Frau Ministerin, am Montag wurde Zsolt Balla als Militärbundesrabbiner ins Amt eingeführt. Erstmals seit der Schoa zieht wieder ein Rabbiner eine deutsche Militäruniform an. Ein historischer Moment?
Ich freue mich, dass nach einigen Monaten der Vorbereitung die jüdische Militärseelsorge mit der Amtseinführung des Militärbundesrabbiners nun ein Gesicht erhält und für die Soldatinnen und Soldaten greif- und erlebbar wird. Jüdinnen und Juden sind ein selbstverständlicher Teil Deutschlands. Die Erweiterung der Militärseelsorge in der Bundeswehr ist ein wichtiger Schritt der Wertschätzung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens in den Streitkräften. Die Angehörigen der jüdischen Militärseelsorge werden allerdings ausschließlich als zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung tätig sein. Dies gilt auch für den Militärbundesrabbiner, der wie die Militärbischöfe der Evangelischen und Katholischen Militärseelsorge kein Angehöriger der Bundeswehr ist.
Ihr Ministerium spricht von etwa 300 Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens. Wie kommt die Bundeswehr auf diese Zahl? Die Angabe der Glaubenszugehörigkeit ist ja freiwillig.
Religion ist Privatsache. Soldatinnen und Soldaten geben außerhalb ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Kirchensteuer ihre Glaubenszugehörigkeit nur auf freiwilliger Basis an. Für die Protestanten und Katholiken führt die Bundeswehr Kirchensteuer ab. Die Zahl der christlichen Bundeswehrangehörigen kann somit noch relativ genau bestimmt werden. Die Anteile anderer Konfessionen müssen geschätzt werden. Im Vorgriff auf den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden wurde zu diesem Zwecke ein internes Gutachten beauftragt. Die Zahl der jüdischen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr wird darin auf bis zu 300 geschätzt.
Inwiefern kann die jüdische Militärseelsorge ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und langfristig für mehr Verständnis für das Judentum in der Bundeswehr sorgen?
Mit der Einstellung von jüdischen Militärseelsorgern verbessern wir das seelsorgerische Angebot in der Bundeswehr und senden ein starkes Signal der Vielfalt, der Toleranz und der Glaubensfreiheit. Antisemitismus hat bei uns keinen Platz.
Das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) war jüngst wegen rechtsextremer Vorfälle im Gerede; die Wehrbeauftragte Eva Högl sprach von »fehlgeleiteter Führungskultur«, Sie haben eine Kompanie ganz aufgelöst. Reichen Ihnen die nun umgesetzten Reformen?
Ich habe entschieden, dass das reformierte Kommando Spezialkräfte (KSK) fortbestehen wird. Das KSK wurde seit dem 1. Juli 2020 von Grund auf neu organisiert. Die Tragweite der vorherigen Vorkommnisse, Verfehlungen und Defizite machten grundlegende Veränderungen erforderlich, um verkrustete Strukturen aufzubrechen und extremistischen Tendenzen dauerhaft den Nährboden zu entziehen. Im Verband hat durch die Reformen erkennbar ein positiver Wandel eingesetzt. Der überwiegende Teil der Soldatinnen und Soldaten trägt die Reformen mit und setzt diese aktiv um. Besonders wichtig für einen Weiterbestand des KSK war und ist, dass seit Beginn der Umsetzung der Reformen keine weiteren Verdachtsfälle für Rechtsextremismus aufgetreten sind. Wir werden den Kultur- und Mentalitätswandel weiter begleiten.
Wird der Militärbundesrabbiner künftig der Bundeswehrführung beratend zur Seite stehen, wenn es um die Bekämpfung antisemitischer Vorurteile unter Soldaten geht?
Dem Militärbundesrabbiner obliegt die religiöse Leitung der jüdischen Militärseelsorge. Die Militärseelsorge stellt vorrangig die seelsorgerische Betreuung der Angehörigen der Glaubensrichtungen in den Streitkräften sicher. Die Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner werden im Rahmen der Unterstützung beim lebenskundlichen Unterricht die Gelegenheit haben, mit Soldatinnen und Soldaten aller Glaubensrichtungen ins Gespräch zu kommen. Soweit ihnen dort antisemitische Vorurteile begegnen, erwarte ich, dass sie sich mit diesen auseinandersetzen. Dabei können sie sicherlich auch mit der Unterstützung durch den Militärbundesrabbiner rechnen. Auch die Bundeswehrführung wird das Gespräch mit dem Militärbundesrabbiner suchen.
Die Fragen an die Bundesverteidigungsministerin stellte Michael Thaidigsmann.