Interview

»Ein riesengroßer Lernprozess«

»Was es gibt, ist der Anspruch, dass Betroffene gehört werden, und es gibt den Anspruch einer Sensibilisierung«: Anael Back (l.) und Luisa Neubauer Foto: Gregor Matthias Zielke

Frau Neubauer, Frau Back, Sie waren kürzlich auf dem Jugendkongress der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) zu Gast, einer der wichtigsten Tagungen für junge Juden hierzulande. Warum war es Ihnen wichtig daran teilzunehmen?
Neubauer: Als Klimabewegung verstehen wir uns auch als Katalysator für zivilgesellschaftliche Klimaenergie, wenn man das so sagen kann. Es ist ein Teil unserer Arbeit, andere darin zu ermutigen, sich zu überlegen, was ihre Rolle in der Klimakrise ist, wie sie sich einbringen wollen, wo sie sich darin positionieren. Es war sehr wichtig für uns, auf dem Jugendkongress zu sein, und wir haben uns selbstverständlich auch dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben.
Back: Ich kann mich da anschließen. Es ist einfach wichtig, dass wir jüdischen Menschen die Plattform geben, sich an uns zu richten, in den Austausch zu treten und so auch bewusst die Möglichkeit zu geben, Kritik an unserer Arbeit zu formulieren.

Kritik hat es von den Teilnehmern des Jugendkongresses auch gegeben. Die bezog sich unter anderem auf den internationalen Twitter-Account von »Fridays for Future« (FFF), der immer wieder mit israelfeindlichen Positionen auffällt. Fridays for Future Deutschland schrieb im Mai 2021, dass ein Tweet der internationalen Gruppe »antisemitische Inhalte verbreitet«, und distanzierte sich davon. Reicht bei einer solchen Diagnose eine Distanzierung noch aus?
Neubauer: Mehr als uns von einer Aussage zu distanzieren, können wir im ersten Moment nicht. Das machen wir praktisch nie. Das war ein großer und deutlicher Schritt.
Back: Ich würde sagen, eine Distanzierung reicht. Danach geht es darum, den Worten Taten folgen zu lassen. Besonders in der Situation, in der wir da waren, war das der bestmögliche Schritt, und es hat auch intern bei Fridays for Future Deutschland etwas ausgelöst. Es sind mehr Menschen auf Antisemitismus aufmerksam geworden. In der Folge wurde auch mehr darauf geachtet, jüdische Personen mehr einzubinden und sie miteinander zu vernetzen.

Es gab eine Aktivistin von Fridays for Future Deutschland, die eine ganz andere Konsequenz gezogen hat und wegen des nach ihrem Eindruck wachsenden Antisemitismus in der Bewegung von ihrer Position als Mitglied der »Sprecher*innen AG« zurückgetreten ist. Was halten Sie von diesem Schritt?
Back: Ich verstehe den Schritt grundsätzlich, weil man sich manchmal machtlos fühlt in den Strukturen und es manchmal schwierig ist, Kritik zu äußern. Aber ich glaube, bei Fridays for Future auszutreten, ist eine zu drastische Lösung. Ich merke, auch als Betroffene von Antisemitismus, als jüdische Person, dass es eine Entwicklung gibt bei Fridays for Future, die ich sehr schätze, wo ich froh bin, Teil davon zu sein. Das sollte auch so zur Kenntnis genommen werden.

Was genau ist bisher bei Fridays for Future Deutschland passiert, um auf den Judenhass in den eigenen Reihen zu reagieren?
Back: Es hat sich innerhalb von Fridays for Future eine Vernetzung von jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten gebildet, um Erfahrungen auszutauschen. Wo ist Antisemitismus vielleicht vorgekommen? Wo gibt es Punkte, wo jüdische Personen noch einmal gefragt werden sollten? Jetzt sind wir daran, eine Workshop-Reihe anzubieten, mit der wir den Ortsgruppen die Möglichkeit geben, sich über Antisemitismus zu bilden, sodass wir Vorkommnisse von Antisemitismus in Zukunft minimieren oder sogar eliminieren können.
Neubauer: An dieser Stelle müssen wir auch einmal feststellen, dass es nicht der Job einer Jugendbewegung sein sollte, diese Art der Bildungsarbeit zusätzlich selbst organisieren zu müssen. Es ist leicht, diesen Anspruch an selbst organisierte Strukturen wie unsere zu haben. Wir leben in einer strukturell antisemitischen Gesellschaft, in der alle gefragt sind, sich am Abbau dieser Form der Diskriminierung zu beteiligen. Wir machen und tun, und das zeigen wir auch, darüber sprechen wir auch. Gleichzeitig ist es wichtig, das immer als eine Notlösung herauszustellen. Eine Notlösung in einer Gesellschaft, in der die Klimakrise nicht angemessen angegangen wird, aber eben auch viele andere Dinge nicht. Das betrifft zum Beispiel die Antidiskriminierungsarbeit in vielerlei Hinsicht.

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Durch Ihr Engagement bei Fridays for Future wurden Sie mit recht komplexen Fragen des Nahostkonflikts und israelbezogenem Antisemitismus konfrontiert, Frau Neubauer. Hat Sie das auch ein bisschen überrumpelt?
Neubauer: Welche große internationale progressive Bewegung hat bisher damit einen Umgang gefunden, der für alle Beteiligten zufriedenstellend ist? Das Thema ist natürlich total viel für eine Jugendbewegung wie unsere, die jeden Tag mit der Klimakrise beschäftigt und eigentlich damit auch gut ausgelastet ist.

Auch in Deutschland gibt es Fridays-for-Future-Gruppen, die den Ansichten der internationalen Sektion nahestehen. Im September gab es etwa Kritik an Fridays for Future Bremen, nachdem ein Repräsentant der Initiative »Palästina Spricht« einen Redebeitrag auf ihrer Demonstration halten durfte. »Palästina Spricht« steht der antisemitischen BDS-Bewegung nahe und war an der Organisation von Demonstrationen beteiligt, bei denen es zu Antisemitismus gekommen ist. Was halten Sie davon, dass eine solche Gruppe bei FFF-Demos sprechen durfte?
Back: Wir haben bei Fridays for Future die Idee der Ortsgruppen-Autonomie, die wir auch so beibehalten werden. Wir finden es sehr wichtig, dass Ortsgruppen die Freiheit haben, zu entscheiden, was sie tun und lassen. Trotzdem muss so eine Situation natürlich aufgearbeitet werden. Bei uns laufen derzeit Gespräche darüber, wie wir israelbezogenem Antisemitismus entgegenwirken können.
Neubauer: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Bei Fridays for Future Bremen und in den Twitter-Beiträgen der internationalen Gruppe wird der Nahostkonflikt mit dem Klimawandel verknüpft. Dort macht man sich etwa den Slogan »Palestine is a climate justice issue«, zu Deutsch: »Palästina ist eine Klimafrage«, zu eigen. Für wie relevant halten Sie den Nahostkonflikt im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Klimawandel?
Neubauer: Ich glaube nicht, dass das die entscheidende Frage für uns ist. Die Verknüpfung ist da, das sehen wir auch. Da müssen wir in meinen Augen überhaupt keine Relevanz-Hierarchien aufmachen. Für betroffene Menschen und diejenigen vor Ort ist es natürlich ein riesiges Thema, und da sind wir gar nicht in der Position, darüber zu befinden, in welcher Hierarchie das im Verhältnis zu anderen Dingen steht.

Ich muss noch einmal nachhaken, weil es bei manchen Fridays-for-Future-Gruppen eine Obsession mit Israel zu geben scheint. Woher kommt die? Warum nicht etwa mit China, einem viel größeren CO2-Emittenten als Israel? Glauben Sie nicht, dass das unverhältnismäßig ist?
Neubauer: Ich nehme das nicht so wahr. Wir sind jeden Tag mit der Klimakrise beschäftigt, mit allen möglichen Kämpfen und übrigens auch mit den Fragen rund um China. Das nimmt einen Großteil unserer Arbeit ein.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, forderte unlängst, Fridays for Future solle die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernehmen. Wird das bei Ihnen diskutiert?
Back: Ja, wir haben schon vor einer Weile die IHRA-Definition aufgenommen. Sie ist bei Fridays for Future Deutschland die Arbeitsgrundlage dafür, wie wir Antisemitismus einschätzen und einordnen. Das ist ein wichtiger Schritt für die Bewegung.

Was muss noch getan werden, damit sich junge Juden angstfrei bei Fridays for Future engagieren können? Dass es Ängste gibt, haben junge Juden im Kontext der besagten Demonstration von Fridays for Future Bremen öffentlich geäußert …
Back: Das, was wir schon angesprochen haben: Bildungsarbeit. Dass Aktivisten bei uns sensibler für Antisemitismus werden, auch für ihren eigenen internalisierten Antisemitismus. Wir versuchen, die Bewegung so sensibel wie möglich dafür zu machen, aber auch für jede andere Diskriminierungsform, sodass wir möglichst ein »safe space« sind für Personen, die von jeglicher Art der Diskriminierung betroffen sind.
Neubauer: Es ist wichtig, da auch Erwartungsmanagement zu betreiben. Einen »safe space« zu haben und einer sein zu wollen, heißt ja nicht, dass es dann keine Diskriminierung mehr gibt. Das wäre weltfremd. Was es aber gibt, ist der Anspruch, dass Betroffene gehört werden, und es gibt den Anspruch einer Sensibilisierung. Das ist alles ein riesengroßer Lernprozess, an den wir selbstkritisch herangehen.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, in Zukunft weiter mit der jüdischen Gemeinschaft und jüdischen Organisationen im Einsatz gegen die Klima­krise zu kooperieren?
Neubauer: Wir arbeiten in Allianzen mit allen möglichen Akteuren zusammen. Ich bin evangelisch und habe viel Arbeit mit evangelischen Gemeinden gemacht, die dann zu Klimastreiks aufgerufen und überlegt haben, wie sie klimaneutral werden können. Das hat auch etwas mit der inhaltlichen Auseinandersetzung zu tun. Wie wird der eigene Glaube interpretiert, und wie kann man ihn in der Krise als Hoffnungsquelle nutzen? Ich war auch schon in ein, zwei jüdischen Gemeinden zu Gast und habe gesprochen, gerade mit jungen Jüdinnen und Juden. Wir brauchen Gemeinschaft mehr denn je, und auch Institutionen, die sich als Stimme in der Klimakrise verstehen. Das ist unsere Einladung und unser Aufruf, der sich auch an die jüdische Gemeinschaft richtet.
Back: Ein elementarer Teil des Judentums ist die Verbesserung der Welt, das heißt auch, dass man sich um die Umwelt kümmert. Da ist aktuell die Klimakrise die größte Gefahr für unsere Umwelt und für uns Menschen. Wir wollen auch den jüdischen Gemeinden zeigen, dass das ein wichtiges Thema ist, dass sie mitmachen können und wir offen für sie sind.

Mit Luisa Neubauer und Anael Back sprach Joshua Schultheis.

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