Die deutschen Sympathien für Wladimir Putin aber kommen von der Unwissenheit», schrieb der Schriftsteller Wladimir Kaminer kürzlich in der «Bild»-Zeitung. «Wäre Putin ein Eishockey-Spieler, ein Angler oder ein Jäger, könnte man ihn sympathisch finden. Als richtigen Kerl, der einfach nicht alt werden will.»
Ich schätze den Kollegen Kaminer sehr, bin aber diesmal nicht ganz seiner Meinung. So simpel gestrickt sind nicht einmal die «Putin-Versteher» in Deutschland. Jedenfalls nicht alle. Man muss das alberne Machogehabe des mit nacktem Oberkörper posierenden russischen Präsidenten nicht sexy finden, um seine Politik zu kennen und zu befürworten oder sein Image für eigene Zwecke zu nutzen.
Sanktionen Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zum Beispiel tut Letzteres. Vor Kurzem stattete er Wladimir Putin in St. Petersburg einen Besuch ab. Dass er vor diesem Treffen die schrittweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland forderte, wird Putin wahrscheinlich gefreut haben, auch wenn Kretschmers Einfluss auf die Weltpolitik vernachlässigbar ist und er aus den Reihen seiner eigenen Partei sofort harsche Kritik erntete.
Dies alles nimmt Kretschmer in Kauf, denn er hat einen Wahlkampf vor sich und kennt die Stimmung in seinem Bundesland: Diese ist tendenziell russland- beziehungsweise putinfreundlich, und die AfD, deren Nähe zum Putin-Regime außer Frage steht, ist für Kretschmers CDU eine ernsthafte Konkurrentin im Kampf um die Wählergunst.
Putin als Wahlhelfer in Sachsen!? Handelt es sich bei der positiven Einstellung vieler Ostdeutscher zu Russland um eine Besonderheit, die, wie oft behauptet wird, etwas mit der DDR-Vergangenheit zu tun hat? Wohl kaum. DDR-Bürger hatten wenig Kontakt zu Russen, Reisen in die Sowjetunion waren auch im Osten keine Selbstverständlichkeit, und kaum jemand hatte einen Grund, ausgerechnet jenes Land, welches das repressive System, unter dem man selbst litt, installiert hatte und kontrollierte, in besonderem Maße zu lieben.
Den meisten Deutschen ist das
Wesen des autoritären Regimes
durchaus bekannt.
Dass die ostdeutsche Wirtschaft traditionell immer noch stark in den Osten ausgerichtet ist und unter den gegen Russland verhängten Sanktionen sehr zu leiden hat, mag ein wichtiger Faktor sein. Doch die «Sympathie» der Ostdeutschen für Putin und Russland hat größtenteils dieselben Gründe wie im Westen des Landes: nämlich die in manchen Kreisen immer populärer werdende Bekämpfung des so-genannten «Systems» und der «Eliten» im eigenen Land und die damit verbundene Suche nach Verbündeten im Ausland. Ein weiterer Grund ist die lange gemeinsame Geschichte zweier großer Kulturräume, die einander seit Jahrhunderten als Spiegel- und als Projektionsfläche sowohl für Ängste als auch für Sehnsüchte dienen.
Im Osten mag der Hass auf das eigene Establishment bei manchen Leuten größer sein als im Westen. Dies hat innenpolitische Gründe; die daraus folgende noch stärkere Affinität vieler Ostdeutscher zum Putin-Regime ist hierbei dann eher ein Nebeneffekt. Wesentlicher ist die Tatsache, dass sich sowohl Linke als auch Rechte in West und Ost in ihrer positiven Einstellung zu Russland einig sind.
Sehen die einen – bedingt durch ihren traditionellen Antiamerikanismus – in Russland, das gegen die Weltmacht USA «mutig aufbegehrt», einen natürlichen Verbündeten oder zumindest das kleinere Übel, so wirkt auf die anderen Präsident Putin durch seine negative Einstellung zur EU, seine Unterstützung rechtspopulistischer Parteien in Europa und durch das Erscheinungsbild seines hybriden Regimes, das sowohl Nationalisten als auch Kapitalismuskritikern, Erzkonservativen, Ostblocknostalgikern, verschiedensten Verschwörungstheoretikern und sogenannten Pragmatikern gleichermaßen etwas zu bieten hat, sowohl attraktiv als auch bewunderungswert.
SCHULDGEFÜHL Doch der Hauptgrund, warum Putin gerade in Deutschland populärer ist als in den meisten anderen europäischen Ländern, ist ein historischer. Viele Deutsche verspüren immer noch ein latentes Gefühl der Schuld für den NS-Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion. Zu diesem Schuldgefühl gesellen sich die Angst vor den Folgen eines Konfliktes mit Russland (man weiß nur zu gut, wie ein solcher ausgehen kann) und die stark empfundene moralische Verpflichtung, sich für den Frieden einzusetzen, nach Kompromissen Ausschau zu halten und für Russlands reale und vermeintliche Bedürfnisse Verständnis aufzubringen. «Der Russe», besser gesagt, das Klischeebild desselben, hat in den Augen vieler Deutscher eine Mentalität, die ihn nicht zur Demokratie befähigt. Deshalb braucht er eine Führungsfigur wie Putin.
Vielleicht hat Wladimir Kaminer also doch recht: Man bewundert Putin insgeheim als «richtigen Kerl, der nicht alt werden will».
Das Klischee des Russen eignet sich aber auch ideal als Stellvertreter von verdrängten wie auch begehrten Anteilen des Eigenen: Dazu gehören starke Emotionalität, Kraft und Natürlichkeit (russische Seele!), aber auch Unberechenbarkeit, Wut, Kontrollverlust …
Vielleicht hat Wladimir Kaminer also doch recht: Man bewundert Putin insgeheim als «richtigen Kerl, der nicht alt werden will». Leider erfolgt dies nicht aus Ignoranz, wie Kaminer annimmt. Den meisten Deutschen ist das Wesen des autoritären Regimes durchaus bekannt. Trotzdem oder gerade deshalb unterstützen sie es.
Der Autor ist 1966 in Leningrad geboren und lebt heute als Schriftsteller in Salzburg. Von ihm erschienen unter anderem «Lucia Binar und die russische Seele» und «Viktor hilft».