Manch einer wird sich fragen, ob 70 Jahre nach dem Holocaust eine Interessenvertretung für die jüdischen NS-Verfolgten noch benötigt wird. Die Antwort ist ein klares Ja. Die heute noch lebenden 500.000 Überlebenden der Schoa brauchen, hochbetagt und gebrechlich, mehr denn je tätige Hilfe und Unterstützung.
Die Bedarfslage von NS-Opfern hat sich 70 Jahre nach Kriegsende grundlegend geändert. Die Sorgen der zumeist jungen Überlebenden galten in den ersten Jahrzehnten nach der Verfolgung, die sie allein, entwurzelt, mittellos und ohne Berufsausbildung zurückgelassen hatte, dem Aufbau einer eigenen Familie und der beruflichen Orientierung.
Armutsgrenze Etlichen gelang der Neuanfang glänzend; andere haben den Weg in eine gesicherte Existenz nie mehr finden können, mit gravierenden Folgen für die materielle Sicherung des Lebensabends. Heute lebt rund die Hälfte der Überlebenden unterhalb der Armutsgrenze, wie sie im jeweiligen Land gilt.
Die Anforderungen an die Altersbetreuung von Holocaust-Überlebenden sind aufgrund der NS-Verfolgung besonderer Art. Bei vielen Überlebenden ist ein betreuendes familiäres Umfeld infolge der Ermordung ganzer Familienverbände nicht vorhanden. Lang anhaltende Mangelernährung, körperliche Auszehrung und Kälte während der Verfolgung rufen Erkrankungen hervor, die erst im fortgeschrittenen Alter zutage treten.
Extrembelastung Die Trennung und Ermordung von Angehörigen und Extrembelastungen wie die allgegenwärtige Todesangst während der Verfolgung sind Ursachen für psychische Folgeleiden. Allgemeine Einrichtungen der Seniorenbetreuung können selten damit umgehen, und allein die Vorstellung, mit Tätern aufs Engste zusammenzuleben, ist unerträglich.
Mit Unterstützung der Bundesregierung versucht die Claims Conference dieser schwierigen Situation mit eigens zugeschnittenen Programmen in mehr als 40 Ländern zu begegnen.
Für die wenigen, die die Verfolgung überlebten, muss ein Lebensabend in Würde sichergestellt werden. Dies ist eine Pflicht, die sich aus dem Selbstverständnis der heutigen deutschen Gesellschaft ergibt.
Der Autor ist Deutschland-Repräsentant der Claims Conference.