Markus Söder kam pünktlich zur Pressekonferenz. Wie angekündigt gab der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende im Prinz-Carl-Palais in München gegen Mittag sein Statement zur Causa Aiwanger ab. Zuvor hatte einen Steinwurf von dem schmucken Palais entfernt in der Staatskanzlei der Koalitionsausschuss von CSU und Freien Wählern (FW) getagt. Dort war auch Hubert Aiwanger, Söders Stellvertreter im Amt des Ministerpräsidenten, mit dabei – zur Pressekonferenz brachte Söder ihn nicht mit. Auch Fragen der anwesenden Journalisten ließ er nicht zu.
Stattdessen gab es ein ausführliches Statement Söders, in dem er eine politische Gratwanderung beschrieb. Der Tenor: Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Aiwanger während dessen Schulzeit wögen zwar schwer und es sei längst nicht alles geklärt. Für eine Entlassung seines Wirtschaftsministers - und damit womöglich das Ende der Koalition mit den Freien Wählern kurz vor der Landtagswahl im Oktober - reichten die von der »Süddeutschen Zeitung« vorgelegten Beweise aber nicht aus, sagte der Ministerpräsident.
Einen Persilschein wollte Söder Aiwanger trotzdem nicht ausstellen. Er hielt sich rhetorisch klar auf Abstand. »Das Hetz-Flugblatt ist übelster Nazi-Jargon. So wie das Flugblatt geschrieben ist, merkt man, dass da auch eine ganz andere Energie dahintersteckt. Das ist nicht nur ein dummer Jungenstreich oder eine bloße Jugendsünde«, sagte er - und fügte hinzu: »Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich auch die persönliche Glaubwürdigkeit des bayerischen Wirtschaftsministers.«
Immerhin: Söder, dem einige Spötter schon unterstellten, es gebe keine Position, die er noch nicht geräumt habe, hat im Kampf gegen den Antisemitismus und im Engagement für jüdisches Leben in Bayern bislang eine klare Linie verfolgt. Seine Glaubwürdigkeit in diesem Punkt dürfte er unter keinen Umständen verlieren wollen.
ENTSCHEIDUNG Aiwanger, sagte der Ministerpräsident, habe in dem Gespräch eingewilligt, rasch und umfassend einen Katalog von 25 Fragen beantworten zu wollen. Anschließend werde man entscheiden, wie es weitergehe und ob Aiwanger im Amt verbleiben könne. Söder wörtlich: »Am Ende der Debatte darf es keinen Restzweifel geben, darf es keine Hängepartie werden. Das muss rasch geklärt werden. Es gibt keinen Platz für Antisemitismus in der bayerischen Staatsregierung. Und es ist wichtig, dass Staatsregierung und Wirtschaftsminister wieder handlungsfähig sind.«
Als Ministerpräsident trage er die Verantwortung, »vernünftig zu entscheiden, den Sachverhalt objektiv und seriös zu bewerten und am Ende abzuwägen.« Es gehe ihm nicht um Vorurteile oder um Übermaß. »Klar ist aber auch: Es muss geklärt werden.« Das Flugblatt, dessen Urheberschaft der Bruder des Wirtschaftsministers, Helmut Aiwanger, am Samstag für sich reklamiert hatte und von dem sich beide Brüder mittlerweile distanziert haben, nannte Markus Söder »Dreck«.
Und er fügte hinzu: »Wir haben heute Hubert Aiwanger gehört. Wir haben gefragt. Die Aussagen reichen aber definitiv nicht aus für eine abschließende Bewertung und Klärung.« Es blieben Fragen offen und stellten sich neue Fragen, so Söder. Zu ihrer Beantwortung habe Aiwanger sich auch bereiterklärt, die Schulakten, die noch vorhanden seien, öffnen zu lassen. Bislang hatte Aiwanger sich nur in einer kurzen schriftlichen Erklärung am Samstag geäußert und geweigert, weitere Fragen zu dem Flugblatt und seiner Rolle bei dessen Verbreitung zu beantworten. Man müsse jetzt aber »reinen Tisch machen« und »Klarheit für alle schaffen«, forderte Markus Söder.
Er betonte jedoch auch: Eine Entlassung aus dem Amt seines Staatsministers und Stellvertreters wäre für ihn zumindest »ein Übermaß«. Man müsse bedenken, dass die Sache »tatsächlich über 30 Jahre her« sei, so Söder. Um dann doch wieder die Schwere der Vorwürfe zu betonen: »Das ist jetzt kein Freispruch oder Freibrief. Viele Menschen sind zutiefst empört und verunsichert und haben Fragen, so wie wir auch. Es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.«
SCHADEN Schon jetzt sei ein Schaden für den Ruf Bayerns entstanden. Er könne sich eine Koalition mit den Freien Wählern auch ohne Aiwanger als Minister vorstellen. »Die Zusammenarbeit mit dem Freien Wählern als Ganzes hat sich bewährt, ist gut, und wir wollen sie fortsetzen. Es gibt es auch keinen Anlass, etwas an dieser Zusammenarbeit zu ändern. Koalitionen hängen übrigens auch nicht an einer einzigen Person. Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso«, sagte er. Die Freien Wähler, deren Bundesvorsitzender und Galionsfigur Aiwanger seit vielen Jahren ist, dürften das naturgemäß anders sehen.
Doch der Ball liege jetzt beim Koalitionspartner und bei Aiwanger, betonte Markus Söder abschließend. »Wir hoffen sehr, dass wir danach schlauer als heute sind und warten die weitere Entwicklung ab.”
Wie viel Zeit der Ministerpräsident mit diesem Vorgehen gewinnen wird, ist unklar. Sein Statement war ein entschiedenes Sowohl-als-auch, ein typischer Söder also. Er versucht, weiter Herr des Verfahrens zu bleiben und es sich mit den Wählern nicht zu verscherzen.
Ob er es damit beiden Seiten, den Kritikern und den Verteidigern Aiwangers, recht machen kann, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Die Oppositionsparteien im Land kritisieren den Ministerpräsidenten für sein Zögern - und fordern bereits eine Sondersitzung des Landtags. Selbst in der AfD, die politisch rechts von den Freien Wählern steht, haben einige Stimmen die Entlassung Aiwangers gefordert.