Interview

»Durch die israelische Brille«

Interview mit Bijan Djir-Sarai FDP Foto: Detlef David Kauschke

Herr Djir-Sarai, am Donnerstag haben Bundeskanzler Scholz sowie Rednerinnen und Redner aller Fraktionen im Bundestag ihre Solidarität mit Israel erklärt. Sie selbst haben in Ihrer Rede angemahnt, dass diesen Worten jetzt Taten folgen müssen. Welche Taten haben Sie im Sinn
Zunächst einmal ist es gut, dass sich alle so klar positioniert haben. Allerdings muss ich gestehen, dass ich Solidaritätsreden für Israel sehr oft gehört habe, doch persönlich auch erleben musste, dass konkrete politische Handlungen deutlicher hätten sein können – sowohl innen- als auch außenpolitisch.

Zum Beispiel?
Wir wissen, dass die Islamische Republik im Nahen und Mittleren Osten Terror plant und organisiert. Wir wissen, dass sie die Hamas und Hisbollah finanziert. Die Revolutionswächter in Teheran sind nicht nur im Iran, sondern in der gesamten Welt für schlimmste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Und Israel von der Landkarte zu tilgen, das ist nicht nur Revolutionsrhetorik. Das ist ernst gemeint. Aus diesem Grund müssen wir das Regime in Teheran nachhaltig schwächen, beispielsweise indem die Revolutionsgarden endlich auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Wenn es um eine Bewertung der Lage im Nahen und Mittleren Osten geht, empfehle ich uns in Europa, die Dinge durch die israelische Brille zu sehen.

Warum?
Weil die israelische Sicht auf die Entwicklungen in der Region bis zum heutigen Tag eine sehr realistische Sicht ist, und die europäische leider eine sehr naive. Ich habe die Hoffnung, dass wir jetzt endlich anfangen, die Begebenheiten im Nahen und Mittleren Osten etwas differenzierter zu betrachten als es in der Vergangenheit getan wurde.

Was bedeutet diese Zeitenwende in innenpolitischer Hinsicht?
Wir mussten erleben, dass es in Deutschland Menschen gibt, die angesichts der barbarischen Taten der Hamas in Israel feiern, sich über die Massaker freuen und Süßigkeiten verteilen. Dass das in unserem Land möglich ist, ist beschämend. Und es zeugt von einer verfehlten Integrationspolitik. Aber es hat auch damit zu tun, dass man dieses Phänomen in der Vergangenheit bewusst politisch ignoriert hat. Das ist nicht hinnehmbar. Ich habe die große Hoffnung, dass wir jetzt nicht nur eine außenpolitisch differenzierte Betrachtung, sondern auch tatsächlich eine andere innenpolitische Betrachtung an den Tag legen.

Was bedeutet das konkret?
Wir haben in Deutschland klare Gesetze und Regeln. Gegen Straftaten muss aber auch konsequent vorgegangen werden. Wer den Terror gegen Israel feiert, hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Ich bin sehr froh, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am Donnerstag angekündigt hat, dass ein Betätigungsverbot gegen Hamas in Deutschland und auch gegen die israelfeindliche Vereinigung »Samidoun« verhängt wird. Als FDP haben wir uns schon länger für diese Schritte eingesetzt.

Sind Sie dafür, die Zahlungen an die Palästinenserbehörden und entsprechende Organisationen auf den Prüfstand zu stellen oder komplett einzustellen?
Wir als FDP sind der Meinung, dass alle Zahlungen sofort gestoppt werden müssen. Solange, bis der unumstößliche Beweis erbracht ist, dass diejenigen, die von diesen Geldern profitieren, ganz klar das Existenzrecht Israels anerkennen und den deutschen Ansatz einer Null-Toleranz gegenüber Antisemitismus einhalten – und zwar entlang der gesamten »Lieferkette« über alle unmittelbaren und mittelbaren Empfänger dieser Hilfsgelder hinweg.

Israel kämpft gerade um seine Existenz. Werden Sie und Ihre Partei dem Land auch weiterhin zur Seite stehen, wenn in den kommenden Wochen schreckliche Bilder der Folgen des Kampfes gegen die Hamas im Gazastreifen verbreitet werden?
Selbstverständlich. Und das ist auch der entscheidende Punkt. Denn wir werden sehen, dass sich einige von denen, die jetzt große Solidaritätsbekundungen von sich geben, zurückziehen werden, je länger der Konflikt andauert. Aber wahre Solidarität bedeutet nicht nur, für den Augenblick an Israels Seite zu stehen, sondern langfristig. Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen. Und es ist richtig, dass Israel auf diese unmenschlichen Verbrechen der Hamas reagiert. Als früherer Außenpolitiker kann ich unter dem strategischen Gesichtspunkt nur sagen: Wenn Israel in dieser schwierigen Situation sich nicht mit aller Härte verteidigt, werden andere Länder in der Region falsche Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Nach US-Außenminister Antony Blinken und dem britischen Außenminister James Cleverly kommt nun auch Außenministerin Annalena Baerbock nach Israel um die Solidarität Deutschlands vor Ort zu bekunden. Sind das die von Ihnen angemahnten Taten, die den Worten folgen müssen?
Der Besuch der Außenministerin in Israel ist ein wichtiges Zeichen. Aber dieses Zeichen reicht nicht aus. Konkrete Schritte müssen folgen: Die Ausweitung der Sanktionen gegen den Iran gemeinsam mit der EU und den USA, die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation durch die EU, die Aussetzung aller Hilfszahlungen in die palästinensischen Gebiete bis die entsprechenden Prüfungen abgeschlossen sind, das Verhängen eines Betätigungsverbotes gegen Hamas und »Samidoun« in Deutschland und weiteres mehr. Ich erwarte, dass hier unverzüglich gehandelt wird.

Das Interview mit Bijan Djir-Sarai führte Detlef David Kauschke.

Diskussion

»Die kommenden vier Jahre sind entscheidend«

Im neuen Talkformat »Tachles Pur« analysierten vier Hauptstadtjournalisten Positionen der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl

von Ralf Balke  11.02.2025

Berlin

Gedenkort für früheres jüdisches Altenheim gefordert

Die Einrichtung stand dort, wo sich heute das Haus der Statistik befindet

 11.02.2025

Madrid

Der Likud bandelt mit den »Patrioten für Europa« an

Die Netanjahu-Partei erhält bei der rechten europäischen Sammlungsbewegung Beobachterstatus, FPÖ-Chef Kickl jubelt über das Ende der »internationalen Isolation«

von Michael Thaidigsmann  11.02.2025

Leer/Hamburg/Berlin

Trotz Steinmeier-Appell: Schoa-Überlebender gibt Orden zurück

Albrecht Weinberg wird sein Bundesverdienstkreuz zurückschicken – aus Protest gegen das Vorgehen der CDU im Bundestag. Weder der Bundespräsident, noch der CDU-Chef konnten ihn offenbar umstimmen

 11.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025

FU Berlin

Francesca Albanese soll an der FU Berlin sprechen

Nach der Absage an der LMU München soll die UN-Sonderbeauftragte nun in der Hauptstadt sprechen

 10.02.2025

München

»Die AfD ist die stärkste Bedrohung für jüdische Menschen in Deutschland«

Charlotte Knobloch äußert sich zum Vorgehen der Union Woche im Bundestag. Die AfD hatte zusammen mit CSU/CSU und FDP für eine Verschärfung des Asylrechts gestimmt

von Imanuel Marcus  10.02.2025

Interview

»Es gab keine Zusammenarbeit mit der AfD«

Der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz über die Brandmauer zur AfD, den Schutz jüdischen Lebens und die besondere deutsche Verantwortung gegenüber Israel

von Joshua Schultheis, Philipp Peyman Engel, Tobias Kühn  10.02.2025

Meinung

Da kann man sich gleich Björn Höcke einladen

UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese hätte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sprechen sollen. Dabei hat sie sich für den akademischen Diskurs disqualifiziert

von Ralf Balke  10.02.2025