Drei Jahre vor seinem Tod, im Sommer 1950, veröffentlichte der 70-jährige Stalin in der »Prawda« drei umfangreiche Abhandlungen. Der alternde Sowjetführer postulierte dort einen universellen Charakter der Sprache, deren grammatikalische Struktur konstant und deren Wirkung auf die Gesellschaft weit wichtiger als »Basis« und »Überbau« sei. Sprache als Machtinstrument also.
Welchen Machtanspruch postuliert die CSU, die »Ausländer« in Deutschland wenig freundlich dazu aufruft, sogar im Privaten Deutsch zu sprechen – statt ihres »Ausländisch«? Auf jeden Fall gilt es für die CSU und andere Träger eines solchen Anspruchs nicht als Vorteil, über den Hintergrund einer anderen, einer weiteren Kultur zu verfügen. Im Gegenteil: So etwas stehe der deutschen Leitkultur massiv im Weg.
Gerne machen sich die Medien über den Mangel an Hochdeutsch in bayerischen Bierstuben lustig. Doch was ist, wenn wir diesen in der Tat hilflosen nationalistischen Sprachanspruch ganz kippen? Hier helfen die Erfahrungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. In dem Diskurs über die Integration der »zugewanderten« Mehrheit der Juden aus der UdSSR in die »alteingesessene« Minderheit ist auch dieser bundesrepublikanische Nationalismus enthalten, den die CSU so überspitzt repräsentiert.
harmonie Der Gemeindenationalismus lautet: »Die ›Russen‹ haben im Gemeindesaal Deutsch zu sprechen.« Wer hat das nicht schon mal gehört? Nun sind aber die »russischen« Kinder groß geworden, sie sprechen hervorragend Deutsch, und Eltern müssen das immer deutscher werdende Russisch ihrer Lieblinge ständig korrigieren. Und zwar zu Hause, also dort, wo die CSU von einer bodenständigen deutschen Harmonie träumt.
Doch das macht nichts: Eine adäquate Antwort auf derlei instrumentalisierende Sprachpolitik, wie sie von der CSU so offen vertreten wird, gibt in der jüdischen Gemeinschaft das Leben selbst. Mittlerweile sind es nämlich »die Russen«, die den eingewanderten Israelis in den Berliner Cafés freundlich näherbringen, dass das Beherrschen der deutschen Sprache hierzulande doch irgendwie hilfreich sein könnte.
Die Toleranz, eine Offenheit für Ängste der anderen und die Selbstironie – das wollte der Genosse Stalin nicht wissen – sind recht gute Mittel, die sprachlichen Wirren zu überwinden. In der deutschen Gesellschaft und in der jüdischen Gemeinschaft des Landes.
Der Autor ist Historiker und Referent beim Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk.