Es sei das Anliegen, für jüdisches Leben in Deutschland »zu werben und Vorurteile abzubauen«, sagt Christine Hesse, Redakteurin der neuesten Ausgabe des Themenheftes Informationen zur politischen Bildung, das sich mit dem jüdischen Leben in Deutschland beschäftigt. Bei einer Auflage von 800.000 Exemplaren eine große Chance, vor allem Jugendlichen zu zeigen, dass sich das jüdische Leben hierzulande in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verändert hat. Dass sich Judentum nicht auf einen Schoaüberlebenden als Zeitzeugen im Geschichtsunterricht, eine Klassenfahrt nach Buchenwald oder Ehrbekundungen der Politprominenz reduzieren lässt.
Doch der Blick auf das neue Heft fällt ernüchternd aus. Von den knapp 70 Text-Seiten entfallen 67 Seiten auf die Vergangenheit. Die drei verbleibenden Seiten beschäftigen sich auch nur ansatzweise mit der aktuellen Situation. Eines von zwei Fotos zeigt ausgerechnet das Berliner Holocaust-Mahnmal. Etliche Zeilen werden auf die verstorbenen Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski, Ignatz Bubis und Paul Spiegel und den Walser-Bubis-Streit von 1998 verwandt. Ein weiterer Vergangenheitsbezug im aktuellen Teil: die in vielen Städten verlegten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, die ohne jegliche Erklärung als »umstritten« bezeichnet werden. Wenigstens der Zeitungsausschnitt aus der Zeit vom Februar dieses Jahres geht auf aktuelle Entwicklungen ein.
korrekturen »Wir haben großen Wert darauf gelegt, die Geschichte jüdischen Lebens von den Anfängen bis in die Gegenwart so genau wie möglich nachzuzeichnen«, erklärt Chefredakteur Jürgen Faulenbach. Auch sollten Fehler des Vorgängerheftes behoben werden. Mit Arno Herzig, emeritierter Professor in Hamburg, hat die Redaktion ausgerechnet einen Spezialisten der Frühen Neuzeit für die Texte gewonnen. Profunde Sachkenntnis, eine übersichtliche und ausgewogene Darstellung, all das kann man dem gewissenhaften Projekt nicht absprechen. Auch der Wunsch der Redaktion, jüdische Geschichte nicht als bloße Leidensgeschichte darzustellen, sondern den jüdischen Beitrag zur europäischen Kultur herauszustellen, ist durchaus gelungen.
Nur wird es dem Anspruch, für jüdisches Leben zu werben, gerecht? Hier hätte gerade ein Themenheft ganz andere Wege beschreiten können. Doch selbst das Titelblatt – eine Straßenszene am Berliner Centrum Judaicum – spiegelt kaum jüdisches Leben wider. Immerhin erhebt die Bundeszentrale mit diesem Heft den Anspruch, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu zeigen: »Ja, ihr gehört zu uns, ihr seid Teil unserer Kultur«. Gleichzeitig, so Hesse, wolle man Nichtjuden auffordern, sich der »jüdischen Kultur zu öffnen«.
Historisiert Doch wie soll das eine so dezidiert historische Darstellung leisten? Warum nicht der Blick in eine Gemeinde? Warum nicht einfach mal ein Porträt eines Studenten vom Rabbinerseminar? Warum finden all die Sorgen und Nöte der Zuwanderer keinen Raum, die Einweihung neuer Synagogen, Kindergärten und Schulen?
Faulenbach räumt Defizite bei der Darstellung jüdischer Geschichte beim Unterrichtsmaterial ein. Hier müsse man nachhelfen. Das Themenheft zum jüdischen Leben in Deutschland tut dies im Gegensatz zu anderen Ausgaben der Reihe, etwa zur Familienpolitik oder zur deutschen Außenpolitik, nicht.