Der diesjährige »Estrongo Nachama Preis für Toleranz und Zivilcourage« ist an die evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin Margot Käßmann verliehen worden. Die 58-Jährige erhielt am Montag die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung für ihre überzeugende Präsentation des Luther-Jubiläums im kommenden Jahr 2017, wie Michael Arndt, Vorstandsvorsitzender der Meridian-Stiftung, sagte.
Frau Käßmann habe es geschafft, neben der Würdigung der reformatorischen Leistungen auch Luthers antijüdische und antisemitische Schriften offen zu kritisieren und entschieden zurückzuweisen. Zudem wolle man mit dem Preis Käßmanns Publikationen zu evangelischem Frauenwiderstand der bekennenden Kirche während des Nationalsozialismus sowie ihr Bekenntnis zu einer friedlichen Außenpolitik würdigen.
Die Auszeichnung fand in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin statt. Die Laudatio auf Käßmann hielt der Journalist und Bild-Herausgeber Kai Diekmann. Er würdigte die christliche Theologin als »Klartext-Frau«, die eindeutige und nicht selten unbequeme Positionen beziehe. »Frau Käßmann vereint Glauben mit Glaubhaftigkeit. Bei aller Begeisterung für den Reformator Luther wagt sie den kritischen Blick auf dessen Antisemitismus. Die mit sinkenden Mitgliederzahlen kämpfende Kirche braucht genau jemanden wie sie«, sagte Diekmann.
Dialog Der Rabbiner und Direktor der Topographie des Terrors, Andreas Nachama, erinnerte an seinen Vater und Namensgeber der Auszeichnung, den langjährigen Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Estrongo Nachama (1918–2000). Wie sein Vater habe sich Käßmann um den interreligiösen Dialog verdient gemacht, so Nachama.
Käßmann forderte in ihrer Dankesrede ein stärkeres Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz. Die Pfarrerin ging dabei auch indirekt auf das starke Abschneiden der rechtspopulistischen Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den jüngsten Wahlen ein. »Wir dürfen nicht ignorieren, was es an Fremdenfeindlichkeit in unserem Land gibt. Wir dürfen auch nicht ignorieren, dass es neuen Antisemitismus durch Zugewanderte aus dem arabischen Bereich gibt«, konstatierte Käßmann.
Die Stiftung Meridian ehrt mit dem Estrongo-Nachama-Preis seit 2012 Menschen, die sich aktiv für diskriminierte Minderheiten einsetzen und sich durch besondere Verdienste im Bereich Toleranz und Zivilcourage hervorgetan haben. In diesem Jahr wurde die Auszeichnung zum vierten Mal verliehen. Vor Margot Käßmann wurden mit dem Preis Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, W. Michael Blumenthal, Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin, und DRK-Präsident Rudolf Seiters geehrt.