Meinung

Du sprechen Deutsch?

Dmitrij Belkin Foto: Kevin Mertens

Drei Jahre vor seinem Tod, im Sommer 1950, veröffentlichte der 70-jährige Stalin in der »Prawda« drei umfangreiche Abhandlungen. Der alternde Sowjetführer postulierte dort einen universellen Charakter der Sprache, deren grammatikalische Struktur konstant und deren Wirkung auf die Gesellschaft weit wichtiger als »Basis« und »Überbau« sei. Sprache als Machtinstrument also.

Welchen Machtanspruch postuliert die CSU, die »Ausländer« in Deutschland wenig freundlich dazu aufruft, sogar im Privaten Deutsch zu sprechen – statt ihres »Ausländisch«? Auf jeden Fall gilt es für die CSU und andere Träger eines solchen Anspruchs nicht als Vorteil, über den Hintergrund einer anderen, einer weiteren Kultur zu verfügen. Im Gegenteil: So etwas stehe der deutschen Leitkultur massiv im Weg.

Gerne machen sich die Medien über den Mangel an Hochdeutsch in bayerischen Bierstuben lustig. Doch was ist, wenn wir diesen in der Tat hilflosen nationalistischen Sprachanspruch ganz kippen? Hier helfen die Erfahrungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. In dem Diskurs über die Integration der »zugewanderten« Mehrheit der Juden aus der UdSSR in die »alteingesessene« Minderheit ist auch dieser bundesrepublikanische Nationalismus enthalten, den die CSU so überspitzt repräsentiert.

harmonie Der Gemeindenationalismus lautet: »Die ›Russen‹ haben im Gemeindesaal Deutsch zu sprechen.« Wer hat das nicht schon mal gehört? Nun sind aber die »russischen« Kinder groß geworden, sie sprechen hervorragend Deutsch, und Eltern müssen das immer deutscher werdende Russisch ihrer Lieblinge ständig korrigieren. Und zwar zu Hause, also dort, wo die CSU von einer bodenständigen deutschen Harmonie träumt.

Doch das macht nichts: Eine adäquate Antwort auf derlei instrumentalisierende Sprachpolitik, wie sie von der CSU so offen vertreten wird, gibt in der jüdischen Gemeinschaft das Leben selbst. Mittlerweile sind es nämlich »die Russen«, die den eingewanderten Israelis in den Berliner Cafés freundlich näherbringen, dass das Beherrschen der deutschen Sprache hierzulande doch irgendwie hilfreich sein könnte.

Die Toleranz, eine Offenheit für Ängste der anderen und die Selbstironie – das wollte der Genosse Stalin nicht wissen – sind recht gute Mittel, die sprachlichen Wirren zu überwinden. In der deutschen Gesellschaft und in der jüdischen Gemeinschaft des Landes.

Der Autor ist Historiker und Referent beim Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk.

Nürnberg

Jüdische Gemeinde kritisiert Vergabe von Menschenrechtspreis

Die PCFF bringt seit 1995 israelische und palästinensische Familien zusammen, die durch den anhaltenden Nahost-Konflikt ein Familienmitglied verloren haben

 19.11.2024

Rio de Janeiro/Jerusalem/Gaza

G20 fordern mehr Hilfe für Gaza

Laut Erklärung muss Israel mehr Hilfsgüter liefern, obwohl diesen Monat bereits 32.000 Tonnen ankamen

 19.11.2024

Berlin

Staatsrechtler: Neubewertung der AfD öffentlich machen

Muss sich das BfV mit Äußerungen zu Parteien, die unter Extremismus-Verdacht stehen, zurückhalten, wenn Wahlen anstehen? Ulrich Battis meint: nein

 19.11.2024

Antisemitische Hetzjagd

Amsterdams Bürgermeisterin will nicht mehr von »Pogrom« sprechen

Der Begriff würde genutzt, um die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, sagt Femke Halsema

von Nils Kottmann  18.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  18.11.2024

Berlin

Polizeipräsidentin rät Juden zu Vorsicht

Barbara Slowik: Leider gebe es Quartiere mit arabischstämmigen Menschen, die Sympathien für Terrorgruppen hegten

 18.11.2024

Washington D.C.

Familien von Opfern des 7. Oktobers verklagen Iran

Geheime Papiere dienen als Beweise

 18.11.2024

Frankfurt am Main

Soziologe: Juden müssen den Finger in die Wunde legen

Natan Sznaider äußert sich auf der Fachtagung »Jüdisches Leben in Deutschland«

 18.11.2024

Berlin

Ermittlungen wegen Volksverhetzung nach Pro-Terror-Demo

Weitere Straftaten beschäftigen die Beamten ebenfalls

 18.11.2024