Es gibt eine Lobby, die ist einflussreicher als alle bekannten Interessenverbände. Egal ob Finanz-, Industrie-, Arbeitnehmer- oder jüdische Lobby. Sie alle wirken machtlos neben den Muttertags-Lobbyisten. Trotz diverser und berechtigter Versuche, den Tag einfach zu ignorieren, ist er schlicht nicht totzukriegen. Sogar seine Erfinderin Anna Marie Jarvis, kämpfte vergeblich, nachdem er eingeführt worden war, für seine Abschaffung.
Es war wie in diesem Jahr exakt der 12. Mai, an dem die gläubige Methodistin im Jahre 1907 in ihrem Heimatort Grafton in West Virginia zum ersten Mal einen Gottesdienst zu Ehren ihrer verstorbenen Mutter abhalten ließ. Diese hatte sich über Jahrzehnte für eine Mütterbewegung eingesetzt. Nun engagierte sich ihre Tochter dafür, den Ehrentag zum offiziellen Feiertag zu ernennen. 1914 hatte sie ihr Ziel erreicht. Erstmals ließ man überall in den USA öffentliche Gebäude beflaggen und machte den zweiten Sonntag im Mai zum nationalen Feiertag zu Ehren aller Mütter.
Populär Mit zunehmender Popularität und Kommerzialisierung distanzierte sich die Erfinderin des Muttertages jedoch wieder von ihrer Idee. Auch in Deutschland waren es die kommerziellen Interessen des Verbands der deutschen Blumenhändler und nicht etwa politisch engagierte Mütter, die den Tag ins Leben gerufen haben. Seiner Popularität tat dies jedoch bis heute keinen Abbruch.
Die Nationalsozialisten missbrauchten den Feiertag später zu Ehren der gebärfreudigen arischen Mutter, die den Fortbestand der germanischen Rasse sicherzustellen hatte. Aber nicht einmal die braune Kontaminierung, die sonst fast alles in Deutschland zu Fall bringt, ließ den Muttertag wanken. Auch jüdische Mütter sollen bereits versucht haben, ihn abzuschaffen. Allerdings mit dem einzigen Ziel, danach jeden Tag zum Muttertag zu ernennen. Vergebens!
Und so werden unzählige Töchter, Söhne und Väter, obwohl es ihnen bereits an den restlichen 364 Tagen im Jahr tragisch misslingt, auch am kommenden Sonntag wieder versuchen, ihre Mütter und Ehefrauen, egal ob jüdisch oder nicht, glücklich zu machen.
Leeor Engländer ist Autor der »Welt«-Kolumne »Schmonzes«.