Herr Hellwig, vor genau einem Jahr wurden Sie vom iranischen Geheimdienst verhaftet, weil Sie den Sohn der zum Tode verurteilten Sakineh Ashtiani zum Interview getroffen hatten. Worin bestand Ihre Motivation, trotz der Risiken aus dem Iran zu berichten?
In beruflicher Hinsicht hatte ich mich schon seit geraumer Zeit mit den Menschenrechtsverletzungen im Iran beschäftigt. Ich hatte und habe zudem viele iranische Freunde, deren Angehörige unter dem Regime leiden. So kam es, dass ich beruflich und privat häufig auch über den Fall Sakineh Ashtiani gesprochen habe, die wegen angeblichen Ehebruchs gesteinigt werden sollte. Dieses Thema ließ mich nicht los. Der Sohn Ashtianis hat mir sehr imponiert. Ich wollte herausfinden: Was ist das für ein Mensch, der so mutig und couragiert um seine Mutter kämpft? Dass so eine Recherche nicht vom heimischen Schreibtisch aus möglich ist, versteht sich von selbst.
Wie geht es Ihnen jetzt, rund ein Jahr nach der Haft?
Ich genieße jeden Tag aufs Neue die Freiheit. Man betrachtet all die Vorzüge in Deutschland schnell als Selbstverständlichkeit. Seit meiner Gefangenschaft versuche ich, alles bewusst wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie heute die politische Situation im Iran?
Nach wie vor mit großem Interesse. Ich habe in der »Bild am Sonntag« eine eigene Kolumne, in deren Rahmen ich regelmäßig über die Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes schreibe. Auch die Vorgänge rund um die Sanktionen verfolge ich zurzeit sehr aufmerksam.
Können Sanktionen Ihrer Einschätzung nach Teheran überhaupt noch zum Einlenken bewegen?
Im direkten Sinne sicherlich nicht. Die iranische Regierung wird nie im Leben von ihren atomaren Plänen Abstand nehmen. Sie wollen Stärke zeigen, komme, was wolle. Auf der anderen Seite führen die Sanktionen bereits zu einer drastischen Abwertung der iranischen Währung. Das ist für die Bevölkerung leider schmerzhaft. Doch die Iraner müssen wissen, dass die Verschärfung der Sanktionen beschlossen wurde, weil das Regime internationale Vereinbarungen wiederholt gebrochen hat. Meine Hoffnung ist deswegen, dass sich die Bevölkerung über kurz oder lang gegen das Regime erheben wird und die Sanktionen insofern indirekt von Erfolg gekrönt sein werden.
Präsident Ahmadinedschad und Revolutionsführer Chamenei werden unterdessen nicht müde, Israels Auslöschung zu fordern. Wie ernst sind diese Drohungen zu nehmen?
Sehr ernst. Israel könnte es sich auch gar nicht leisten, die Vernichtungsfantasien der iranischen Führung zu relativieren. Es ist richtig, dass Israel Chameneis Drohungen für bare Münze nimmt – unabhängig davon, ob er tatsächlich so stark ist, wie er immer behauptet. Drohgebärden und Allmachtsgebaren sind fester Bestandteil der Politik der Mullahs.
Laut jüngstem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) treibt der Iran seine Urananreicherung weiter deutlich voran – samt waffenfähigem Uran.
Das ist schwer zu beurteilen – erst recht, weil das Regime in Teheran fortwährend trickst, lügt und regelmäßig unabhängige Kontrollen untersagt. Es ist abschließend nicht überprüfbar, ob es die Atomtechnik wirklich nur zu zivilen Zwecken nutzen will oder auch zu militärischen. Solange dies der Fall ist, muss Teheran damit leben, dass die USA und Israel von Letzterem ausgehen – und darauf entsprechend reagieren.
Wie wahrscheinlich ist ein Präventivschlag Israels auf iranische Atomanlagen?
Israel hält sich in dieser Richtung alle Optionen offen. Ich glaube, das ist richtig, weil dadurch klar wird, dass man einen Atomstaat Iran nicht tolerieren wird. Ob – wie berichtet – nun ein Präventivschlag kurz bevorsteht, können vermutlich nur ein paar Personen in Israel mit Gewissheit sagen. Sollte es aber dazu kommen, würde das verheerende Folgen haben.
Inwiefern?
Die Mullahs in Teheran lieben den Tod mehr als das Leben. Dieses apokalyptische Denken gab es aufseiten der Sowjets im Kalten Krieg nicht. Das stellt Israel vor große Probleme. Nicht zuletzt aus diesem Grund halte ich es für sinnvoll, dass weiterhin auf der Ebene von harten Sanktionen gearbeitet und Teheran der Geldhahn zugedreht wird.
Sollte der Iran trotz allem sein Atomprogramm realisieren: Wie müsste die internationale Gemeinschaft damit umgehen?
Wenn der Iran Atomstaat wird, werden wir wahrscheinlich ein regionales Aufrüsten erleben. Saudi-Arabien, Ägypten, Herr Assad in Syrien, wenn er dann noch an der Macht ist – all diese Staaten werden auch die Atombombe haben wollen. Das wäre ein immens gefährliches Szenario – so weit sollte es gar nicht erst kommen. Der Iran darf unter keinen Umständen Atomstaat werden.
Am Ende wird wieder Israel den Job erledigen müssen, wie seinerzeit im Irak oder in Syrien?
Ich denke, die Israelis würden in dieser Hinsicht nicht allein dastehen. Die Vereinigten Staaten sind ein treuer Partner, und auch die Bundesrepublik ist eng an der Seite des jüdischen Staates …
… obwohl die deutsche Wirtschaft trotz heftiger Kritik ausgesprochen gute Geschäftsbeziehungen mit dem Iran unterhält.
Ja, das ist in der Tat ein Unding. Die Geschäftsbeziehungen sind zwar rückläufig, aber immer noch sehr stark. Der wirtschaftliche Handel zwischen der Bundesrepublik und dem Iran sollte möglichst ganz wegfallen, um noch mehr Druck auf das Regime in Teheran aufzubauen – und es so entscheidend zu schwächen.
Bisher war es oft so, dass eine breit angelegte Berichterstattung im Westen der beste Schutz für von der iranischen Regierung verfolgte Personen darstellt. Spielte das bei Ihrem Entschluss, zu diesem Thema zu recherchieren, eine Rolle?
Sicherlich auch das, ja. Wir Journalisten in Deutschland können ergebnisoffen recherchieren und frei unsere Meinung äußern. Es ist daher unsere Pflicht, den Fokus der Aufmerksamkeit auch auf die Länder zu richten, wo Menschen hingerichtet werden, nur weil sie ihre Regierung kritisieren. Letztlich reagiert ein Regime wie das im Iran durchaus sensibel darauf, wenn deren Menschenrechtsverletzungen im Ausland immer wieder angesprochen werden. Ohne eine solche Berichterstattung wäre die Lage dort noch verheerender als ohnehin schon.
War Ihnen damals bewusst, dass Ihre Recherche mit großen Risiken verbunden war?
Dass eine Reise in einen autoritären Staat nicht ungefährlich ist, war mir im Vorfeld natürlich klar. Dass das Regime aber derart brutal agieren würde, war nicht absehbar.
Manche Medien halten Ihnen vor, es sei naiv gewesen, mit einem Touristen- anstatt einem Journalistenvisum in den Iran zu reisen.
Die Chancen, ein Journalistenvisum im Iran zu erhalten, sind äußerst gering. Und wenn man doch eines erhält, darf man ausschließlich über unverfängliche Themen berichten. Letztendlich muss jeder Reporter für sich selbst entscheiden, ob er ein Risiko in Kauf nimmt oder lieber nicht aus Ländern wie dem Iran berichtet.
Sie wurden während des Gesprächs mit Ashtianis Sohn verhaftet. Wie erinnern Sie sich an diesen Tag?
Ursprünglich war geplant, dass das Treffen mit ihm in einer belebten Straße in der Altstadt stattfinden sollte. Er bestand aber darauf, dass wir uns bei seinem Anwalt treffen, dort sei es sicherer. Ich ging davon aus, dass er die Bedingungen in Iran besser einschätzen kann als ich. Als mein Fotograf und ich mit dem Sohn von Sakineh Ashtiani bei dessen Anwalt saßen, platzte nach ungefähr 20 Minuten etwa ein halbes Dutzend iranische Geheimdienstler in den Raum. Der Anwalt, der Sohn von Sakineh Ashtiani, mein Fotograf und ich wurden verhaftet und in ein Geheimgefängnis gebracht.
Wie hat man Sie dort behandelt?
In den ersten zehn Tagen wurde ich vollkommen isoliert. Ich befürchtete, da nie wieder rauszukommen. Ich wurde geschlagen und war unter widrigsten Bedingungen in einer kleinen Zelle untergebracht. Rund um die Uhr brannte grelles Licht. Aus den anderen Zellen hörte ich ständig Schreie von anderen Mithäftlingen.
Wie oft wurden Sie verhört?
Anfangs ständig. Ich wurde permanent angeschrien. Ich sollte ganz genau aufschreiben, welche Länder ich in meinem Leben schon bereist hatte. Als sie gesehen haben, dass ich auch schon einmal in Israel war, sind die Geheimdienstler ausgerastet: Ich solle endlich zugeben, dass ich ein Spion sei. Ich bin aber stark geblieben und wiederholte immer wieder das, was ich bereits wahrheitsgemäß in meinem Visumsantrag angegeben hatte: Ich bin Journalist und schreibe Artikel für die »Bild am Sonntag«. Punkt.
Und wie ging es dann weiter?
Nach knapp zwei Wochen haben die Verhöre abrupt aufgehört. Es passierte nichts mehr. Ich saß 23 ½ Stunden in meiner leeren Zelle, eine halbe Stunde durfte ich täglich zum »Luft essen« in einen Innenhof. Ich habe lange gebraucht, mit der permanenten Ungewissheit über mein weiteres Schicksal klarzukommen. Die Liebe zu meiner Familie, meiner Tochter, hat mir die Kraft gegeben, diese schwere Zeit durchzustehen.
Das Gespräch führte Philipp Peyman Engel.
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Marcus Hellwig, 1965 in Wuppertal geboren, lebt und arbeitet als Reporter der »Bild am Sonntag« in Berlin. Sein Buch »Inschallah – Gefangen im Iran« ist dieser Tage bei Quadriga erschienen.