Pegida

Dresdner Verhältnisse

Dresden am Montagabend: 17.500 Menschen demonstrieren vor der Semperoper. Foto: dpa

In Dresden soll das Abendland gerettet werden. Etwa 17.500 Demonstranten kamen am Montagabend zu einem »Weihnachtsliedersingen«, das die Organisatoren der Pegida-Bewegung angekündigt hatten. Die Demonstration der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« verzeichnete nicht nur einen Besucherrekord – angefangen hatte Pegida vor zehn Wochen mit 300 Demonstranten –, sondern sie fand auch an einem neuen Ort statt: dem Theaterplatz vor der Dresdner Semperoper.

euphorie »Bedrohlich« ist ein Wort, das viele Dresdner, die der Pegida nicht nahestehen, zur Beschreibung der Situation benutzt haben. »Die waren erfüllt von Euphorie und Selbstgewissheit«, sagt Olaf Sundermeyer, Rechtsextremismusexperte des RBB und schon seit Wochen ständiger Beobachter der Dresdner Aufmärsche.

Wenn nicht gerade ein Vorsänger Weihnachtslieder anstimmte, wurden auf der Bühne Reden gehalten. Unter dem Gejohle der Teilnehmer wurde eine Art Ranking der »verleumderischsten Medien« verlesen: Auf Platz drei wurde ein Journalist der »Sächsischen Zeitung« namentlich an den Pranger gestellt, Platz zwei und eins gingen an »Spiegel TV« und »Panorama«. Stolz erzählte Pegida-Organisator Lutz Bachmann, wie er einem Team von »Spiegel TV« entkam, weil er dessen Fragen nicht beantworten wollte. »Lügenpresse« ist das häufigste Wort, das von der Menge gerufen wird.

Ein anderer Redner bezeichnete die Gegendemonstration von etwa 4500 Menschen, zu der auch die Jüdische Gemeinde Dresden aufgerufen hatte, als Aufmarsch »rotlackierter SA-Horden«.

npd Am Montag fand sich auch beinahe die gesamte Spitze der rechtsextremen NPD an der Semperoper ein: der neue Vorsitzende Frank Franz, der sächsische Parteichef Holger Szymanski und etliche mehr. Beobachter berichten, dass viele Mitglieder verbotener Kameradschaften aus Sachsen und Brandenburg zu sehen waren.

Mit den organisierten Neonazis sind die Veranstalter von Pegida nicht verbandelt, beide Seiten legen Wert auf Distanz: Die Pegida-Organisatoren etwa zeigen sich nicht mit der NPD, wenngleich die Partei offiziell zur Teilnahme aufruft. Der Vorsitzende der »Jungen Nationaldemokraten«, Sebastian Richter, fordert, Pegida müsse »eine volkstreue Massenbewegung mit der NPD an der Spitze« werden.

Seine Hoffnung speist sich aus einem Umstand, den auch viele Beobachter der Dresdner Verhältnisse bestätigen: Es sei charakteristisch, dass sich hier sogenannte normale Bürger kein bisschen daran störten, wenn neben ihnen ganz offensiv und selbstverständlich Nazis agierten.

In den vergangenen Tagen hatte auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, davor gewarnt, die Bewegung zu unterschätzen. »Hier mischen sich Neonazis, Parteien vom ganz rechten Rand und Bürger, die meinen, ihren Rassismus und Ausländerhass endlich frei ausleben zu dürfen«, sagte Schuster und nannte die Bewegung »brandgefährlich«.

Der Zentralratspräsident zeigte sich auch solidarisch mit den Muslimen in Deutschland, die sich durch die Pegida-Demonstrationen bedroht fühlen. »Klar und deutlich müssen wir sagen: Muslime gehören zu unserem Land«, erklärte Schuster. »Religiöse Minderheiten wie Muslime sind keine Bedrohung für dieses Land, sondern eine Bereicherung.«

In der nächsten Woche will Pegida aussetzen. An ihr Ende ist die Bewegung allerdings noch lange nicht gelangt. Auf ihrer Facebook-Seite wurde das Ziel von 30.000 Teilnehmern angegeben. Auch die Gründung eines eingetragenen Vereins wurde verkündet.

Bundesweit Gestoppt, vorläufig zumindest, scheint das Wachstum der Pegida-Bewegung in anderen Teilen der Bundesrepublik. In Bonn etwa kamen nur rund 200 Teilnehmer zu einer Kundgebung des Bündnisses »Bogida«. Die Anmelderin in der früheren Bundeshauptstadt, Melanie Dittmer, hatte vorab »Spiegel TV« ein Interview gegeben: »Für mich ist es völlig unerheblich, ob es den Holocaust gegeben hat«, sagte sie. »Das ist 70 Jahre her!« Den Bogida-Demonstranten standen in Bonn etwa 2500 Gegendemonstranten gegenüber.

Ähnlich war es in Kassel: Das »islamkritische« Bündnis »Kadiga« fiel mit seiner Kundgebung nicht weiter auf; eine Gegendemonstration hatte hingegen 2000 Teilnehmer. Und in München fanden sich etwa 25.000 Demonstranten ein, um für ein weltoffenes Deutschland zu werben.

Antisemitismus

Polizei sucht nach Tatverdächtigem vom Holocaust-Mahnmal

Der Mann soll einen volksverhetzenden Text in das dortige Gästebuch geschrieben haben

 22.11.2024

Debatte

Theologen werfen Papst einseitige Sicht auf Nahost-Konflikt vor

Ein Schreiben von Papst Franziskus zum Nahost-Krieg enthalte einen »blinden Fleck im Denken«

 22.11.2024

Debatte

CDU-Ministerpräsident verurteilt Haftbefehl gegen Netanjahu

»Völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt«

 22.11.2024

CDU/CSU

Unionspolitiker: Verhaftung von Netanjahu auf deutschem Boden »unvorstellbar«

Die größte Oppositionsfraktion kritisiert die fehlende Haltung der Bundesregierung

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

»Halten uns an Recht und Gesetz«: Jetzt äußert sich die Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock will aber noch genauer prüfen, was der Entscheid des IStGH bedeutet

 22.11.2024

Budapest

Orbán: »Werde Netanjahu nach Ungarn einladen«

Regierungschef Viktor Orbán will seinen israelischen Amtskollegen trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes weiter empfangen

 22.11.2024

Atomprogramm

Iran kündigt Ausbau der Urananreicherung an

Der Atomstreit mit dem Iran geht in eine neue Runde

 22.11.2024

Kriminalität

»Schwachkopf«-Post zu Habeck: Jetzt melden sich die Ermittler zu Wort

Ein Mann soll Wirtschaftsminister Habeck im Netz beleidigt haben. Dass dann die Polizei zu Besuch kam, sorgte nicht nur im Umfeld des Vizekanzlers für Verwunderung. Die Ermittler liefern Erklärungen

von Frederick Mersi  21.11.2024