Frau Eschebach, Sie haben in den vergangenen 15 Jahren die Gedenkstätte Ravensbrück geleitet. Wie hat sich die Gedenkstätte in der Zeit verändert?
Ich hatte das Glück, die Gedenkstätte in einer Zeit zu leiten, in der die Entwicklung bundesdeutscher KZ-Gedenkstätten auch politisch viel Unterstützung gefunden hat. In Ravensbrück konnten wir eine Reihe der historischen Gebäude sanieren. Das vormalige Häftlingslager, nach jahrzehntelanger Nutzung durch die Sowjetarmee schwer verunreinigt, konnte von Ölen und unklaren Substanzen in Kellern und Böden gereinigt und erschlossen werden und ist heute für Besucher zugänglich. Ein Höhepunkt war sicherlich die Entwicklung einer neuen historisch fundierten Hauptausstellung: Sie informiert umfassend über die Geschichte des Lagers, die einzelnen Häftlingsgruppen, aber auch über die Nachkriegszeit und die Erinnerungsgeschichte.
Welche besonderen Akzente haben Sie gesetzt?
Der Erhalt der Relikte scheint mir an Orten wie Ravensbrück besonders wichtig. Manche der baulichen Überreste des Konzentrationslagers erschließen sich nicht auf Anhieb, vieles bleibt durchaus auch rätselhaft. Wir sollten aber die Spuren des Vergangenen in jedem Fall sichern und erhalten – auch für Fragen, die vielleicht erst morgen gestellt werden. Die Versuchung, ein solches Areal den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechend zu formen, den baurechtlichen Vorschriften oder den Erfordernissen der Besucherführung zu unterwerfen, ist da, aber man darf dieser Versuchung nicht ohne weiteres nachgeben.
Was war Ihnen noch besonders wichtig?
Wichtig war mir natürlich auch die Professionalisierung der Gedenkstättenarbeit. Das bedeutet nicht nur, wissenschaftlich fundierte Ausstellungen zu präsentieren, sondern vor allem auch die Pflege der kostbaren Sammlung. Bei einer großen Zahl unserer circa 13.000 Objekte umfassenden Sammlung handelt es sich um lagerzeitliche Artefakte. Diese Dinge sind häufig von Häftlingen aus »organisierten« Materialien hergestellt worden, aus Material also, das sie aus der Rüstungsproduktion abgezweigt haben. Zu nennen sind hier auch die 140 aus Kunststoff geschnitzten Miniaturen. Diese Artefakte stellen uns heute vor große restauratorische Herausforderungen.
Was waren besonders emotionale Momente in Ihrer Zeit als
Gedenkstättenleiterin?
Die Jahrestage der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers im April waren und sind schon sehr herausragende Ereignisse, vor allem deshalb, weil Überlebende und ihre Angehörigen aus ost- und westeuropäischen Ländern, Israel und den USA teilnehmen. Die Begegnungen und Gespräche mit ihnen, den ehemaligen Häftlingen, aber eben zunehmend auch mit ihren Töchtern und Enkeln, sind ausgesprochen bewegend. Dass viele von ihnen immer wieder nach Ravensbrück kommen und uns gewissermaßen die Treue halten, das empfinde ich vor dem Hintergrund, was an diesem Ort passiert ist, wirklich als ein Geschenk.
Wie hat sich die Gedenkstätte auf die Zeit ohne Zeitzeugen
vorbereitet?
Ravensbrück ist in einer besonderen Situation, weil es in diesem Lager zahlreiche Kinder-Häftlinge gegeben hat. Das heißt, es gibt noch Zeitzeugen, vor allem in Polen, aber auch in Israel, England und Frankreich, die zu uns kommen. Aber natürlich werden auch ihre Besuche seltener. Die Gedenkstätte verfügt über eine Mediathek mit zahlreichen Zeitzeugen-Interviews, die wir schon seit vielen Jahren in unseren Ausstellungen und in der Bildungsarbeit nutzen. Letztlich aber ist der persönliche Kontakt, das direkte Gespräch mit diesen Frauen ganz und gar unersetzbar.
Was für »Baustellen«, was für schwierige Aufgaben erwarten Ihre
Nachfolgerin?
Mein Eindruck ist, dass das Ravensbrück-Gedächtnis zunehmend diverser wird. Das ist angesichts der Vielschichtigkeit historischer Erfahrungswelten im Grunde genommen auch nicht verkehrt. Problematisch wird es dann, wenn Gruppen im Rahmen von Gedenkveranstaltungen in erster Linie eigene politische Anliegen verfolgen, so dass man schon fast von Erinnerungskonkurrenzen sprechen muss. Ein Beispiel: Polnische Besucherinnen und Besucher kommen, um ihrer Toten zu gedenken. Unter ihnen gibt es auch ausgesprochen national auftretende Teilnehmer. Feministische und Antifa-Gruppen verfolgen gedenkend ihre Interessen, wenn sie, wie 2018 geschehen, in polnischer Sprache gegen das restriktive Abtreibungsrecht der PiS-Regierung protestieren. Es ist das Fehlen einer gemeinsamen Sprache und die fehlende Solidarität einzelner Gruppen, die die Gedenkstätte vor große Herausforderungen stellen wird. Früher, als Überlebende noch in großer Zahl an den Gedenkveranstaltungen teilnahmen, war mehr Respekt füreinander da.
Gibt es weitere Bereiche?
Eine zweite große Herausforderung ist die Digitalisierung. Unsere Bestände müssen digital erfasst und in verschiedenen Formaten online gestellt werden. Auch auf dem Feld der Betreuung von Einzelbesuchern wird sich die Gedenkstätte neu aufstellen müssen. Mittlerweile besuchen Menschen Ravensbrück ebenso häufig im Netz wie vor Ort. Auch in den Sozialen Medien muss die Gedenkstätte mehr Präsenz zeigen. Nicht zuletzt harrt die große ehemalige Textilfabrik, ein prominenter Ort von Zwangsarbeit weiblicher KZ-Häftlinge, ihrer Sanierung. Meine Nachfolgerin wird also alle Hände voll zu tun haben. Auch deshalb, weil die Gedenkstätte personell extrem unterbesetzt ist und es überall an Mitteln fehlt. Ohne das unglaublich große persönliche Engagement aller, die in Ravensbrück arbeiten, käme dort sehr viel weniger zustande.
Was wartet im Ruhestand auf Sie?
Eine Gedenkstätte zu leiten bedeutet zu einem überwiegenden Teil Management. Es geht um Projektanträge, um Kosten- und Finanzierungspläne, Gremienarbeit, Veranstaltungsorganisation und vieles mehr. Tatsächlich freue ich mich darauf, künftig wieder mit etwas mehr Ruhe arbeiten zu können. Mit einem Lehrauftrag kehre ich zurück an mein altes Institut für Religionswissenschaft an der FU Berlin. Im Wintersemester werden Geschichte und Theorie kommemorativer Praxis das Thema sein. Darüber hinaus warten verschiedene Buchprojekte. Der Abschied von Ravensbrück ist natürlich schwer. Aber letztlich ist es nur ein Abschied vom Amt, nicht von den Themen und nicht von den Menschen.
Das Interview führte Yvonne Jennerjahn.