Das Thema Nationalsozialismus war ihr sichtlich unangenehm. »Warum verdrehen Sie da die Augen?« fragte Caren Miosga ihren Studiogast, die AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, zu Beginn der Talkshow am Sonntagabend.
»Mach ich doch nicht«, antwortete die spitz. Doch die Kameras hatten Weidels genervten Blick schon eingefangen, als Miosga die Gedenkstunde zum Holocaust-Gedenktag am vergangenen Mittwoch im Deutschen Bundestag erwähnte. Der Überlebende Roman Schwarzman aus Odessa hatte dort zu den Abgeordneten gesprochen.
Wie denn die Alternative für Deutschland der Opfer der NS-Zeit gedenke, wollte Miosga wissen. Weidel musste sich offenbar noch finden und antwortete langsam und bedächtig: »Wir haben ebenfalls der Rede, der sehr andächtigen Rede, gelauscht, und wir haben auch Beifall geklatscht. Natürlich. Und für uns steht die Existenz Israels an erster Stelle. Ich weiß, dass das Framing ein komplett anderes ist, das mediale Framing. Aber es ist nun mal so, und wir gedenken dem Holocaust (sic!) zusammen mit den Juden in der AfD. Das ist eine Vereinigung bei uns.«
Ein paar Hundert Mitglieder habe diese Organisation innerhalb der Partei, so Weidel. »Fast im vierstelligen Bereich« seien die Mitgliederzahlen der »Juden in der AfD« mittlerweile, auch wenn sie betonte, das so genau nicht zu wissen. Bei Gründung der Gruppe im Oktober 2018 war von gerade einmal zwei Dutzend Mitgliedern die Rede, im Jahr 2022 dann nur noch von 19. Offiziell hält sich die Vereinigung »Juden in der AfD« über ihre Mitgliederzahlen bedeckt.
Miosga ging nicht weiter darauf ein. Was denn ihre persönlichen Lehren aus Auschwitz seien, wollte sie von Weidel wissen. Ihre Antwort: »Dass so etwas natürlich nicht nochmal passieren darf, und das wird es ja auch nicht.« Dann versuchte die 45-Jährige, sich und ihre Partei als Opfer der Medien und der etablierten Parteien zu präsentieren. »Recht verstörend« sei es, wenn der Holocaust für eine »politische Instrumentalisierung« genutzt werde. »Das Gedenken an diese schweren Verbrechen sollte über der Tagespolitik stehen«, so die AfD-Kanzlerkandidatin.
Und über die Tagespolitik wollte sie reden, das machte Weidel mehrfach klar. Doch Miosga ließ nicht locker, bohrte nach. Sie kam auf den von Weidel in der Vergangenheit verwendeten Begriff von einem »Schuldkult« zu sprechen, der in Deutschland angeblich praktiziert werde.
Erst gab sich die AfD-Chefin skeptisch, den Begriff in jüngster Zeit überhaupt verwendet zu haben (»Schuldkult mag ich vor Jahren mal gesagt haben«). Doch dann legte sie plötzlich den Schalter um und sagte: »Ich glaube nicht, dass wir permanent zurückblicken sollten, aus einem Schuldkult heraus.« Ob sie denn wisse, aus welchem problematischen Milieu der Begriff stamme, wollte Miosga wissen. Weidels flapsige Antwort: »Das interessiert mich nicht, das brauche ich gar nicht zu wissen.«
Als die Interviewerin ihr vorhielt, sich hier eines Begriffs aus dem rechtsextremen Bereich zu bedienen, keilte Weidel zurück: »Na ja, Schuldkult ist Schuldkult. Also mittlerweile gibt es ja so einige Sachen, die man nicht mehr sagen darf. Wenn man Schwachkopf nicht mehr sagen darf zum total unfähigen Energie- und Wirtschaftsminister …« Eine Anspielung auf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der einen Mann anzeigte, nachdem dieser ihn als solchen beschimpft hatte.
Nichtwissen zur Schoa: Schuld sind für Weidel die Zuwanderer
Das sei ja wohl nicht dasselbe, fand Miosga. Doch, das sei es, erwiderte Weidel. Die Moderatorin blieb beim Thema und wehrte den durchsichtigen Versuch der Politikerin ab, endlich auf andere Themen zu sprechen zu kommen.
Stattdessen wurde sie von Miosga auf neueste Studien angesprochen, wonach rund 40 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nicht mehr wissen, dass die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden ermordeten. Gefragt, ob man denn nicht viel mehr über die Herrschaft der Nationalsozialisten reden müsse, antwortete Weidel: »Also, ich glaube, dass wir schon in den Schulen genug darüber reden und dass wir alle auch historisch gebildet und geschult sind.«
Grund für das gewachsene Nichtwissen unter jungen Leuten sei wohl, dass es einen enormen Zustrom an Migranten gegeben habe in den letzten Jahren. Die Studie würden dem nicht Rechnung tragen, behauptete sie, ohne Belege vorzulegen.
Auch zum bekanntesten Unterstützer der AfD, dem US-Milliardär Elon Musk, wurde Weidel befragt. Musk hatte bei einem Online-Auftritt auf einer AfD-Wahlkampfkundgebung vergangene Woche kritisiert, in Deutschland liege der Fokus zu sehr auf »vergangener Schuld«. Warum sie sich eigentlich »von einem südafrikanisch-kanadischen US-Amerikaner Lektionen in Geschichte erteilen« lasse, fragte Miosga Weidel etwas spöttisch. Die pochte auf Meinungsfreiheit. »Er kann doch sagen, was er möchte. Sie können ihn ja einladen«, lautete die Antwort der AfD-Kanzlerkandidatin.
Keine Verharmlosung der Nazi-Pogrome?
Ihre offensichtliche Strategie, unangenehme Fragen zu Parteifreunden und Unterstützern mit einem »Fragen Sie die doch selbst« zu parieren, hielt Weidel auch später durch. Politische Verantwortung für die Aussagen anderer in der AfD übernahm sie nicht. Auch nicht für Christina Baum aus Baden-Württemberg, die einen Angriff auf ihr Wahlkampfbüro mit den Novemberpogromen der Nazis verglichen hatte.
Ob das nicht eine Verharmlosung dessen sei, was 1938 passiert sei, fragte Miosga.
Weidel: »Hier geht man doch auf Andersdenkende los. Also, auf AfD-Funktionäre werden permanent physisch Angriffe verübt. Wir haben eine hohe Gefährdungslage. Uns werden die Häuser beschmiert.«
Miosga: »Die Reichskristallnacht vergleichen Sie mit einem Angriff auf ein Wahlkreisbüro?«
Weidel: »Nein, Sie framen das so. Wenn Sie darüber weiter diskutieren wollen, dann laden Sie Christina Baum ein. Ich sage einfach nur, dass wir eine konservativ-liberale Partei sind. Lesen Sie unser Wahlprogramm, dann können wir uns darüber unterhalten. Aber über sowas - ich weiß nicht, wo das hinführen soll, was Sie damit erreichen wollen.«
Miosga versuchte es mit einem anderen Beispiel. Was denn mit dem Dortmunder AfD-Mann Matthias Helferich sei, der sich als »das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus« bezeichnet hatte und trotzdem in Nordrhein-Westfalen wieder als Kandidat der AfD für den Bundestag aufgestellt worden sei. »Wollen Sie oder können Sie sowas nicht verhindern?«, fragte Miosga.
Weidel unternahm ein Ablenkungsmanöver. »Ich würde Ihnen Folgendes empfehlen: Wenn wir über Extremismus reden wollen, dann sollten wir erstmal definieren, was extremistisch heißt.« In Weidels Definition, das machte sie sodann klar, bedeutet extremistisch in erster Linie, »wenn völlig rechtswidrig gegen das Grundgesetz, das Asylgesetz, gegen internationales Recht die Grenzen geöffnet werden.«
Es war nicht das erste Mal, dass Alice Weidel in jüngster Zeit versucht hatte, die Definitionshoheit über Begriffe zu bekommen. Adolf Hitler nannte sie im Gespräch mit Elon Musk vor vier Wochen einen »Sozialisten« und »Kommunisten«. Es bestehe doch kein Zweifel daran, dass die Nazis Linke gewesen seien, sagte sie damals. Und beharrte anschließend trotz Kritik darauf, dass ihre historisch fragwürdigen Thesen richtig seien.
Es geht um Deutungshoheit
Den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, dessen Partei der christdemokratischen Parteienfamilie angehört, bezeichnete Weidel bei Miosga ebenfalls als »links«. Tusk hatte die AfD vergangene Woche in den sozialen Netzwerken scharf kritisiert und ihr Nähe zu nationalsozialistischen Ideen vorgeworfen. Manche Begriffe klängen nur »allzu vertraut und bedrohlich«, hatte er auf X geschrieben.
Einwände von Miosga, Tusk sei doch ein Konservativer und kein Linker, ließ Weidel auch hier nicht gelten. Und gab sich genervt von der Kritik. »Diese ganze Holocaust-Anheftung an die AfD ist nicht nur falsch, sie ist auch noch absolut geschichtsvergessen und nervtötend.«
Dann drohte sie der Interviewerin fast schon: »Sie kommen damit auch überhaupt nicht weiter, hier weiter herum zu bohren. Weil es permanent dieses gleiche Framing ist, was völlig falsch ist. Ich weise das von mir persönlich weit zurück, und auch von der Partei.« Extremistisch sei es vielmehr, so Weidel, »dass dieses Land so zugrunde gerichtet wird, entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Darüber können wir uns gerne unterhalten.«
Erst dann tat Caren Miosga Alice Weidel den Gefallen und kam auf die Wirtschaftspolitik und andere aktuelle Themen zu sprechen. Aber nicht ohne festzuhalten, dass sie auf ihre Fragen keinen Antworten bekommen hätte.