Herr Strunz, Sie sind für Ihre neue Dokumentation »Wie ausgeprägt ist der Antisemitismus im Alltag?« einen Tag lang mit Kippa durch Berlin gelaufen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Die eindrucksvollste, die beklemmendste: Juden werden in Deutschland auch heute verfolgt – zumindest mit Blicken. Sobald die Kippa entdeckt wird, kann kaum jemand damit umgehen. Einige schauen dann überfreundlich, andere schauen unsicher, manche wenden den Blick ab. Ganz offenbar ist eine Kippa mit viel mehr Emotionen und Gedanken der Betrachter aufgeladen, als es Kopftuch und Kreuz sind. Ich wollte ja nicht nur verstehen, wie es als Jude in Deutschland ist – ich wollte es auch spüren: Und ja, es ist ein besonderes, auch beklemmendes Gefühl.
Sie haben am vergangenen Freitag auch den israelfeindlichen Al-Quds-Tag besucht. Was haben Sie dort erlebt?
Vor allem: Eine ganz souveräne Polizei – echte Bürger in Uniform. Zunächst haben mich die Einsatzleiter aus Sicherheitsgründen weggeschickt. Sie könnten hier nicht für mein Leben garantieren. In den vergangenen Jahren sei es bei dieser Demo immer wieder zu Angriffen auf Menschen gekommen, die Symbole des Staates Israel oder des jüdischen Glaubens getragen haben. Eine solche Eskalation komme von einer Sekunde auf die andere – da kämen die Beamten nicht immer rechtzeitig dazwischen. Später kam der Einsatzleiter zu mir zurück – und hatte ein Treffen mit dem Anmelder der Demo organisiert. So hat die Polizei im konkreten Fall das gemacht, was die große Politik schaffen müsste: den Dialog ermöglichen und gleichzeitig die Sicherheit garantieren. Das fand ich sehr beeindruckend. Denn der Polizist hätte es ja auch bei der Sicherheit belassen können. Hat er aber nicht: Er hat gehandelt wie ein Bürger in einer lebendigen Demokratie.
Besonders eindrucksvoll beim Al-Quds-Tag ist die Szene mit dem Kundgebungs-Organisator Jürgen Grassmann. Eigentlich sagt er zu den überwiegend arabisch- und türkischstämmigen Demonstranten: Redet nicht mit dem Fernsehen, denn ansonsten redet ihr euch um Kopf und Kragen, oder?
Absolut! Und er sagt: Redet nicht mit ihm, denn er ist intelligent, und so schlau seid ihr nicht. Und: Ihr werdet den Islam nicht retten, wenn ihr mit ihm redet. Kurz: Der Mann, der die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nutzt, um anti-zionistische und antisemitische Parolen zu verbreiten, erteilt seinen Demo-Teilnehmern Redeverbote. Das ist so schön selbsterklärend, dass man es eigentlich gar nicht weiter kommentieren müsste. Wer den Dialog nicht zulässt, möchte dominieren und nicht diskutieren.
Viele der Demonstranten hielten sich zum Glück nicht an die »Empfehlung« von Grassmann.
Ja, und dieses Verbot von Grassmann war umso bedauerlicher, weil vor allem die jüngeren Muslime durchaus die Debatte mit mir gesucht haben. Ihre zum Teil grotesken Thesen – »Am fairsten wäre es, wenn es Israel gar nicht gäbe« – hätte ich gerne noch entkräftet. Ich habe dort auch kleine Kinder gesehen, die Schilder mit Boykottaufrufen gegen Produkte aus Israel hoch hielten, also übersetzt: Kauft nicht beim Juden! Das ist, finde ich, auch eine Art von Kindesmissbrauch.
Auf dem Al-Quds-Tag wurde wie jedes Jahr auch diesmal wieder zu Gewalt an Juden aufgerufen. Sie haben für Ihre Doku Opfer antisemitischer Gewalt getroffen. Was hat Sie bei diesen Treffen am meisten überrascht?
Die beschriebenen Taten sind abscheulich – und was sie verbindet, macht sprachlos: Alle haben berichtet, dass es Zeugen gab, die sich nicht eingemischt haben. Die alles mitangesehen haben, aber nicht handelten. Dass die Täter Juden-Hasser sind, ist mir auch vorher schon klar gewesen. Aber jetzt weiß ich: Auch viele der Unterlasser, die Nichtstuer und Wegschauer, haben antisemitische Tendenzen. Sehr wahrscheinlich ist der passive Antisemitismus sogar das noch viel größere Problem, weil diese »Taten« nicht wirklich auffallen und eher selten angezeigt werden können.
Die Regisseure der von Arte zuerst abgelehnten Doku sagen, dass ihr Film auch deshalb nicht ausgestrahlt wurde, weil sie den muslimischen Judenhass ungefiltert zeigt, was aus politischen Gründen nicht gewollt war. Ist das auch Ihr Eindruck?
Ich finde als Journalist alle politischen Überlegungen, die die Abbildung von Wirklichkeit verhindern, nicht hinnehmbar. Wenn es also so war, war es ein schwerer Fehler. Für die oft gescholtenen Medien in unserem Land spricht in diesem Fall, dass der Film ja trotz der Blockade durch die Senderchefs öffentlich geworden ist – durch den Mut und die Haltung und das Engagement von BILD. Das zeigt auch: Eine wichtige Sache bricht sich immer Bahn in die Öffentlichkeit. Ich finde das gut, es macht Mut.
Sie haben auch einen türkischen Fußball-Verein in Neukölln besucht. Makkabi Berlin wird regelmäßig auch von türkischstämmigen Kickern angefeindet. Wie verlief Ihr Gespräch mit den Fußballern?
Ja, Makkabi hat oft schreckliche Szenen erleben müssen. Ich hingegen glaube seit der Recherche noch mehr an die Kraft des Fußballs als Integrationsmotor. Mit versteckter Kamera und Kippa auf dem Kopf habe ich meine beiden Kinder in einem türkischen Fußballverein in Neukölln angemeldet.
Mit welcher Reaktion?
Es gab auch hier Blicke. Aber dann eine klare Botschaft: Bei uns sind Ihre Kinder willkommen! Meine Frage, ob sich vielleicht andere Eltern beschweren könnten und ich mir deshalb Sorgen machen müsse, wurde ebenso klar verneint. Hier sei es egal, woher einer komme und woran jemand glaube – hier zähle nur das gemeinsame Ziel, miteinander gewinnen zu wollen. Zwei oder drei jüdische Kinder seien bereits im Klub. Probleme gebe es wegen des Glaubens nie. Ein wirklich schöner Moment während der Recherchen.
Sie haben auch das Gespräch mit der Schule in Friedenau gesucht, in der über Monate hinweg ein jüdischer Schüler massiv antisemitisch gemobbt wurde. Warum hat die Schule das Gespräch mit Ihnen verweigert?
Die Schule ist zu Recht in die Schlagzeilen geraten, weil es dort vor Kurzem einen antisemitischen Übergriff gab: Muslimische Schüler haben einen jüdischen Mitschüler gemobbt und verprügelt. Der jüdische Junge hat inzwischen die Schule verlassen. Ich wollte mit dem Direktor über die Vorkommnisse und die Konsequenzen daraus sprechen. Aber er lehnte ein Interview ab – vermutlich aus Überforderung. Schulen sind nicht auf Medienauskünfte vorbereitet, die Lehrer verwenden ihre Zeit für die Lehre und die Erziehung der Kinder, was ja auch gut und richtig ist.
Was haben Sie dort an der Schule erlebt?
Die Situation ist eskaliert. Der Begriff Antisemitismus hat offenbar zusammen mit einem falsch empfunden Patriotismus der Schüler für ihre Schule zu Angriffen auf mich und mein Team geführt. Wir wurden mit Steinen beworfen und als »Hurensöhne«, »Bastarde« und »Schwanzlutscher« beschimpft. Es kam zu regelrechten Tumulten, und ich habe in viele hasserfüllte Augen junger Menschen gesehen. Das Rassismus- und Gewaltproblem an der Schule ist offensichtlich noch lange nicht gelöst. Das hat mich erschreckt – aber auch ermuntert, weiter zu gehen.
Inwiefern?
Ich habe der Schulleitung angeboten, nach der Ausstrahlung meiner Reportage in die Schule zu kommen und mit den Schülern über Antisemitismus, Gewalt und Journalismus zu diskutieren. Vielleicht kann das der Anfang einer nachhaltigen Aufarbeitung der Vorkommnisse sein.
Allein für das Jahr 2015 wurden 1402 antisemitische Straf- und Gewalttaten gezählt. Es ist gut und wichtig, dass Sie diese Doku gedreht haben. Aber ist es nicht auch Aufgabe der Medien, positiv, also ohne das Thema Antisemitismus, über Juden in Deutschland zu berichten?
Natürlich kommt das zu kurz. Aber damit ist das Thema leider in größerer Gesellschaft: Frauen werden nach wie vor in den Medien eher als Kleiderstangen und »Begleiter von …« dargestellt, Kinder fast ausschließlich als teure Quälgeister, die krank werden und einem hauptsächlich Sorgen bereiten. Alle Medien täten gut daran, hier auf Augenhöhe mit der Wirklichkeit zu kommen.
Das Gespräch führte Philipp Peyman Engel.
Die Sendung »akte« mit der Dokumentation des Kippa-Tests läuft heute Abend, 22.15 Uhr, in SAT.1.
www.sat1.de/tv/akte