Israel hat am Dienstagabend seine Zukunft, zumindest für die kommenden Jahre, gewählt. Die Ergebnisse der Wahlen zur 19. Knesset reflektieren die aktuellen Tendenzen innerhalb der israelischen Gesellschaft. Der Verlierer dieser Wahlen ist eindeutig Benjamin Netanjahu, der seinen Wahlkampf mit der ihm typischen Arroganz, Selbstzufriedenheit und wenigen Inhalten geführt hat.
Am Tag danach stellte der amtierende Ministerpräsident fest, dass seine früheren Unterstützer sich etwas anderes wünschen als eine von Macht- und Angstrhetorik dominierte Politik. Auch der Versuch, seinen problematischen Partner Avigdor Lieberman während des Wahlkampfs zu verstecken, half Netanjahu wenig, und so schenkten die Moderaten unter seinen Anhängern ihre Stimmen den neuen Namen in der israelischen Politik: Naftali Bennett und Yair Lapid.
Meretz Der Mitte-Links-Block des politischen Spektrums ist gestärkt aus diesen Wahlen hervorgegangen und bietet zum ersten Mal seit Langem eine Alternative zur israelischen Rechten an. Die kleine, aber wichtige Meretz-Partei hat ihre Kraft verdoppelt (von drei auf sechs Sitze), und die Arbeiterpartei Awoda hat immerhin zwei Sitze dazu gewonnen. Es ist zwar unwahrscheinlich – aber doch nicht unmöglich –, dass eine Koalition der Linken gemeinsam mit den religiösen Parteien unter der Führung Lapids zustande kommen wird.
Die eindeutigen Gewinner dieser Wahlen sind die Vertreter einer jüngeren Generation von Israelis, die alternative Erfolgsmodelle zu den »alten« Politikern sucht. Yair Lapid und Naftali Bennett haben sich am Dienstag als die Zukunft der israelischen Politik erwiesen. Lapid, der Sohn des Politikers und Journalisten Joseph (Tommy) Lapid – der als Kind den Holocaust überlebt hat – und der Schriftstellerin Shulamit Lapid, wurde bis vor Kurzem (und vielleicht immer noch) weit oben auf den Listen der israelischen »Sexiest Men Alive« geführt.
Sein Wandel vom erfolgreichen Fernsehmoderator und Journalisten zum Politiker wurde in Israel anfangs mit gemischten Gefühlen betrachtet. Der überraschende Erfolg seiner Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) ist damit nicht nur ein Ergebnis seiner umsichtigen Wahlkampagne, sondern reflektiert zugleich auch die Unzufriedenheit der Wähler mit Netanjahus Politik.
Ideale Naftali Bennetts Erfolg hingegen reflektiert Israels Bild der neuen »Sabras« – in Israel geborene Männer, die die Siedlungs- und Sicherheitsideale des heutigen Zionismus verkörpern. Aufgewachsen in einer sich auf die Religion zurückbesinnenden Familie, lebte Bennett lange Zeit zwischen den USA und Israel und repräsentiert in vielerlei Hinsicht das israelische Erfolgsideal: ein ehemals tapferer Offizier der israelischen Armee, der seine Start-up-Firma in New York für 145 Millionen Dollar verkauft hat, um nach Israel zurückzukehren.
Benjamin Netanjahu wird sehr wahrscheinlich weiter Ministerpräsident Israels bleiben, aber die Tagesordnung im Land hat sich geändert, und sein politischer Freiraum ist bedeutend kleiner geworden. Bei einer möglichen Koalition des rechten Blocks mit den Zentrums-Parteien (Jesch Atid, Hatnua von Zipi Livni und möglicherweise auch Kadima) würden die religiösen Parteien zum ersten Mal seit vielen Jahren in der Opposition bleiben. Ist das der Fall, so werden innenpolitische Fragen zum Verhältnis zwischen Staat und Religion (Themen wie die Zivilehe und der Einzug ultraorthodoxer Männer zum Militärdienst) auf die Tagesordnung kommen, während ein israelischer Angriff auf den Iran jetzt weniger plausibel scheint als zuvor.
Die große und schmerzhafte Frage bleibt die Einstellung der neuen Regierung den Palästinensern gegenüber. Auch in dieser Hinsicht wird Lapid eine Schlüsselrolle spielen, und die Frage, ob er die extreme Politik Netanjahus, Liebermans und Bennetts mittragen kann, wird für die Politik des Nahen Ostens in den nächsten Jahren entscheidend sein.
Noam Zadoff ist Inhaber des Ben-Gurion-Gastlehrstuhls für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.