen In das jemenitische Charosset werden laut Avschalom Misrachi in Jemens Küche ganze 13 Zutaten gemischt: Ingwer, Kardamom, Nelke, Kreuzkümmel, Granatkerne, Rosinen, Nüsse, Datteln, Äpfel, gerösteter Sesam, Mandeln, schwarzer Pfeffer und Zimt. Die ziemlich feste Paste wird dann mit Rosinensaft, Essig oder Rotwein verdünnt. Der Wein symbolisiert die erste Plage in Ägypten, das Blut.

In den vielen verwendeten Gewürzen spiegelt sich die historische Situation des Jemen, der schon in der Antike ein Handelszentrum für Gewürze war, auch bedingt durch seine geografische Position nahe Indien, Arabien und Europa.

Susan Weingarten von der Universität Tel Aviv hat mehr als 60 verschiedene Charosset-Rezepte, die aus verschiedenen Jahrhunderten stammen, gesammelt. Eine biblische Erwähnung gibt es für Charosset nicht, aber Weingarten berichtet, dass es in einem Mischna-Traktat auftaucht. Dort wird Charosset aber nur bezüglich seiner Funktion und seiner Symbolik beschrieben, über seine Bestandteile oder seinen Geschmack findet sich dort nichts.

diaspora Wie beliebt Charosset in der gesamten Diaspora ist und war, belegt ein 2010 auf Hebräisch und Spanisch erschienenes Kochbuch: Gizar kon gozo, in der hebräischen Ausgabe heißt es übersetzt: »gekocht mit Ladino-Geschmack«. Die Sammlung ist nicht wie üblich gemäß Vorspeise, Hauptgericht und Dessert geordnet, sondern nach Ländern, in die es Juden verschlagen hat: Türkei, Griechenland Bulgarien, Rumänien, Italien, Marokko oder Spanien, aber auch Jersusalem.

Das Charosset aus Izmir in der Türkei bestand nur aus vier gekochten Äpfeln, Nüssen und relativ wenig Datteln, liest man dort und erfährt: »Man kann auch Zucker hinzufügen«. Im griechischen Saloniki wurden gehäutete Mandeln, Nüsse, Sultaninen, Datteln, Äpfel, Orangenschale und -saft sowie zwei Löffel Honig verarbeitet.

Im bosnischen Sarajewo hingegen kommen anstelle von Orangen eher Zitronen und etwas Zimt in das Charosset. Und in Venedig gehören neben Äpfeln auch Birnen und getrocknete Pflaumen dazu.

Ein sehr dickes Kochbuch mit den Aromen von Aleppo hat die Amerikanerin Poopa Dweck geschrieben. So hat sie die untergegangene kulinarische Kultur der berühmtesten jüdischen Gemeinde Syriens dokumentiert. Hier ist das Charosset sehr einfach und besteht nur aus Datteln, Rotwein, Zimt und Walnüssen.

marokko Die marokkanischen Juden, in Israel bekannt für ihre üppige Küche, rösten und mahlen Mandeln, Walnüsse, Datteln und Rosinen zu einem Püree. Dem mengen sie Muskat, Zimt und Nelke bei und rollen daraus kleine Bälle, die sie in süßen Rotwein tunken, der mit gemahlenem Ingwer gewürzt ist.

In Paskal Peretz-Rubins Speisen Israels sind gleich zehn verschiedene Rezepte für Charosset wiedergegeben, aus Persien, Algerien, Irak, Bulgarien, Ägypten und auch von den Aschkenasim aus Deutschland. Ganz anders als die bisherigen Rezepte der weltweiten jüdischen Diaspora ist das deutsche Rezept. Mangels Datteln und anderer Köstlichkeiten wirkt es mit folgenden Zutaten sehr bieder: Äpfel, Mandeln oder andere Nüsse, Rosinen, Zimt, süßer Rotwein, und Kartoffelmehl.

Datteln ersetzen zu müssen, wie es in Deutschland lange Zeit Usus war, ist in anderen Teilen der jüdischen Welt undenkbar. »In Qumran, in der Nähe des Toten Meeres«, schreibt Joan Nathan, »sah ich eine 2.000 Jahre alte Steinpresse, in der Datteln erhitzt und zu einer Art Honigextrakt gestampft wurden«.

Susan Weingarten berichtet, dass es im Jerusalemer Talmud im vierten oder fünften Jahrhundert eine Diskussion gab, ob Charosset »so dick wie der Lehm für die Ziegel oder so flüssig wie Blut sein sollte«. Zum Glück für die jüdische Küche entschieden die babylonischen Richter, dass es auf der Grundlage von Datteln hergestellt werden sollte und schön dickflüssig sein sollte.

Berlin

Kühnert: »Sie geben das Ringen zunehmend auf« 

»Schützen wir das, was wir lieben, schützen wir unsere Demokratie«, appelliert der frühere SPD-Generalsekretär

von Leonie Asendorpf, Niklas Treppner, Theresa Münch  12.02.2025

Berlin

Wegner will Absage des Vortrages von Francesca Albanese

Die FU Berlin müsse nun »ein klares Zeichen gegen Antisemitismus setzen«, sagt der Regierende Bürgermeister

 12.02.2025

Diskussion

»Die kommenden vier Jahre sind entscheidend«

Im neuen Talkformat »Tachles Pur« analysierten vier Hauptstadtjournalisten Positionen der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl

von Ralf Balke  11.02.2025

Berlin

Gedenkort für früheres jüdisches Altenheim gefordert

Die Einrichtung stand dort, wo sich heute das Haus der Statistik befindet

 11.02.2025

Madrid

Der Likud bandelt mit den »Patrioten für Europa« an

Die Netanjahu-Partei erhält bei der rechten europäischen Sammlungsbewegung Beobachterstatus, FPÖ-Chef Kickl jubelt über das Ende der »internationalen Isolation«

von Michael Thaidigsmann  11.02.2025

Leer/Hamburg/Berlin

Trotz Steinmeier-Appell: Schoa-Überlebender gibt Orden zurück

Albrecht Weinberg wird sein Bundesverdienstkreuz zurückschicken – aus Protest gegen das Vorgehen der CDU im Bundestag. Weder der Bundespräsident, noch der CDU-Chef konnten ihn offenbar umstimmen

 11.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025

FU Berlin

Francesca Albanese soll an der FU Berlin sprechen

Nach der Absage an der LMU München soll die UN-Sonderbeauftragte nun in der Hauptstadt sprechen

 10.02.2025

München

»Die AfD ist die stärkste Bedrohung für jüdische Menschen in Deutschland«

Charlotte Knobloch äußert sich zum Vorgehen der Union Woche im Bundestag. Die AfD hatte zusammen mit CSU/CSU und FDP für eine Verschärfung des Asylrechts gestimmt

von Imanuel Marcus  10.02.2025