Alles hat eine Vorgeschichte. Auch für die Motive von Frank-Walter Steinmeier, vor einem Jahr Experten damit zu beauftragen, den Umgang seiner Amtsvorgänger mit der NS-Vergangenheit aufarbeiten zu lassen, gibt es eine. »Als ich im März 2017 mein Amt als Bundespräsident antrat, war mir Hugo Heymann völlig unbekannt«, so das Staatsoberhaupt anlässlich der Präsentation des Zwischenberichts vor wenigen Tagen im Schloss Bellevue in Berlin. »Inzwischen fühle ich mich diesem Mann auf eine ganz besondere Art und Weise verbunden, und das hat einen guten Grund: Meine Frau und ich wohnen für die Dauer meiner Amtszeit in dem Haus, in dem einst Hugo Heymann und seine Frau Maria gewohnt hatten.«
Heymann war der Vorbesitzer der Villa in Berlin-Dahlem. Als Jude hatte er unter Druck das Anwesen schon 1933 weit unter Wert verkaufen müssen. Aber nicht nur das. 1938 starb er an den Folgen von Gestapo-Haft und Misshandlungen.
Für Steinmeier war dieses Wissen um das Schicksal von Heymann nicht nur der Anlass, sich mit der Geschichte der Dienstvilla näher zu beschäftigen, sondern gleich das gesamte Bundespräsidialamt unter die Lupe nehmen zu lassen. »Denn auch hinter den Fassaden des Staates liegt vieles noch im Dunkeln. Vieles ist noch nicht ausreichend ausgeleuchtet und nicht erzählt«, so der Bundespräsident. »Gerade das Amt des Staatsoberhaupts darf hier nicht fehlen.« Deshalb wurde vor einem Jahr ein ambitioniertes Forschungsvorhaben angestoßen. »Das Bundespräsidialamt und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus 1949–1994« heißt es.
KONTINUITÄTEN »Die Frage, die dieses Projekt beantworten will, lautet in ihrer allgemeinsten Form: Wie positionierten sich die Bundespräsidenten in dem 1949 neu entstandenen Bundespräsidialamt zum Nationalsozialismus?«, so sein Leiter, der Historiker Norbert Frei, Professor an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Dabei stehen nicht nur personelle und ideologische Kontinuitäten im Vordergrund.
Es geht ebenfalls darum, wie die NS-Vergangenheit in Reden, bei Staatsbesuchen oder sonstigen Verpflichtungen, die in ihren Terminkalendern standen, thematisiert wurde. »Welche Rolle und Bedeutung im Prozess der von vielen Deutschen zuerst abgelehnten und dann sich schrittweise entwickelnden Beschäftigung mit der etwas vernebelnd bezeichneten ›jüngsten Vergangenheit‹ nahmen sie alle ein?«
Frei verweist in diesem Kontext auf intergenerationelle Beziehungsgeflechte und nennt Rücksichtnahmen auf politische Stimmungen als Gründe, warum Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann sowie Walter Scheel, Karl Carstens und Richard von Weizsäcker dabei eher als Moderatoren denn als Avantgarde zu betrachten sind. »Sie haben den Deutschen jedenfalls nichts oktroyiert.«
nsdap-mitglieder Auch ihre Mitarbeiter befinden sich im Blickfeld der Forscher. So hat man herausgefunden, dass rund ein Drittel der Mitarbeiter, die vor 1929 geboren wurden, ehemalige NSDAP-Mitglieder waren.
Einen von ihnen stellt Frei exemplarisch detailliert vor, und zwar Manfred Klaiber, den ersten Chef des Bundespräsidialamts. Dieser sei im Unterschied zu Theodor Heuss »als Staatsdiener alles andere als ein unbeschriebenes Blatt« gewesen. Denn der Karrierediplomat war bereits im Oktober 1934 in die NSDAP eingetreten. Aus dieser Personalie habe sich für Heuss in den folgenden Jahren »einiges an öffentlichem Erklärungsbedarf ergeben«.
Rund ein Drittel der Mitarbeiter waren ehemalige NSDAP-Mitglieder.
Bemerkenswert sind ebenfalls die Bezeichnungen der Sachgebiete, die die verschiedenen Referatsleiter in der Führungsebene unterhalb von Klaiber zu betreuen hatten und die eine vergangenheitspolitische Relevanz besitzen. Da geht es – so wörtlich – um das »Judenproblem und die Displaced Persons« oder die »sogenannten Kriegsverbrechen«. Frei verweist ferner darauf, dass einzelne Referatsleiter wie Albert Einsiedler, der unter anderem in der SA aktiv war, über zwei Jahrzehnte die Arbeit des Bundespräsidialamts prägen sollten.
VORGÄNGER Im Anschluss an die Präsentation diskutierte Steinmeier noch mit Frei, aber auch mit Sybille Steinbacher, Direktorin des Fritz Bauer Instituts, sowie dem Publizisten Robert Leicht über die Rolle seiner Vorgänger im Prozess der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit in der »alten« Bundesrepublik.
»Alles muss auf den Tisch«, so lautete die Forderung von Leicht, der ebenfalls einiges über die Rezeption der NS-Geschichte zu erzählen wusste. Und Steinbacher erinnerte noch einmal an den ersten Bundespräsidenten. »Heuss war der Vermittler und die Ansprechperson der wiederentstehenden jüdischen Gemeinden.« Zudem hatte er den Blick auf die Hitler-Attentäter vom 20. Juli neu definiert.
Aber auch Steinmeier beschäftigte dabei eine Frage, und zwar, warum Richard von Weizsäcker 1985 mit seiner Formel vom 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung so viel Aufmerksamkeit erreichen konnte und Walter Scheel, der 1971 bereits dieselben Worte gewählt hatte, dagegen keine Resonanz erfuhr? »Ist Scheel etwas ungerecht behandelt worden?« Die weiteren Forschungen der Historiker an dem Projekt werden vielleicht helfen, Antworten zu finden.