Der Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, Pinchas Goldschmidt, hat den Internationalen Karlspreis 2024 erhalten. Mit dem 60 Jahre alte Rabbiner wurden am Donnerstag in Aachen zugleich die jüdischen Gemeinden in Europa ausgezeichnet.
Der Karlspreis besteht aus einer Urkunde und einer Medaille. Er wird für Verdienste für die Verständigung in Europa verliehen.
Goldschmidt stehe »wie kein anderer für den Dialog und die Überwindung von Grenzen zwischen Religionen und Völkern«, sagte die Oberbürgermeisterin von Aachen, Sibylle Keupen. Die Auszeichnung stehe auch für die Anerkennung seiner Verdienste und die Entschlossenheit, gegen Antisemitismus und jede Form von Ausgrenzung einzustehen.
Muslime und Juden
In seiner Festrede würdigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den von Goldschmidt mitgetragenen interreligiösen Dialog auch zwischen Muslimen und Juden - Goldschmidt ist Mitgründer des europäischen Muslim-Jewish Leadership Council.
Goldschmidt steht für den interreligiösen Austausch, er betont das Verbindende der Religionen. Der 60-Jährige ist seit 2011 Präsident der Konferenz der europäischen Rabbiner, in der mehr als 700 Rabbiner vertreten sind.
Der in Zürich geborene jüdische Geistliche lebte mehr als 30 Jahre in Moskau. Nachdem er sich geweigert hatte, den russischen Angriff auf die Ukraine zu unterstützen, verließ mit seiner Familie das Land.
»Ermutigung in herausfordernder Zeit«
Seine Dankesrede nutzte Pinchas für ein flammendes Plädoyer für die Menschenrechte. Der Karlspreis für ihn und für alle jüdischen Gemeinschaften sei »eine Ermutigung in einer herausfordernden Zeit«, sagte er.
Der Karlspreis sei eine Auszeichnung, die verpflichte, mahnte der Rabbiner. In der Begründung für die Preisverleihung heiße es, man wolle das Signal setzen, dass jüdisches Leben selbstverständlich zu Europa gehöre und dort kein Platz für Antisemitismus sein dürfe: »Das klingt märchenhaft. Leider ist das Gegenteil ist der Fall. Jüdisches Leben ist eben nicht selbstverständlich, und in Europa ist viel Platz für Antisemitismus.«
Judenhass sei nie tot gewesen: »Aber seit dem islamistischen Pogrom in Israel am 7. Oktober 2023 ist er in einer Art und Weise entfacht, die die Sicherheit und Freiheit jüdischen Lebens - gerade auch in Europa - ernsthaft bedroht.«
»Judenhass tobt sich auf den Straßen aus«
Was dagegen getan werde, reiche bei weitem nicht: »Jüdisches Leben, von der Kita bis zum Seniorenheim, kann nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Judenhass tobt sich auf den Straßen aus, bei Demonstrationen, auf denen offen zum Mord an Juden aufgerufen wird.«
Auch an den Universitäten gebe es »hochgebildete Antisemiten, die den jüdischen Kommilitonen die Luft zum Atmen nehmen«. Jüdische Menschen trauten sich nicht, als jüdisch erkennbar zu sein. Sie lebten in Angst und bangten um ihre Zukunft - für sich, ihre Kinder und Enkel.
»Dem müssen Sie, meine Damen und Herren, etwas entgegensetzen. Die jüdische Gemeinschaft kann es nicht und es ist auch nicht ihre Aufgabe. Es ist die Aufgabe ihrer Heimatländer und Heimatgesellschaften sich gegen die Feinde der europäischen Werte zu erwehren.«
Freilassung der Geiseln
Antisemitismus müsse in all seinen Formen erkannt, benannt und bekämpft werden. Dazu gehöre die uralte rassistische rechtsradikale Gestalt, aber der Judenhass komme auch als »Antizionismus« und »Israelkritik« vor und sickere in Disziplinen wie Postcolonial Studies ein.
Am Ende einigten sich die Radikalen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Judenhass, kritisierte Goldschmidt weiter: »Oder eben: den Hass auf Israel - paradoxerweise die einzige Demokratie im Nahen Osten, die an vorderster Front für die westlichen Werte kämpft.«
Auch er habe Probleme mit der heutigen israelischen Regierung, fügte er hinzu - und »auch mich lassen die Bilder aus dem Gazastreifen nicht kalt, wie könnten sie«? Aber es sei doch offensichtlich: »Die Hamas hat den Krieg begonnen. Und sie könnte ihn sofort beenden. Indem sie die Geiseln freilässt, die Waffen streckt und ihrem eigenen Volk ein echtes Leben ermöglicht.«
Problem der Gesellschaften
Antisemitismus sei nicht zuerst das Problem der Juden, sondern das Problem der Gesellschaften, in denen er herrsche: »Er ist ein Seismograf für ihren Zustand. Extremismus von rechts und links und insbesondere der radikale politische Islam - die Pervertierung einer Religion - gefährden nicht nur das jüdische Europa. Sie bedrohen die Sicherheit, die Freiheit, ja die Zukunft ganz Europas.«
Alle freiheitsliebenden Demokraten müssten endlich wehrhaft werden - nach außen und nach innen, forderte Goldschmidt zum Schluss: »Wann, frage ich Sie, soll nie wieder sein, wenn nicht jetzt?«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte Oberrabbiner Goldschmidt und würdigte ihn als »ein Vorbild gelebter Freiheit«.
Gegenseitiger Respekt
»Mit beeindruckender Konsequenz haben Sie nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine Ihr Amt als Oberrabbiner von Moskau niedergelegt und Russland den Rücken gekehrt«, schrieb Steinmeier in seiner Gratulation an Goldschmidt. »Sie haben nie gezögert, Differenzen klar aufzuzeigen und für ihre Haltung einzustehen.«
»Insbesondere nach dem Überfall der Hamas auf Israel mussten wir einen erschreckenden Anstieg des Antisemitismus auch in unserem Teil der Welt beobachten«, beklagte Steinmeier.
Obwohl in Sorge über diese Entwicklungen lasse sich Oberrabbiner Goldschmidt nicht entmutigen, sondern werbe stets für die europäischen Werte, gegenseitigen Respekts und ein friedliches Miteinander. »Danke, dass Sie dies immer wieder und unbeirrbar tun«, unterstrich der Bundespräsident. dpa/kna/epd