Debatte

»Ein anständiger Deutscher«

Günter Grass Foto: dpa

Ich war nicht leicht verwundert, als mir vor rund 50 Jahren der polnisch-jüdische Regisseur Alexander Ford, mit dem ich den Film Der achte Wochentag bei der Biennale in Venedig äußerst erfolgreich aufgeführt habe, folgende Erklärung übermittelte: »Ich habe keine Angst vor deutschen Hooligans. Diese gibt es weltweit. Angst habe ich jedoch vor den anständigen Deutschen. Denn diese sind durch ihren Nationalismus, Rassismus, Herrenrasse-Denken und ihre Seelenlosigkeit gefährlich.«

Der Sinn dieses Ausspruches kam mir sukzessiv, im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zum Bewusstsein. Wie es scheint, gehört Günter Grass zu dieser Kategorie. Und dies, obwohl bis zum heutigen Tage noch nicht einwandfrei klar wurde, ob Grass als 17-Jähriger freiwillig in die Waffen-SS eintrat oder ob er eingezogen wurde.

Wiederum kann ich aus Erfahrung offenbaren, dass während der Kriegszeit zehn und zwölfjährige Kinder teilweise bewusster, intelligenter und von der Umgebung entsprechend geprägter waren als Erwachsene. Mir sind Fälle bekannt, wo zehnjährige Jungs unzählige jüdische Familien gerettet haben, indem sie sie über versteckte Wege in Sicherheit brachten. Grass müsste sich demnach eigentlich mit 17 Jahren im Klaren darüber gewesen sein, dass die SS, der er diente, das mörderische Ziel verfolgte, das jüdische Volk auszulöschen und die Slawen zu Sklaven zu machen.

Soweit mir bekannt ist, war auch der bekannte und erfolgreiche Filmstar Hardy Krüger in eine der Naziformationen involviert. Und auch nicht älter als Grass. Er hat sich aber sofort nach Kriegsende, nachdem er die Verbrechen der Nazis in Erfahrung gebracht hatte, von ihnen getrennt und politisch und menschlich genau das Gegenteil bekundet.

Impuls Ich hatte die Gelegenheit, im Laufe der Jahrzehnte mit jungen Napola- und/oder Hitlerjungs zu diskutieren. Beinahe ohne Unterschied offenbarten die meisten Gesprächspartner, dass die Stacheln der Nazirituale, das kollektive Leben innerhalb der jeweiligen Naziorganisation, die sogenannte Kameradschaft, bei ihnen nach wie vor präsent sind zwar tief verborgen, aber immer reif zum Aufbruch.

So meine ich, dass es Günter Grass nicht anders ging. Seine Erinnerungen an die Dienstzeit bei der Waffen-SS schlummerten tief im Inneren. Die Realität bewies jedoch, dass er sich von diesen Impulsen seiner Jugend nicht befreite. Hin und wieder kamen und kommen diese zur Geltung.

Ich erinnere mich an einen Fall im Jahre 1948. Und zwar anlässlich der Premiere meines ersten wichtigen Films »Morituri«. Ein Filmmann aus Hamburg sprach mich während des Premierenempfangs mit Worten an, die ich bis zum heutigen Tage nicht vergessen habe: »Lieber Herr Brauner, wäre es nicht an der Zeit, diese Episode zu vergessen?« Auf meine Frage, was er denn mit Episode meine, erklärte er mir wörtlich: »Die laufenden, ununterbrochenen Erinnerungen an die Verfolgung der Juden. Denn es handelt sich doch um eine der vielen, oft exerzierten Episoden in den Jahrhunderten und Jahrtausenden.«

Ich stand da, als ob man mich mit einer Keule bewusstlos geschlagen hätte. Die Ermordung von sechs Millionen wehrlosen Opfern stufte er als eine Episode der Weltgeschichte ein. Und es war ihm schon damals dem sonst anständigen Mann zu viel, dass es zu diesem Zeitpunkt insgesamt drei Filme über die Millionen jüdischen Opfer gab. So hat er schon damals, vor 64 Jahren, eigentlich die Forderung von sich gegeben, »Schluss« zu machen, »Schluss« mit den Darstellungen des Holocaust.

Schlagzeile So ist es nicht verwunderlich, dass neben Günter Grass auch ein weiterer, anerkannter deutscher Schriftsteller namens Martin Walser im übertragenen Sinne einen »Schluss« der Erinnerungen an den Millionenmord verlangte und diese Forderung in vielen Medien zum Ausdruck brachte.

Ich habe mir daraufhin erlaubt, einen Essay zu verfassen, in dem ich die Überschrift »Wir tanzen wieder Walzer« als Schlagzeile betitelte. Beide anerkannten, populären und sicherlich begabten Schriftsteller haben sich der falschen Sache verschrieben. Sie gehören zweifelsfrei zu der von Ford als »anständige Deutsche« bezeichneten Gruppe. Denn beide haben dabei keine persönlichen Interessen, sondern glauben, das Volk zu vertreten.

So nutzen sie ihre schriftstellerische Begabung in verschiedenen Ansätzen, indem sie Falsches von sich geben, ohne auf die Realität und Anstand zu achten. Denn wie soll man Günter Grass verstehen, wenn er in seinen für die breite Öffentlichkeit gedichteten Zeilen ungeniert erklärt, dass Israel das iranische Volk auszulöschen gedenkt?

Man bedenke: 75 Millionen Iraner gegen rund sechs Millionen Israelis, circa 20-mal mehr Land als Israel und mit Milliardenwerten an Öl bestückt, neben Hunderttausenden Soldaten, Milizen und Terrorgruppen, die nur auf ein Zeichen warten, um gegen Israel loszuschlagen.

Wie kann Günter Grass Ahmadinedschad als Maulhelden abkanzeln, wo ihm doch bestens bekannt sein müsste, dass auch Hitler am 30. Januar 1939 im Reichstag den Genozid des jüdischen Volkes verkündete, von den Versammelten daraufhin Riesenovationen einheimste, wo doch mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre, dass keiner der Versammelten eine Fantasie vom organisierten Morden vom Säugling bis zum Greise entwickelte?

Die Pläne von Ahmadinedschad sind mit denen Hitlers identisch. Auch er plant die Auslöschung des israelischen Volkes. Eigenartigerweise sind es in beiden Fällen je sechs Millionen. Und Ahmadinedschad, der seine Mordabsichten nicht verheimlicht, wird von Günter Grass praktisch als Opfer Israels dargestellt. Wie viel Bösartigkeit und Antagonismus muss man noch offenbaren, um den Paranoia-Hass von Ahmadinedschad als wahr zu bewerten?

Haman Es ist kurios festzuhalten, dass vor circa 2.500 Jahren ein ähnlicher böser Geist in Persien die gleichen Ziele verfolgte. Er hieß Haman und war Minister bei dem damals herrschenden König Achaschwerosch. Haman hat beschworen und den König überzeugt, die gesamte jüdische Bevölkerung unter der falschen Begründung zu töten, dass die Juden den König umbringen wollten. (Offenbar hat Günter Grass von dieser Geschichte noch nie gehört.)

Nur die bildhübsche Ester konnte den König vom Gegenteil überzeugen, weshalb auf Befehl des Königs Haman hingerichtet wurde. So feiert das jüdische Volk seit dieser Zeit das fröhliche Purimfest, bei dem sich die Kinder verkleiden, verschiedene Masken anziehen und sich schminken also ein richtiges Karnevalsfest. Ob wir ein ähnliches Fest erhoffen dürfen?

Zumindest wäre zu wünschen, dass Ahmadinedschad auf seine nicht nachvollziehbare Leugnung des Holocaust verzichtet und Frieden mit Israel schließt, analog zu den Zeiten des Schahs, wo zwischen Israel und Persien die besten Beziehungen bestanden.

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