Der 9. November markierte in diesem Jahr ein unsägliches zeitliches Zusammentreffen montäglicher Pegida-Demonstrationen mit dem Gedenken an die Pogromnacht vor 77 Jahren.
Während beispielsweise in München die IKG im Saal des Alten Rathauses ihre zentrale Gedenkfeier für die Opfer der Novemberpogrome beging, marschierten die Demonstranten der Pegida-Bewegung an der Münchner Freiheit.
Das von der Stadt ausgesprochene Verbot war kurz zuvor vom Verwaltungsgericht wieder aufgehoben worden. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch sprach von einer »völlig unverständlichen Entscheidung«, die regelrechte Verzweiflung bei ihr auslöse.
Verbot »Unsere Rechtslage«, so Knobloch weiter, »ist offensichtlich nicht geeignet, unsere Demokratie wehrhaft gegen ihre Feinde zu verteidigen.« Oberbürgermeister Dieter Reiter bedauerte mit Blick auf die besondere Rolle, die München als einstige »Hauptstadt der Bewegung« gespielt habe, dass sich die Justiz der städtischen Argumentation bislang nicht angeschlossen habe.
»Selbstverständlich ist München in der Pflicht, diesen braunen Spuk zu beenden. Allein schon bei der Vorstellung einer solcher Zusammenrottung an diesem Tag der Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht vor 77 Jahren dreht sich einem der Magen um«, erklärte er.
Dresden Ähnliche Szenen spielten sich auch in Dresden ab. »Ich kann und will das nicht trennen von dem, was in einigen Stunden auf dem Theaterplatz und der Innenstadt ablaufen wird«, sagte Dresdens Gemeindevorsitzende Nora Goldenbogen angesichts der Pegida-Kundgebung auf dem Theaterplatz. In der NS-Zeit hieß er »Adolf-Hitler-Platz«.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal in einer solchen Situation hier stehen werde. Ich weiß, dass sich viele der dort mitlaufenden Demonstranten missverstanden fühlen, wenn sie als Neonazis beschimpft oder in deren Nähe gerückt werden«, sagte Goldenbogen. Doch sei es nötig, an einige Tatsachen zu erinnern: Auch am 9. November 1938 hatte es eine große Kundgebung in Dresden gegeben. Die Route führte durch die König-Johann-Straße (die heutige Wilsdruffer Straße), über die Prager Straße zum Hauptbahnhof. Auf dem Weg dorthin plünderten die Demonstranten jüdische Geschäfte und Wohnungen. In der Nacht brannte die Synagoge am Zeughausplatz.
Begriffe wie »Volksverräter« hätten auch heute ihre Berechtigung, behauptete Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling ein paar Stunden später vor der Semperoper. Man dürfe sich nicht das Wort verbieten lassen, schon gar nicht von den Linken und von der »Lügenpresse«. Für Pegida-Gründer Lutz Bachmann ist die Pogromnacht 1938 ein Datum unter vielen, zwischen der Abdankung des Kaisers 1918 und dem Mauerfall.
Leipzig Wie jeden Montag gingen auch in Leipzig wieder Anhänger der sogenannten Legida-Bewegung und ihre Gegner auf die Straße. Während die einen an den 135 Stolpersteinen der Nazi-Opfer gedachten und die Messingplaketten zur ihrer Erinnerung putzten, fand anderenorts die Legida-Demonstration statt, die diesmal allerdings stationär begrenzt werden konnte. Zwischendurch waren in der Innenstadt immer wieder Polizeisirenen zu hören.
In der Synagoge wie auch in der Nikolaikirche fanden Gebete zum Andenken an die Opfer statt. Die Besucher der Nikolaikirche zogen im Anschluss durch die Innenstadt zur Gedenkstätte in der Gottschedstraße, wo einst die größte Synagoge der Stadt stand. Hier erinnerten zahlreiche Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam mit Rabbiner Zsolt Balla und Mitgliedern der jüdischen Gemeinde an die Opfer der Schoa.
Stimmung »Geschichte wiederholt sich nicht, außer in den Köpfen derer, die von Geschichte nichts wissen oder nichts wissen wollten«, sagte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung mit Blick auf die aktuellen Ereignisse. Heute gebe es wieder eine pogromartige Stimmung im Land. Rassistische Gewalt sei eine Form des Terrors, sagte Jung, und habe nichts mit Sorge zu tun. »Wir müssen dem alltäglichen Rassismus entgegentreten, wo wir ihn finden«, sagte der Oberbürgermeister.
Gemeindevorsitzender Küf Kaufmann warnte vor Antisemitismus. »Vor drei Tagen hat jemand am Eingang des Gemeindehauses ein Hakenkreuz angemalt. Es ist noch kein Pogrom, aber schlimm genug! Wir leben in einer unglaublichen Zeit«, sagte Kaufmann weiter, »eine Zeit, in der Pogrome in der Welt jeden Tag stattfinden. Aber auch in der Zeit, in der der Mensch doch in der Lage ist, zusammen mit seinen Mitmenschen jedem Pogrom Widerstand zu leisten. Man muss es nur wollen.« Mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen sagte Kaufmann: »Mein Leben ist nicht abhängig von Legida. Für mich ist viel wichtiger, dass vor einer Woche der Opernball im Zeichen der Unterstützung für Israel stand und in der ganzen Stadt Plakate mit der Aufschrift ›Shalom Israel‹ hingen.«
Derweil sammelten sich ein paar Schritte weiter auf dem Richard-Wagner-Platz die Islamfeinde von Legida. Den Juden sei Unrecht getan worden, sagte Legida-Redner Michael Stürzenberger und trug seine Judenfreundschaft zur Schau, die eigentlich getarnte Islamfeindschaft ist: Er warne vor dem Islam, weil der »nicht nur Christen, sondern auch Juden hasst«. Die Antwort der Legida-Gegner, die in Hörweite demonstrierten, ließ nicht lange auf sich warten: »Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda«, schallte es über den Platz.
(Helmut Reister, Wolfram Nagel und Thyra Veyder-Malberg)