Reaktionen zum Rücktritt

»Ein längst überfälliger Schritt«

Kulturstaatsministerin Roth, die damalige documenta-Chefin Schormann und Kassels Oberbürgermeister Geselle bei der Eröffnung der Kunstausstellung Foto: IMAGO/Rüdiger Wölk

Der Rücktritt der bisherigen Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, von ihrem Amt hat viel Zustimmung erhalten.

Der Zentralrat der Juden erklärte: »Der Rückzug der documenta-Generaldirektorin Schormann war ein längst überfälliger Schritt, der viel zu spät kommt. Die documenta, aber noch viel schlimmer, das Ansehen der Bundesrepublik hat durch das unverantwortliche Handeln immensen Schaden genommen«, erklärte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats.

»Man muss sich die Frage stellen, wo der Aufsichtsrat vor als auch nach der Eröffnung der documenta gewesen ist. Das Problem mit dieser documenta ist mit dem Rücktritt Schormanns nicht ausgestanden. Es sind noch viele, sehr viele Schritte zu gehen. Unabhängig von der aktuellen documenta müssen die Verantwortungsträger jetzt einen kritischen Blick in alle Kultureinrichtungen, die vom Bund getragen oder gefördert werden, werfen. BDS Sympathisanten sind in Kultureinrichtungen fehl am Platz«, betonte Schuster.

Als »längst überfälligen Schritt« bezeichnete auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, Schormanns Rücktritt.

»Nun kommt es darauf an, für die Zukunft die notwendigen strukturellen Konsequenzen zu ziehen. Antisemitismus darf in keiner Form im Kulturleben akzeptiert werden, gleichgültig woher die Kulturschaffenden kommen«, sagte Klein der »Bild am Sonntag«.

BDS-BEWEGUNG Er forderte, dass der Aufruf des Bundestages von 2019, der in Handlungen und Zielen antisemitischen Israel-Boykott-Bewegung BDS keine Plattform mehr zu bieten, »künftig die verbindliche Richtschnur bei der Verwendung öffentlicher Gelder bei der Kulturförderung« sein solle.

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Der Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, legte den Verantwortlichen weitere personelle Konsequenzen nahe. Auf Twitter fragte er den Kasseler Oberbürgermeister Geselle, wann der Aufsichtsrat »für das späte und zum Teil falsche Agieren« bei der documenta Verantwortung übernehmen und zurücktreten werde.

»Dieser Rücktritt war überreif. Frau Schormann steht für organisierte Verantwortungslosigkeit, für ein BDS-Festival, ein antisemitisches Feuerwerk«, so Beck weiter.

STÜRMER-STIL Das American Jewish Committee kritisierte den Aufsichtsrat, der das Problem immer noch nicht begriffen habe, wenn er von Antisemitismusvorwürfen spreche. »Es geht hier seit Wochen schließlich nicht um »Vorwürfe«, sondern um den Skandal, dass im Zuge der Documenta antisemitische Karikaturen im Stürmer-Stil ausgestellt worden sind«, sagte Direktor Remko Leemhuis der »Bild«-Zeitung. Die Aufklärung des Skandals stehe erst am Anfang.

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Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP begrüßten den Schormann Rückzug ebenfalls. Der kulturpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Helge Lindh, bezeichnete in der »Welt am Sonntag« die Auflösung ihres Dienstvertrages als »überfälligen Befreiungsschlag aus einem Teufelskreis von Missmanagement und Misskommunikation«.

Linda Teuteberg, innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion zuständig für jüdisches Leben, hält die Abberufung für überfällig. »Der Antisemitismus-Skandal der Documenta ist einer mit Ansage und weist über die Kunstschau hinaus: Israelbezogener Antisemitismus ist wie jede Erscheinungsform des Antisemitismus inakzeptabel, Verharmlosungen unter Verweis auf den »globalen Süden« ebenso«, sagte sie der Zeitung.

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Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger forderte: »Nun muss es zur Prüfung der Kunstwerke kommen.« Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte: »Frau Schormann gibt den Weg frei, endlich konstruktiv die Debatte darüber führen zu können, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bilder auf der Documenta fifteen kommen konnte. Diese Debatte ist überfällig und sie ist entscheidend, gerade weil wir die Documenta als eine der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt erhalten müssen.«

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die selbst wegen ihres Agierens in der documenta-Debatte massiv in der Kritik steht, begrüßte die Entscheidung des documenta-Aufsichtsrates zur Vertragsauflösung mit Schormann.

»Es ist richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen«, sagte Roth der »Frankfurter Rundschau«.

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Sie bedanke sich insbesondere bei dem Aufsichtsratsvorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und der stellvertretenden Vorsitzenden, Kunstministerin Angela Dorn (Grüne).

POSTKOLONIALISMUS Zudem lobte Roth die beiden Gesellschafter der Ausstellung, die Stadt Kassel und das Land Hessen, dafür, dass sie sich bei der Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals von einer fachwissenschaftlichen Begleitung beraten ließen. Dem Team sollen Wissenschaftler angehören, deren Fachgebiete Antisemitismus, Postkolonialismus und Kunst sind. »Das sind erste wichtige Schritte in Richtung einer notwendigen Neuaufstellung dieses so wichtigen Fixpunktes für die zeitgenössische Kunst weltweit.«

Nach den zahlreichen Antisemitismus-Skandalen bei der documenta hatten sich der Aufsichtsrat der Weltkunstausstellung und Schormann am Samstag einvernehmlich darauf geeinigt, ihren »Geschäftsführerdienstvertrag kurzfristig aufzulösen«, wie es hieß. Zunächst werde »eine Interimsnachfolge angestrebt«, so das Gremium, das am Freitagabend tagte.

In den vergangenen Wochen waren die Rücktrittsforderungen gegen Schormann immer lauter geworden.

Der Aufsichtsrat empfehle der Gesellschafterversammlung der documenta, »eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen«. Diese solle sich unter anderem aus Wissenschaftlern zum »Gegenwartsantisemitismus« zusammensetzen. Sie seien zuständig für eine »erste Bestandsaufnahme der Abläufe, Strukturen und Rezeptionen rund um die documenta fifteen« und würden »bei der Analyse möglicher weiterer antisemitischer (Bild-)Sprache beraten«.

Zudem, solle eine Organisationsuntersuchung der documenta gGmbH durchgeführt werden, die sowohl die Strukturen als auch die Abläufe einer Überprüfung unterziehe. Dies solle im Vergleichsmaßstab »mit anderen bedeutenden Kunstausstellungen« und unter Hinzuziehung externer Experten geschehen.

Jüdische Künstler aus Israel wurden erst gar nicht eingeladen.

Die documenta war nach Antisemitismus-Vorfällen heftig in die Kritik geraten. Zuletzt durch das Banner »People’s Justice« des indonesischen Künstlerkollektives Taring Padi. Es zeigte unter anderem einen mit Davidstern dargestellten Soldaten mit Schweinsgesicht, der einen Helm mit der Aufschrift »Mossad« trägt - dem Namen des israelischen Auslandsgeheimdienstes.

Das acht mal zwölf Meter große, auf dem Friedrichsplatz in Kassel gezeigte Werk wurde zunächst verdeckt und dann ganz abgebaut. Auch der Umgang mit den Vorwürfen und die zögerliche Aufarbeitung sorgten für Kritik und Rücktrittsforderungen.

»BETROFFENHEIT« Der Aufsichtsrat äußerte am Samstag »tiefe Betroffenheit« über die Vorgänge: Das Werk habe »eindeutig antisemitische Motive« enthalten. Die Präsentation des Banners am Eröffnungswochenende »war eine klare Grenzüberschreitung«, der documenta sei damit »erheblicher Schaden zugefügt« worden.

»Es ist nach Auffassung des Aufsichtsrates essenziell, diesen Vorfall zeitnah aufzuklären, Schlussfolgerungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse für den Umgang mit antisemitischen Vorgängen im Kultur- und Kunstkontext zu ziehen und weiteren Schaden für die documenta abzuwenden.« Es sei viel Vertrauen verloren gegangen. Dies müsse man nun zurückgewinnen.

Hito Steyerl, eine der wichtigsten Künstlerinnen, zog aus Protest gegen Schormann ihre Werke zurück.

Im Aufsichtsrat der documenta sind die Stadt Kassel und das Land Hessen vertreten. An der Spitze stehen Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) als Aufsichtsratsvorsitzender und Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) als seine Stellvertreterin. Dem Aufsichtsrat gehören aktuell zehn Personen an. Der Bund ist nicht vertreten.

Die Mitte Juni eröffnete documenta fifteen stand zudem unter anderem wegen Antisemitismus-Vorwürfen gegen das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa heftig in der Kritik. Jüdische Künstler aus Israel wurden erst gar nicht eingeladen.

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In den vergangenen Wochen waren die Rücktrittsforderungen gegen Schormann immer lauter geworden. Der 60-Jährigen wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland unter anderem Untätigkeit bei der Aufarbeitung des Skandals vorgeworfen. »Die documenta-Chefin Sabine Schormann und Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle haben den Skandal zu verantworten und stehen jetzt einer Aufarbeitung aktiv im Wege. Sie sind untragbar«, sagte der Geschäftsführer des Zentralrats, Daniel Botmann, Mitte der Woche im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.

Zuletzt hatte sich der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, aus Protest als Berater der documenta zurückgezogen. Hito Steyerl, eine der international wichtigsten Künstlerinnen der documenta fifteen, zog aus Protest ihre Werke zurück.

Schormann, eine in Bad Homburg geborene Kulturmanagerin, hatte das Amt seit 2018 inne. Im Jahr zuvor war die documenta wegen eines Millionendefizits bei der 14. Ausgabe im Jahr 2017 in die Schlagzeilen geraten. Die damalige Geschäftsführerin Annette Kulenkampf hatte daraufhin ihr Amt niedergelegt. Übergangsweise hatte zunächst der Musikmanager Wolfgang Orthmayr die Geschäfte geführt. Nun soll erneut eine Interimslösung gefunden werden.

Und nun? Man arbeite gemeinsam mit allen Beteiligten daran, »die documenta in Kassel zu schützen«.

Nach dem Skandal wird sich den aktuellen Beschlüssen zufolge die documenta auch dauerhaft verändern. Die Gesellschafterversammlung beschloss »eine Organisationsuntersuchung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH durchzuführen, die sowohl die Strukturen inklusive Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten als auch die Abläufe einer Überprüfung unterzieht«.

»Die Stadt Kassel und das Land Hessen eint das gemeinsame Ziel, die Verfehlungen beim Thema Antisemitismus und strukturellen Defizite aufzuarbeiten und alles daran zu setzen, der documenta auch in Zukunft ihren weltweit einzigartigen Rang als Ausstellung für zeitgenössische Kunst zu sichern.« Man arbeite gemeinsam mit allen Beteiligten daran, »die documenta in Kassel zu schützen«. ja/kna/epd/dpa

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