Erst vor Kurzem aus Syrien zurückgekehrt war der 29-jährige Franzose, der Ende Mai im Jüdischen Museum Brüssel ohne Vorwarnung vier Menschen tötete.
Anschlagswarnungen hatte es nicht gegeben. Niemand erwartete einen Angriff. Wie man es von islamistischen Attentaten kennt, hatte auch der Täter von Brüssel ein Video aufgezeichnet, in dem er sich zu seinen Morden bekennt. An seiner Mütze war eine kleine Kamera angebracht, mit der er sich bei der Tat filmen wollte.
deutsche kämpfer Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht auch für Deutschland eine größer werdende Gefahr, die von Rückkehrern aus Syrien und anderen Kriegsgebieten im Nahen Osten ausgeht. 320 deutsche Islamisten, darunter 20 Frauen, seien nach Syrien gereist, um sich dort islamistischen Gruppen anzuschließen und in einem eigens gebildeten »German Camp« ausbilden zu lassen, heißt es beim Inlandsgeheimdienst. Vermutlich acht von ihnen seien bei Kämpfen umgekommen, etwa 100 bereits zurückgekehrt.
Deutschsprachige Islamisten bilden das größte Kontingent ausländischer Kämpfer in Syrien. Viele dieser Islamisten stellten eine »erhebliche Gefahr« dar, sagt Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Die Gefahr besteht, wie nicht erst das Beispiel Brüssel zeigt, vor allem für Juden und jüdische Einrichtungen. Ein großer Teil der Angriffe, die Islamisten in Europa verübten, war antisemitisch und antiisraelisch motiviert: etwa im März 2012, als vor einer jüdischen Schule in Toulouse vier Menschen, drei davon Kinder, ermordet wurden.
tradition Dass Deutsche in den Nahen Osten reisen und mit militärischer Erfahrung zurückkehren, ist kein Novum: Bereits in den 70er-Jahren zog es ebenso Mitglieder der Roten Armee Fraktion zur Ausbildung in palästinensische Terrorcamps wie später Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann, eine paramilitärische Neonazigruppe, aus deren Reihen der Oktoberfest-Attentäter kam. Bei dem Anschlag 1980 wurden 13 Menschen getötet und 211 verletzt. Es war das Attentat mit den meisten Todesopfern in der Geschichte des Bundesrepublik. In den 90er-Jahren nahmen deutsche Neonazis auf kroatischer Seite am Bürgerkrieg in Jugoslawien teil und gaben ihr Wissen an Rechtsradikale in Deutschland weiter. Immer führten diese Terrortouren zu einer gewachsenen Militanz der Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik.
Doch die heutigen Reisen der Dschihadisten nach Syrien oder auch zu den ISIS-Kämpfern in den Irak haben nach Einschätzung des Verfassungsschutzes eine andere, eine neue Qualität: »Früher fuhren Einzelne in Kampfgebiete, kamen zurück und prahlten damit vor allem in ihrem Freundeskreis«, heißt es beim Verfassungsschutz. »Die Propagandawirkung war viel geringer als heute. Jetzt werben sie mit ihren Erfahrungen auf Facebook und Twitter und veröffentlichen YouTube-Videos, in denen sie in Kämpferpose zu sehen sind.« Zwar sei häufig unklar, was Wirklichkeit und was Angeberei ist, aber das sei nebensächlich: »Sie werden von vielen bewundert und verführen viele, ihnen zu folgen.«
Das Problem, sagt der Verfassungsschutz, seien dabei nicht nur deutsche Heimkehrer. Auch Ausländer mit ihrer in Syrien gewonnenen Kriegserfahrung reisten in europäische Länder: »Der Attentäter von Brüssel war kein Belgier, sondern ein Franzose.« Ähnliche Fälle ließen sich auch in Deutschland finden.
Die Sicherheitsdienste versuchen, schon im Vorfeld die Ausreise nach Syrien zu verhindern, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) der Jüdischen Allgemeinen: »Die Reisebewegungen in die Krisenregion Syrien sehen wir mit großer Sorge. Unser vorrangiges Ziel ist es, Ausreisen von potenziellen Gewalttätern in die Kriegsgebiete Syriens durch ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen der Sicherheitsbehörden zu verhindern.«
Das ist aber schwer zu erreichen, denn niemand fliegt direkt nach Syrien, sondern die meisten reisen über Drittstaaten wie die Türkei, den Irak oder Jordanien ein.
radikalisierung Von den Terrortouristen geht eine große Gefahr aus, sagt Jäger: »Gewaltbereite Salafisten, die aus den Bürgerkriegsgebieten zurückkehren, stellen ein Sicherheitsrisiko dar. Unsere Sicherheitsbehörden haben sie deshalb ganz besonders im Visier. Wir wissen, dass die meisten Rückkehrer weiter radikalisiert und in ihrer dschihadistischen Grundhaltung gefestigt sind.« Etliche seien außerdem im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult, hätten dort Kampferfahrung gewinnen und Kontakte zu Gleichgesinnten aus anderen Ländern knüpfen können. »Durch die Kampfhandlungen sind viele verroht und unberechenbar«, sagt Jäger. »Das hat zuletzt der menschenverachtende Anschlag im Jüdischen Museum in Brüssel gezeigt.«
Ganz Westeuropa gilt den Sicherheitsexperten längst als Teil der Kampfzone. Das Ziel von Gruppen wie ISIS ist schließlich nicht weniger als die Weltherrschaft. Dass eine Ausweitung des Kampfes nach Europa möglich ist, zeigt sich an immer mehr Beispielen.