Herr Klein, welche Erfolge sind in der zu Ende gehenden Legislaturperiode auf Ihren Themenfeldern Antisemitismus und jüdisches Leben erzielt worden?
Umgesetzt wurden vier von fünf Forderungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus: die Berufung eines Bundesbeauftragten sowie eines unabhängigen Beratungskreises aus jüdischen und nichtjüdischen Expertinnen und Experten zur Beratung und Unterstützung des Beauftragten, die auf Dauer angelegte Erfassung von antisemitisch motivierten Vorfällen, die unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen, über den Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) und die Einrichtung der Bund-Länder-Kommission, in der ich mit allen Beauftragten der Bundesländer zusammenarbeite. Und wir haben eine langfristig angelegte Forschungsförderung zum Thema Antisemitismus auf den Weg gebracht.
Und was ist der fünfte Punkt, der noch aussteht?
Dabei handelt es sich um eine dauerhafte Förderung von Trägern der Antisemitismusprävention, um bürgerschaftlichen Akteuren größere Verlässlichkeit und mehr Planungssicherheit zu geben. Denn beim »Wehrhafte-Demokratie-Gesetz« liegt keine Einigung der Koalitionsfraktionen vor. Die Träger leisten wertvolle Arbeit auf dem Feld der Prävention.
Wenn wir noch einmal auf die Erfolge blicken: Können Sie Beispiele nennen, was die Umsetzungen konkret bedeuten?
Meine Aufgabe ist es, Maßnahmen der Bundesregierung, die den Antisemitismus bekämpfen, ressortübergreifend und als Mittler zwischen Bund, Ländern und Zivilgesellschaft zu koordinieren. Dafür haben wir nun langfristige Strukturen geschaffen, die es ermöglichen, den Kampf gegen Antisemitismus strategisch anzugehen. Erst kürzlich haben wir beispielsweise mit der Kultusministerkonferenz und dem Zentralrat der Juden in Deutschland eine gemeinsame Erklärung mit Empfehlungen veröffentlicht, wie Antisemitismus an Schulen besser bekämpft werden kann: Lehrer fortbilden, Meldepflicht für antisemitisch motivierte Vorfälle, Schulbücher in allen Fächern unter die Lupe nehmen.
Wie sieht es im Bereich der Gesetzgebung aus?
Ich begrüße die Verschärfung des Strafrechts, um judenfeindliche Straftaten besser sanktionieren zu können, es war notwendig. Das ging auf meine Anregung zurück. Mit dem Gesetz gegen Hass und Hetze haben wir künftig ein sehr gutes Instrument für die repressive Ebene, um gegen Antisemitismus im Internet vorzugehen. Auch begrüße ich den Beschluss des Bundestages, das Gesetz zur Namensänderung von 1938 zu novellieren und dabei sprachlich um Begriffe und Formulierungen aus der Zeit des Deutschen Reiches zu bereinigen. Hierfür hatte ich mich eingesetzt, ebenso wie für die Einführung eines neuen Straftatbestands der »verhetzenden Beleidigung« sowie eine Anpassung der Juristenausbildung.
Was hat sich bei der Förderung von jüdischem Leben getan?
Im Juni ist der neue Militärbundesrabbiner Zsolt Balla in sein Amt eingeführt worden. Damit gibt es erstmals nach rund 100 Jahren wieder eine jüdische Militärseelsorge in Deutschland. Das ist ein starkes politisches Zeichen gegen Antisemitismus und unterstreicht die Bedeutung jüdischen Lebens - nicht nur in der Truppe, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Und im September wird der Grundstein für die Jüdische Akademie in Frankfurt am Main gelegt. Insgesamt ist die Gesellschaft sensibilisierter für das Thema Antisemitismus geworden.
Woran machen Sie das fest?
Das Thema ist sichtbarer geworden. Eine breite Öffentlichkeit ist überzeugt, dass Antisemitismus nicht nur Juden betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft angeht und dass er die Demokratie gefährdet. Das hat man zum Beispiel an Solidaritätskundgebungen gesehen, als es im Mai antisemitische Proteste und Vorfälle an Synagogen in Deutschland gab. Das war 2014 noch nicht so. Auch die Medien berichten differenzierter. Mehr Menschen als früher ist nach meiner Einschätzung auch klarer geworden, dass in Deutschland lebende Juden nicht für Vorgänge in Israel verantwortlich gemacht werden können.
Wo sehen Sie insgesamt die Gesellschaft in Deutschland, wenn es um das Vorgehen gegen Antisemitismus geht? Immerhin gab es zuletzt Höchststände bei den erfassten antisemitisch motivierten Straftaten, deren Zahl 2020 um 15,7 Prozent auf 2351 stieg.
Wir sind auf dem richtigen Weg, mehr Menschen in der Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren. Es ist allerdings noch viel Luft nach oben. Die Corona-Pandemie hat in furchtbarer Weise einen Anstieg der Judenfeindlichkeit befördert. Es ist zugleich so, dass Betroffene Straftaten heute eher anzeigen als früher, das sagen uns auch die Sicherheitsbehörden. Das Dunkelfeld ist aber nach wie vor riesig. Deshalb gibt es den Bundesverband der Meldestellen RIAS, der es in Teilen erhellen kann.
Wie kann es gelingen, jüdisches Leben noch mehr ins Bewusstsein der Bevölkerungsmehrheit zu bringen?
Erfreulicherweise gibt es bundesweit Initiativen, die über jüdisches Leben informieren, Veranstaltungen und Konzerte auf die Beine stellen. So ist die sanierte Synagoge in Görlitz nun als ein Kulturforum wiedereröffnet worden. Im westfälischen Epe organisiert etwa ein Verein in der alten, 1938 nicht in Flammen aufgegangenen Synagoge Veranstaltungen, in vielen anderen Bundesländern gibt es ähnliches. Zudem setzt das aktuelle Festjahr »1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« mit seinen vielen Veranstaltungen Impulse.
Abschließend eine Frage zu Ihnen, zum Beauftragten: Wie wird dieses Amt unter der neuen Bundesregierung ausgestaltet?
Ich bin per Kabinettsbeschluss ernannt worden. Die künftige Regierung müsste mich zumindest konkludent bestätigen. Parteiübergreifend habe ich viel Unterstützung bekommen. Eines meiner Vorhaben für die nächste Legislaturperiode wäre die Erarbeitung einer nationalen Strategie gegen Antisemitismus, für die ich noch in dieser Legislaturperiode Eckpunkte vorlegen möchte. Künftig ist ja auch die Berufung eines Anti-Rassismusbeauftragten geplant. Wie dieses Amt organisiert sein wird, davon ist auch die weitere Struktur meines Aufgabenbereiches abhängig. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit der betreffenden Person.
Das Interview mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus führte Leticia Witte.