Herr Beck, zehn Monate nach dem 7. Oktober ist die Stimmung in Deutschland in Bezug auf Nahost sehr stark aufgeheizt. Wie kann die Polarisierung überwunden werden?
Ich glaube, es gibt auch hierzulande viele Menschen, die erkennen, in welch schwieriger Situation Israel sich befindet. Andererseits sind die schrecklichen Bilder aus dem Krieg im Gazastreifen nicht ohne Wirkung geblieben. Niemand lässt das unberührt. Wir haben an Universitäten, aber auch im Kulturbereich und auf den Straßen eine Situation, die für jüdische Menschen und für Israelis sehr schwierig geworden und von offener Feindseligkeit geprägt ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen fairen Umgang in der politischen Diskussion über Israel pflegen und uns klar positionieren. Über Antisemitismus darf man nicht vornehm hinwegsehen, man muss ihn beim Namen nennen. Da erlebe ich bei den Universitätsleitungen und der Academia zuweilen eine erschreckende Hasenfüßigkeit, gepaart mit Reflexionslosigkeit.
Was kann die Politik unternehmen, um der Hetze gegen Israel entgegenzutreten?
Wir haben in unserer »Bremer Erklärung« vom Juni 2024 einiges aufgelistet. Ich will hier nur einen Punkt nennen: Wir fordern, dass der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs so gefasst wird, dass künftig der Aufruf zur Vernichtung Israels unter Strafe steht.
Nur zur Vernichtung Israels?
Nein, das muss für alle Aufrufe zur Vernichtung eines Mitgliedsstaats der Vereinten Nationen gelten. Übrigens wird in Artikel 9 unseres Grundgesetzes klar benannt, dass Vereine, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. Deshalb ist eine strafrechtliche Regelung hier nicht nur möglich, sondern dringend geboten.
»Wir fordern, dass künftig der Aufruf zur Vernichtung Israels unter Strafe steht.«
Sie sind jetzt seit zwei Jahren Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Was haben Sie bislang bewegt?
Ich alleine gar nichts, alles nur gemeinsam mit unseren 53 Arbeitsgemeinschaften und dem Präsidium. Die größte Leistung von uns allen gemeinsam war sicherlich, dass es uns gelungen ist, nach dem 7. Oktober eine große Solidaritätskundgebung für Israel auf die Beine zu stellen. Es war mit 25.000 Teilnehmern die größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Andererseits müssen wir natürlich auch kritisch benennen: Als Russland 2022 die Ukraine erneut überfiel, gingen zehn Mal so viele Menschen auf der Straße. Zum anderen gibt es eine positive Entwicklung bei den Mitgliederzahlen. Als ich anfing, hatten wir 6200 Mitglieder. Jetzt sind wir bei fast 9000. Unter den Neuzugängen sind auch viele jüngere Menschen.
Die DIG erhält institutionelle Förderung aus dem Bundeshaushalt. Sind Sie da noch unabhängig von der Regierung?
Selbstverständlich sind wir das. Die DIG ist eine überparteiliche, zivilgesellschaftliche Organisation. Wir verstehen uns nicht als Dienstleister einer Regierung, weder der deutschen noch der israelischen. Wir fördern die Freundschaft zwischen den beiden Völkern. Das ist in der schwierigen Situation, in der Israel sich befindet, besonders wichtig.
Aus bestimmten Kreisen wird Ihnen vorgeworfen, Sie wären Israel gegenüber zu kritisch. Andere sagen, die DIG sei das Sprachrohr der israelischen Regierung. Was trifft es?
Weder noch. Wir haben einen sehr klaren Kompass: Wir sind eine pro-zionistische Organisation, die die Idee und Wirklichkeit des jüdischen und demokratischen Staates Israel verteidigt. Vor dem 7. Oktober haben wir die Pläne der regierenden Rechts-Koalition für die Justizreform kritisiert. Jetzt stehen wir kompromisslos für Israels Selbstverteidigungsrecht ein, ohne Parteigänger einer bestimmten Partei oder Koalition zu sein. Im aktuellen Konflikt sehen wir vor allen Dingen das Erfordernis, dass Israel sich verteidigen kann und muss. Gleichzeitig sehen wir mit Sorge Entwicklungen, die sozusagen im Windschatten des Kriegsgeschehens passieren, zum Beispiel Übergriffe von Siedlern im Westjordanland auf Palästinenser. Auch hier stehen wir klar auf der Seite des Völkerrechts – wie übrigens auch die Mehrheit der israelischen Bevölkerung.
Stichwort Völkerrecht: Die Bundesregierung lehnt die Ausstellung von Haftbefehlen durch den Internationalen Strafgerichtshof gegen israelische Politiker ab. Zu Recht?
Wir begrüßen das ausdrücklich. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt aberwitzig, internationale Haftbefehle gegen israelische Verantwortliche auszustellen. Ich gehörte damals zu den Abgeordneten, die sich im Bundestag für die Unterzeichnung des Römischen Statuts für einen Internationalen Strafgerichtshof starkmachten. Der Artikel 17 des Statuts sieht ausdrücklich vor, dass der Strafgerichtshof nur zuständig ist, wenn die nationale Justiz eines Landes nicht willens oder in der Lage ist, schwere Verbrechen selbst zu verfolgen. Zunächst ist also die Justiz in Israel am Zug.
Die bislang aber nicht tätig geworden ist.
Was angesichts des andauernden Kriegsgeschehens grundsätzlich nachvollziehbar ist. Aber ich bin mir sicher, dass sie zeitnah klären wird, ob und inwiefern es im Rahmen der Kriegsführung Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gegeben hat. Viele Untersuchungen haben bereits begonnen, gerade in dieser Woche gab es auch Verhaftungen. Man muss nur aufpassen, dass man das Völkerrecht nicht zum politischen Kampfinstrument missbraucht. Das spielt nur jenen in die Karten, die versuchen, Israel zu delegitimieren.
Die Ampelkoalition hat 2021 versprochen, dafür sorgen zu wollen, dass Israel in den Vereinten Nationen fairer behandelt wird. Merken Sie davon etwas?
Es ist ein richtiger und wichtiger Vorsatz, aber es gibt noch einiges zu tun, damit die Bundesregierung dem eigenen Anspruch gerecht wird. In ein paar Fällen gab es schon ein anderes Abstimmungsverhalten. Aber viel zu oft meint das Auswärtige Amt noch, man könne gegenüber anderen Staaten mehr erreichen, wenn man sich bei unmöglichen Resolutionen nur der Stimme enthalte. Die DIG hat deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass Deutschland in den UN-Gremien bei israelfeindlichen Anträgen grundsätzlich mit Nein stimmt.
Überstimmt werden dürfte man dann trotzdem. Müsste man nicht drastischere Schritte in Erwägung ziehen?
Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass Deutschland robuster aufträte und auch mal die »Politik des leeren Stuhls« betriebe. Andererseits kommt ein Austritt aus den Vereinten Nationen nicht in Frage. Ob- schon die UN-Gremien Defizite aufweisen, sollte man das Instrument der Multilateralität nutzen - ohne Euphorie und Wolkenkuckucksträume, aber mit dem Willen, Konflikte einzuhegen und zu beenden.
»Der Menschenrechtsrat hat leider nicht immer die Menschenrechte im Sinn.«
Die UN-Beauftragte Francesca Albanese ist so jemand. Viele verlangen seit langem ihre Abberufung. Täuscht das Gefühl, dass Deutschland hier recht wenig tut?
Dafür braucht es eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten im Menschenrechtsrat. Sie wissen genauso gut wie ich, wie schwer das angesichts der Zusammensetzung des Gremiums ist. Der Menschenrechtsrat hat leider nicht immer die Menschenrechte im Sinn. Das zeigt sich auch bei der Bestellung von Frau Albanese, die eindeutig antisemitisch eingestellt ist. Es ist eine Schande, dass man für die wichtige Frage, wie die Verhältnisse in den besetzten palästinensischen Gebieten verbessert werden können, eine solche Person bestellt hat. Niemand in Israel, der politisch bei Verstand ist, gibt auch nur einen Hauch auf das, was sie von sich gibt.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat ein Gutachten zu Israels Präsenz in den besetzten Gebieten veröffentlicht, das sehr eindeutig ausfiel. Wie soll man damit umgehen?
Die große Schwäche des Gutachtens ist, dass die Sicherheitsfragen, die zur Besetzung geführt haben, darin keine große Rolle spielen. An wen sollte Israel beispielsweise den Golan zurückgeben? An den Diktator Assad? An den Islamischen Staat? Israel hat die Gebiete ja nicht zum Spaß besetzt, sondern erst, nachdem es jahrelang von dort angegriffen wurde.
Der IGH hat aber vor allem die Besiedlung der Gebiete durch Israel gerügt.
Niemand darf die eigene Bevölkerung in Gebiete, die ihm nicht gehören, transferieren, das ist völlig richtig. Gleichzeitig muss man zur Kenntnis nehmen, dass es auch vor 1948 eine jüdische Bevölkerung im Westjordanland gab. Sie musste das Gebiet verlassen. Deshalb ist eine Perspektive, die ein »judenreines« Westjordanland vorsieht, nicht richtig. Gleichzeitig muss die Gründung neuer Siedlungen aufhören. Wer wirklich eine Friedensregelung will, muss einen Gebietstausch und Entschädigungszahlungen ermöglichen. Das tut sogar der IGH am Ende seines Gutachtens ganz verschämt. Wer dagegen die Umsiedlung von Hunderttausenden Menschen zur Voraussetzung einer Friedenslösung macht, will sich nur im Lichte der eigenen Rechthaberei sonnen.
Mit dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft sprach Michael Thaidigsmann.