Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs drangen Anfang April 1945 Einheiten der US-Armee auf der Suche nach hochrangigen Nationalsozialisten in das Jonastal in Thüringen vor. Ihr Befehlshaber war General George S. Patton (1885-1945). Was er dort südlich von Arnstadt dann am 12. April mit eigenen Augen sah, war eine aufgegebene Baustelle, an der die SS kurz vor ihrer Flucht noch hunderte Arbeitssklaven ermordet hatte. »Das war einer der schrecklichsten Anblicke, die ich je gesehen habe«, vertraute der General seinem Tagebuch an.
Patton empfand Mitleid mit den Opfern, für eine Gruppe von Häftlingen aber auch Verachtung. Auch dies wird in seinen täglichen Aufzeichnungen deutlich: Der Befreier von zehntausenden jüdischen Opfern aus Konzentrationslagern in Thüringen war selbst ein Antisemit.
Patton empfand Mitleid mit den Opfern, aber auch Verachtung
Über einen Besuch in einem Lager jüdischer Vertriebener schrieb Patton am 17. September 1945: »Wir betraten die Synagoge, die mit dem größten stinkenden Haufen Menschheit gefüllt war, den ich je gesehen habe.« Der Geruch in dem Raum sei so furchtbar gewesen, dass er sich noch drei Stunden später übergeben habe. Er wundere sich, dass Menschen, die doch »angeblich in der Form Gottes geschaffen wurden, so aussehen und sich so benehmen können, wie sie es tun«, notierte der hochdekorierte General, der inzwischen Militärgouverneur von Bayern war.
Aus Briefen amerikanischer Soldaten, die in Deutschland stationiert waren, gelangten Berichte an Zeitungen in den Vereinigten Staaten, wonach gerade in Bayern die jüdischen Opfer unter unwürdigen Bedingungen weiterhin in den Konzentrationslagern festgehalten würden. Zu dem Zeitpunkt, an dem der General seinem Tagebuch freimütig seine antisemitischen Gedanken anvertraute, lief bereits eine großangelegte Untersuchung zu den Vorwürfen.
Damit beauftragt wurde Earl G. Harrison (1899-1955). Der Jurist bereiste im Auftrag der US-Regierung im Sommer 1945 insgesamt 30 Lager und sandte das Ergebnis an Präsident Harry S. Truman (1884-1972). Sein Bericht fiel vernichtend aus. Tausende jüdische heimatlose NS-Opfer vegetierten ohne ausreichende medizinische, materielle und soziale Versorgung weiter in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, schrieb Harrison. Befreit seien sie nur im militärischen Sinne. Ansonsten »scheint es, als dass die Juden behandelt werden wie unter den Nazis, außer, dass wir sie nicht umbringen«.
Befreit nur im militärischen Sinne
Harrison setzte sich dafür ein, jüdische Vertriebene nicht länger zusammen mit ihren deutschen Landsleuten, die oft genug Antisemiten oder NS-Kollaborateure waren, sondern in eigenen Lagern unterzubringen. Patton dagegen verneinte die Notwendigkeit einer separaten Unterbringung von Juden. »Warum nicht auch Katholiken oder Mormonen?«, fragte er sein Tagebuch.
Kaum ein Stereotyp ließ Patton aus. »Fast alle Juden hatten die flachen, bräunlich-grauen Augen, die bei den Hawaiianern üblich sind, was meiner Meinung nach auf eine sehr geringe Intelligenz hindeutet«, notiert er am 1. Oktober 1945. Und am selben Tag: »Der jüdische Typus der Vertriebenen ist in den meisten Fällen eine untermenschliche Spezies ohne die kulturellen und sozialen Feinheiten unserer Zeit.«
Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, Jens Christian Wagner, betont, Patton sei kein Einzelfall gewesen. Infolge seiner herausgehobenen Stellung in der US-Armee habe seine Haltung jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die jüdischen Überlebenden gehabt, sagt Wagner: »Im Oktober 1945 ist er daher auch von seinem Posten abgesetzt worden.«
Direktor der Gedenkstätte Buchenwald: Patton kein Einzelfall
Eine andere Entwicklung habe etwa der Erstüberflieger des Atlantiks, Charles Lindbergh (1902-1974), genommen, betont der Direktor der Gedenkstättenstiftung Thüringens. Zunächst sei er als glühender Verehrer des Nationalsozialismus in den Krieg im Pazifik gezogen. »Nach einem Besuch des Lagers Mittelbau-Dora im Juni 1945 revidierte er seine Meinungen öffentlich«, sagt Wagner. Dabei sei das, was er gesehen habe, weit weniger schrecklich gewesen, als die Eindrücke von Patton im Jonastal und in Buchenwald zwei Monate zuvor.
Insgesamt seien die ehemaligen NS-Häftlinge, ob nichtjüdisch oder jüdisch, in den Lagern in Thüringen jedoch gut behandelt worden.