Antisemitismus

»Digitales Stoppschild«

Huberta von Voss-Wittig
Huberta von Voss Foto: Nestor Barbitta

Antisemitismus

»Digitales Stoppschild«

Huberta von Voss über judenfeindliche Postings in sozialen Netzwerken

von Michael Thaidigsmann  21.05.2021 08:53 Uhr

Frau von Voss, Deutschland erlebt dieser Tage wieder offen zur Schau gestellten Antisemitismus. Welchen Anteil daran hat das Internet?
Die sozialen Medien sind nicht nur Brandbeschleuniger, sondern ein wesentlicher Motor des Hasses. Durch Algorithmen werden Hassbotschaften amplifiziert. Das Argument der Meinungsfreiheit zieht hier nicht, denn Hass ist keine Meinung. Besonders rechtsextreme Akteure haben eine klare Strategie, die Mehrheitsgesellschaft mit ihrer Ideologie zu infizieren. Es ist also fünf nach zwölf, was die Regulierung des Internets angeht.

Ihr Institut hat jüngst soziale Netzwerke auf antisemitische Postings hin untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Die Verbreitung von antisemitischem Hass geht seit Beginn der Corona-Pandemie durch die Decke. Alle Altersgruppen sind betroffen. Es werden auch Leute in den Strudel hineingezogen, die nicht zum politischen Rechtsextremismus gehören. Der Schutzwall gegenüber den Extremen erodiert spürbar. Und die Plattformbetreiber sind nicht glaubwürdig, sie tun viel zu wenig gegen den Judenhass.

Ist das nicht in erster Linie ein Problem bei Telegram?
Nein, wir sehen es auf allen sozialen Netzwerken, auch den großen. Allerdings fallen Messenger-Dienste wie Telegram bislang nicht unter die gesetzliche Regulierung, wie wir sie in Deutschland mit dem NetzDG kennen. Darüber hinaus löscht Telegram so gut wie nicht. Es gibt keinerlei Möglichkeit, sich Zugang zu diesen Daten zu verschaffen – noch nicht einmal für die Justiz. Es ist unfassbar, dass wir als Demokratie solche Wildwestszenarien zulassen.

Welche Rolle spielt antisemitische Hetze außerhalb Deutschlands?
Das ist ein globales Phänomen und verbreitet sich insbesondere durch Meme-Datenbanken wie ein Ölteppich. Oft als Witz getarnt, werden die Normen des Sagbaren verschoben. Hinzu kommt der Nexus von Verschwörungserzählungen und Judenhass. Grenzenlose Kommunikation birgt Chancen bei Reformthemen wie dem Klimaschutz, aber eben auch enorme Sicherheitsrisiken für Minderheiten.

Was kann man tun?
Neben der staatlichen Regulierung, die wichtig ist, gilt es auch, die wirtschaftliche Seite zu beachten. Unternehmen, die in sozialen Netzwerken Werbung schalten, sollten darauf achten, dass diese nicht neben extremen Inhalten platziert wird. Sie sollten ihre Werbebudgets abziehen, wenn Plattformen antisemitische Inhalte verbreiten. Das Geschäftsmodell Letzterer muss sich ändern. Wir brauchen mehr digitale Zivilcourage und Gegenrede und sollten ein digitales Stoppschild aufstellen, wenn uns Hass im Netz begegnet.

Das Interview mit der Geschäftsführerin des Deutschlandbüros des britischen Institute for Strategic Dialogue führte Michael Thaidigsmann.

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert