Daniil Granin ist eine stattliche Erscheinung. Auch mit seinen 95 Jahren wirkt er noch kräftig und beeindruckend. Am Montagnachmittag trat der Schriftsteller aus Russland im hellblauen Hemd und ohne Krawatte an das Rednerpult im Berliner Reichstag. Er war eingeladen, um als Hauptredner am »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« im Plenarsaal des Bundestags zu sprechen.
Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, und viele andere hörten der halbstündigen Rede Granins zu. Vor Granin hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) an das Leiden in der Schoa erinnert.
blockade In seiner Rede blickte Granin nicht nur auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 zurück. Seine Rede galt auch der Erinnerung an die 900-tägige Blockade Leningrads, die exakt ein Jahr zuvor, am 27. Januar 1944, zu Ende gegangen war.
»Nicht als Schriftsteller, sondern als Soldat«, sagte Granin, wolle er erinnern, und auch als jemand, der bis heute in St. Petersburg, dem damaligen Leningrad, lebe. Als Infanterist und Kommandant einer Panzereinheit der Roten Armee war Granin sowohl bei der Befreiung des KZ Auschwitz als auch bei der Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht dabei.
In eindrucksvollen Worten beschrieb er das Leiden der russischen Bevölkerung während der Blockade und des gesamten Krieges. Granin, der auch Mitautor des Blockadebuchs mit Erinnerungen und Zeugenbefragungen zur deutschen Belagerung ist, sprach davon, dass der Sieg der alliierten Armeen über den Nationalsozialismus ein Sieg war, »der gerecht war«.
zeitzeugen Der »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« wird in Deutschland seit 1996 begangen. Im vergangenen Jahr hatte die jüdische Publizistin Inge Deutschkron die zentrale Rede im Reichstag gehalten. Zuvor hatten der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki oder der israelische Staatspräsident Schimon Peres gesprochen. Auch nichtjüdische Schoa-Überlebende, wie etwa im Jahr 2011 der niederländische Sinto Zoni Weisz, waren als Hauptredner für das Erinnern an den 27. Januar eingeladen gewesen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert geleitete Daniil Granin nach dessen Rede aus dem Bundestag hinaus. Gemeinsam besuchten sie eine Veranstaltung mit den Teilnehmern der internationalen Jugendbegegnung, die jährlich zum 27. Januar veranstaltet wird.