Frau Bernstein, Sie sind Teil eines neuen Netzwerks jüdischer Hochschullehrender. Was ist die Idee dieser Initiative?
Viele jüdische Hochschullehrende, darunter auch ich, haben ein Forum vermisst, in dem ein Austausch in einer »Wir Gruppe« über die schmerzlichen Ereignisse, Antisemitismus und Studierendenbelange stattfinden kann, sowie über die Frage, wie jüdisches Leben auf dem Campus sichtbarer und vielleicht auch sicherer gemacht werden kann.
Hat Sie der Angriff auf den israelischen Studenten am Wochenende überrascht?
Es trifft einen immer auch persönlich, wenn Jüdinnen oder Juden attackiert werden. Aus der Perspektive der Antisemitismusforschung wundert es mich, dass so etwas nicht schon häufiger passiert ist.
Machen jüdische Hochschullehrende ähnliche Erfahrungen mit Antisemitismus wie jüdische Studierende?
Zum einen muss man sich von der Illusion befreien, dass die Universität ein antisemitismusfreier Raum ist, weil die Menschen dort als aufgeklärt oder intellektuell gelten – der Campus ist schließlich ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Als Hochschulangehörige sind wir etwas geschützter als Studierende und finden leichter Gehör bei der Hochschulleitung. Aber auch wir müssen viel verarbeiten.
Wie sehen Anfeindungen aus?
Das hängt immer davon ab, inwieweit die jüdische Identität nach außen sichtbar ist, etwa durch religiöse Symbolik. Zudem ist bei Veranstaltungen zum Antisemitismus oder zu Israel der Schutz durch Sicherheitsdienste oder Taschenkontrollen ein Teil der neuen beunruhigenden Realität geworden.
Welche Resonanz auf die Gründung des Netzwerkes gab es?
Offensichtlich füllen wir eine große Lücke. In nur wenigen Tagen haben sich so bereits mehr als 80 Hochschullehrende vernetzt, darunter solche mit einer ex-sowjetischen Biografie, Nachfahren von Displaced Persons oder auch Israelis, also insgesamt eine recht heterogene Gruppe.
Wie würden Sie die Ziele definieren?
Bedrohungen und antisemitische Übergriffe an Hochschulen werden oft als politische Auseinandersetzungen missverstanden. Entsprechend sehen die Reaktionen aus. Wir wollen ein respektvolles und angstfreies Miteinander, auch wenn es um Themen wie Israel oder jüdische Identitäten geht. Deshalb streben wir Veranstaltungsformate und geeignete Anlaufstellen an, damit der Campus ein sicherer Ort für Juden und Jüdinnen wird. Wichtig ist uns ebenfalls der Hinweis auf Verletzungsdispositionen und historische Kontinuitäten, in denen die aktuellen Ereignisse stehen. Denn oft wird unterschlagen, dass in universitären Räumen Jüdinnen und Juden schon einmal Zielscheibe von Anfeindungen und Ausschluss waren. Dieses Kapitel wirkt bis heute nach.
Mit der Professorin an der Frankfurt University of Applied Science sprach Ralf Balke.