Leipzig

Eichmann vertraulich

Gericht lehnt Freigabe der Akten zum NS-Verbrecher ab

von René Martens  01.07.2013 18:39 Uhr

Ein BND-Mitarbeiter vor Gericht? Adolf Eichmann in Jerusalem Foto: Getty

Gericht lehnt Freigabe der Akten zum NS-Verbrecher ab

von René Martens  01.07.2013 18:39 Uhr

Die Entscheidung des Gerichts muss ich akzeptieren», sagt Dieter Graumann. Er fügt jedoch an: «Die Sperrerklärung kann ich aber in keiner Weise nachvollziehen.» Mit dieser Meinung steht der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland nicht allein da. Von Jan Korte, dem Bundestagsabgeordneten der Linken, bis zur «Bild»-Zeitung reicht diese sehr große Koalition.

Am Donnerstag vergangener Woche hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verbergen bestimmter Unterlagen für rechtmäßig erklärt. Hans-Wilhelm Saure, «Bild»-Chefreporter, habe keinen Anspruch darauf, dass «ihm alle Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes über den NS-Verbrecher Adolf Eichmann ungeschwärzt zugänglich» gemacht werden, sagt das Gericht. Der Journalist hatte geklagt, weil ihm der BND nur ausgewählte Akten präsentiert hat – und weil mehr als 600 der ihm vorliegenden Seiten Schwärzungen aufweisen.

Insgesamt hat Saure im Laufe des Verfahrens bisher rund 3250 Seiten erhalten. Legte man sämtliche Dokumente vor, würde «dies dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten», heißt es in der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts von Dezember 2010. Das Kanzleramt hat die Richtlinienkompetenz für den Nachrichtendienst.

Gutachten Wie viele Seiten der BND zurückhält, ist unklar, zumal der Geheimdienst widersprüchliche Angaben über Umfang und Inhalt des Aktenbestandes macht. Darauf verweist die Historikerin Bettina Stangneth, Verfasserin des Buches Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, in einem Gutachten. Die im laufenden Verfahren präsentierten Informationen ließen sich «nicht in Einklang bringen» mit der Aktenauflistung, die der Chef des Kanzleramts, Ronald Pofalla, Jan Korte im vergangenen Jahr auf Nachfrage zuschickte.

Die von den Geheimdienstleuten vorgenommenen Schwärzungen hält Stangneth in vielen Fällen für «inkonsequent». In einem Dokument ist der Name Fritz Fiala unkenntlich gemacht. Der Journalist dachte sich 1942 eines der perfidesten NS-Propaganda-Märchen aus: In einem Artikel über das Konzentrationslager Auschwitz schrieb er, er habe dort «nur lachende Gesichter gesehen». Der weitverbreitete Text kam 1961 im Eichmann-Prozess zur Sprache.

Weil der mit dem Schwärzen beauftragte Geheimdienstmann nur den Namen Fialas unkenntlich machte, aber nicht den ihn eindeutig identifizierbar machenden Zusammenhang, geht aus der im Zuge des Leipziger Verfahrens vorgelegten Akte hervor, dass Fiala, später Redakteur der Saarbrücker Zeitung und rund vier Jahrzehnte Mitglied der Bundespressekonferenz, in seinem postnazistischen Leben unter anderem BND-Agent war.

Obwohl der Geheimdienst keine Mühen gescheut hat, unter anderem im Sinne des «Informantenschutzes» Akten zu schwärzen, hat er also mit einer geschwärzten Akte einen seiner einstigen Helfer enttarnt. Dass der perfide Propagandist Fiala Journalisten der Bundespressekonferenz bespitzelte, wäre nicht herausgekommen, hätte sich der BND nicht so schusselig angestellt.

Auf Stangneths Gutachten gingen die Richter während der Verhandlung nicht ein. Begründung: Sie wollten sich nicht an Spekulationen des Klägers beteiligen. Christoph Partsch, Saures Anwalt, sagt dagegen: «Man produziert Spekulationen, indem man nicht alle Akten vorlegt.» So argumentiert auch Dieter Graumann: «Man sollte gar nicht erst den Eindruck entstehen lassen, dass es hier etwas zu verbergen gibt. Wer glaubwürdig sein will, sollte Transparenz zulassen.»

gegenwart Dass der BND genau dies nicht tut, könnte damit zu tun haben, dass der in der Nachkriegszeit von alten Nazis durchsetzte Dienst in jener Zeit Berichte verfasste, die zumindest peinlich sind. In der sich auf das Jahr 1943 beziehenden Passage über Fiala, mit der der BND ihn enttarnte, firmiert das Vernichtungslager Auschwitz als «ein deutsches Judenlager in den besetzten Ostgebieten». Der Bericht stammt aus dem Jahr 1961.

Außerdem geht es in dem von Saure angestrengten Verfahren offenbar auch um Akten, die in die jüngste Vergangenheit hineinreichen. In der vom Kanzleramt an Jan Korte geschickten Tabelle sind als Abschluss der «Laufzeit» zweier Vorgänge 1987 beziehungsweise 1992 angegeben.

Debatte

Darf man Israel kritisieren?

Eine Klarstellung von Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  21.11.2024

Medienberichte

Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im Alter von 96 Jahren gestorben

In der rechtsextremen Szene wird sie bewundert

 21.11.2024

Washington D.C.

US-Senat gegen Blockade einiger Waffenlieferungen an Israel

Eine Gruppe von Demokraten scheitert mit ihrem Vorstoß

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Russlands Krieg in der Ukraine

1000 Tage Krieg

Die Ukraine hat gerade ein bitteres Jubiläum begangen - 1000 Tage Krieg. Wie leben die Menschen dort, begleitet von so viel Tod und Zerstörung? Streiflichter von einem einzelnen Tag geben einen kleinen Einblick

von Illia Novikov  20.11.2024

Berlin

Prozess gegen Teilnehmer israelfeindlicher Uni-Besetzung eingestellt

Die Aktion an der Humboldt Universität bleibt auch wegen der dort verbreiteten Pro-Terror-Propaganda in Erinnerung

 20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

USA

Trump nominiert Juden für das Handelsministerium

Howard Lutnick ist Chef des New Yorker Finanzunternehmens Cantor Fitzgerald

von Andrej Sokolow  20.11.2024

Wien

IAEA: Iran will Uran-Produktion beschränken

Dabei hat das Mullah-Regime seinen Uran-Vorrat zuvor massiv aufgestockt

 20.11.2024