An Chanukka stehen das Licht und die damit verbundene Hoffnung im Mittelpunkt. Der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel erklärt in unserem Interview, welche Hoffnung die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und Europa braucht, wie Sicherheitsbehörden, Politik und Gesellschaft gegen Ausgrenzung vorgehen können und welche Botschaft Chanukka auch an das Miteinander unterschiedlicher Religionen sendet.
Rabbiner Apel, wenn wir auf Chanukka als Lichterfest blicken: Welches Licht, welche Hoffnung benötigt Ihrer Ansicht nach die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und Europa besonders?
Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir nach Licht suchen. Europa leidet unter zunehmendem Antisemitismus, der viele Gesichter hat. Die Gesellschaft hat sich vor allem seit der Corona-Pandemie weiter polarisiert. Auch ist das Verständnis füreinander untergegangen. Im Gegensatz dazu wünschen sich Juden ein normales Leben wie alle anderen Menschen auch. Sie wollen sich wohlfühlen und frei leben mit einer starken Identität. Niemand darf das Gefühl bekommen, sich verstecken zu müssen, liebe keine Kippa zu tragen oder nicht in eine Synagoge zu gehen. Die Religionsfreiheit gerät immer mehr unter Druck.
Woran genau wird das darüber hinaus deutlich?
Das betrifft die Debatte über Beschneidungen von Jungen und das bereits in einigen Regionen Europas verbotene Schächten. Auch fehlt die Gleichberechtigung, wenn sich Juden zum Beispiel an Feiertagen beurlauben lassen wollen. Es wäre schön, wenn sich Behörden und Unternehmen im 21. Jahrhundert besser über das Judentum informieren und es besser berücksichtigen.
Wie ist aus Ihrer Sicht den genannten Problemen beizukommen?
In Chanukka steckt auch »chinuch«, was Erziehung bedeutet. Damit beginnt alles, denn wenn Menschen unerzogen sind, wissen sie nicht, dass man sich gegenseitig respektiert. Es ist unerträglich, dass es Menschen gibt, die andere wegen ihrer Religionszugehörigkeit töten möchten. Um gegen Antisemitismus vorzugehen, muss man bei der Erziehung und Bildung ansetzen. Wobei es wiederum die Erwachsenen sind, die Kinder erziehen. Es müssen generell Menschen gestärkt werden, die sich gegen Judenhass einsetzen. Gefragt ist natürlich ein starkes System von Polizei, anderen Behörden sowie Schulen und Erziehungseinrichtungen, gegen Antisemitismus vorzugehen. Und nicht zu vergessen: Hass beginnt im Internet.
Was ist noch denkbar?
In der Verantwortung sind auch Medien. Sie könnten sich sagen: Wir zeigen nicht nur die Differenzen, sondern auch Beispiele guten Miteinanders oder dass positive Werte in den einzelnen Religionen nah beieinander liegen. Oder Sportvereine, gerade im Fußball: Sie erreichen mitunter Hunderttausende aus unterschiedlichen Milieus, wenn sie sich gegen Antisemitismus positionieren. Hier muss ich ausdrücklich ein Lob aussprechen, dass das bereits zunehmend geschieht.
Sie sprechen das Miteinander der Religionen an. Welche Botschaft kann von Chanukka auch für Nichtjuden sowie den interreligiösen Dialog ausgehen?
Die universelle Botschaft ist: Wir möchten mehr Licht haben. Menschen sollen sich informieren und nicht im Dunkeln sitzen bleiben. Die Religionsfreiheit ist eine Grundregel in unser aller Leben. Auch Kinder können für unsere Zukunft wunderbares beitragen. Wir sollten sie daher ermutigen, zu lernen und sich zu informieren und nicht den Hasspredigern zuzuhören. Lernen kann man immer und überall, zum Beispiel von Vorbildern. Wenn wir uns stärker in Liebe zuwenden, werden wir sehen, dass Unterschiede zwischen Menschen minimal sind.
Was denken Sie, wie man Menschen erreichen kann, die sich in ihre Milieus zurückziehen und zum Beispiel kaum noch etablierte Medien nutzen, weil sie sie ablehnen?
Wir sind leider zu wenige, um alle Menschen mit Gesprächen zu erreichen. Gleichwohl sind Gespräche das beste Mittel, um zu zeigen, wie jemand wirklich ist. Wir haben so viele Möglichkeiten, auf Menschen zuzugehen. Neben Medien sind das auch gute Lehrbücher in den Schulen, da sind wir wieder beim Gedanken der Erziehung. Und wenn zum Beispiel in einer Familie beide Elternteile rechtsgerichtet sind, gibt es vielleicht ein Kind, das anders denkt.
Welche Wünsche haben Sie persönlich zu Chanukka?
Dass Mediziner es schaffen, ein Mittel gegen Corona zu finden und dass Politiker stark genug sind, mit der Pandemie angemessen umzugehen. Beim Thema Impfen wünsche ich mir, dass gewürdigt wird, dass Gott den Menschen die Fähigkeit gegeben hat, Krankheiten auf diese Weise zu besiegen.
Wie feiern Juden, wie feiern Sie speziell in Ihrer Frankfurter Gemeinde Chanukka erneut unter den Bedingungen der Corona-Pandemie?
Chanukka wird vor allem zuhause gefeiert, in der Familie, mit Freunden und Nachbarn - nachdem alle einen Schnelltest gemacht haben. Bei großen Feiern in der Gemeinde ist es derzeit unklar, ob und wie sie stattfinden können. Wir hoffen und beten. Am Anfang von Corona hieß es immer, wir sollten zwar einen körperlichen, aber keinen sozialen Abstand halten. Dieser ist jedoch so groß wie nie. Menschen laden Freunde nicht mehr ein, Familien treffen sich nicht mehr. Der soziale Abstand ist eine schreckliche Folge von Corona und kann letztlich nicht durch Videokonferenzen ersetzt werden.
Wie kann man diese Folge abmildern?
Der Durst nach normalen Begegnungen ist immer noch da und sogar größer geworden. Alte Menschen, etwa in Heimen, leiden sehr, viele sind sehr einsam wegen eingeschränkter Besuchsmöglichkeiten. Alte Menschen, Familien, Kinder, sie sind der Kollateralschaden der Pandemie. Gerade die Nachbarschaften spielen in der Pandemie deswegen eine große Rolle. Denn Nachbarn können sich helfen - auch dabei, Feiertage schön zu begehen, egal welcher Religion sie angehören.
Das Interview mit dem Frankfurter Rabbiner und Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland führte Leticia Witte.