Nahost

Die Macht des Mörders

Marwan Barghuti polarisiert die Israelis sogar vom Gefängnis aus. Einige halten den einstigen Fatah-Mann für einen möglichen Friedensbringer – doch die Mehrheit der Bevölkerung sieht nur das Blut an seinen Händen

von Sabine Brandes  21.03.2011 14:40 Uhr

Für viele Palästinenser ist Marwan Barghuti ein charismatischer Held, der für Zukunft steht – auch wenn er im Gefängnis sitzt. Foto: Getty

Marwan Barghuti polarisiert die Israelis sogar vom Gefängnis aus. Einige halten den einstigen Fatah-Mann für einen möglichen Friedensbringer – doch die Mehrheit der Bevölkerung sieht nur das Blut an seinen Händen

von Sabine Brandes  21.03.2011 14:40 Uhr

Allein die Frage lässt sie zusammenzucken. »Ihn freilassen? Das wäre Wahnsinn, er ist ein kaltblütiger Mörder!«, ruft die Frau, ihre Stimme bebt vor Wut. Mehr will sie nicht sagen, auch ihren Namen behält sie für sich. Im Weggehen ruft die Israelin in der Jerusalemer Fußgängerzone noch, dass man jene, die ihn aus dem Gefängnis holen wollen, zu ihm in die Zelle stecken solle. Der Mann, der die Emotionen in der Gesellschaft hochkochen lässt, heißt Marwan Barghuti, Fatah-Mann und verurteilter Fünffach-Mörder. Sogar hinter den Gittern der israelischen Strafanstalt polarisiert der charismatische Palästinenser.

Post von Oz Denn nicht alle Israelis meinen, Barghuti solle in einer Zelle schmachten. Für einige ist er der Hoffnungsträger für einen Wandel in den Palästinensergebieten, einer der Frieden Realität werden lassen könnte. Vor Kurzem schickte ihm Amos Oz sein Buch Eine Geschichte von Liebe und Finsternis in arabischer Übersetzung mit persönlicher Widmung. Der berühmte Schriftsteller soll geschrieben haben: »Diese Geschichte ist unsere Geschichte. Ich hoffe, du wirst sie lesen und uns besser verstehen, wie wir versuchen, dich besser zu verstehen. In der Hoffnung, dass wir uns bald in Frieden und Freiheit treffen werden.« Für viele Israelis, besonders mit Blick auf die grausamen Morde an fünf Mitgliedern der Familie Fogel in der Siedlung Itamar, ist die Handlung des Autors unverständlich. Der Großteil der Bevölkerung lehnt es kategorisch ab, Gefangene mit »Blut an den Händen« bei Verhandlungen mit den Palästinensern freizulassen.

Der 1958 in der Nähe von Ramallah im Westjordanland geborene Barghuti erlangte Bekanntheit vor allem während der zweiten Intifada, die er gemeinsam mit anderen anführte. Schon während des ersten Palästinenseraufstandes war er einer, der an vorderster Stelle auf die Barrikaden sprang. 1987 deportierten ihn die Israelis daraufhin nach Jordanien, sieben Jahre später durfte er ins Westjordanland zurückkehren. 1996 wählte ihn das Volk als Abgeordneten in das neue palästinensische Parlament. Aufmerksamkeit erhielt Barghuti vor allem, als er Menschenrechtsverletzungen und Korruption bei Arafat und seinen Mannen anprangerte. Während dieser Zeit knüpfte er Kontakte zu israelischen Politikern und Friedensgruppen.

anführer Angeblich hatten ihn die ewig scheiternden Friedensgespräche desillusioniert, so dass er während der zweiten Intifada den bewaffneten Kampf propagierte. Mittlerweile hatte Barghuti es zum Fatah-Chef im Westjordanland gebracht und führte dessen bewaffneten Arm, die Tanzim-Brigaden. »Während die Fatah und ich Anschläge auf Zivilisten innerhalb Israels vehement ablehnen, nehme ich mir das Recht, mich zu verteidigen, mich der israelischen Besatzung zu widersetzen und für die Freiheit zu kämpfen«, sagte er der Washington Post 2002. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein israelisches Gericht zu fünf Mal lebenslänglich plus 40 Jahre für fünf Morde an Israelis. Er soll persönlich Anschläge in Auftrag gegeben haben. Doch selbst im Gefängnis blieb er ein bedeutender Anführer, von dem viele auch heute noch sagen, er könne die Palästinenser einen.

Der Vorsitzende der Linkspartei Meretz, Haim Oron, beschrieb Barghuti am Wochenende in der Zeitung Haaretz als »eindrucksvolle Persönlichkeit«. Er habe eine unwiderstehliche Ausstrahlung, sei sehr klug und ungewöhnlich gut über die internen Mechanismen in der israelischen Politik informiert. Oron ist sicher, dass Barghuti die politische Linie von Mahmud Abbas und Salam Fayyad unterstützt. »Damit ist er ein Partner für den Dialog. Es ist ein großer Fehler, ihn nicht freizulassen.«

zypern Ephraim Lavie, Direktor des Tami-Steinmetz-Centers für Friedensforschung an der Universität Tel Aviv, erklärt, worauf es ankommt, sollte Barghuti tatsächlich als freier Mann das Gefängnis verlassen: »Generell würde Israel dadurch nicht an Anse- hen gewinnen. Doch es gibt Beispiele, wo eine Besatzungsmacht keine Wahl hatte, Führungspersönlichkeiten aus dem Exil zurückzuholen oder aus der Haft zu entlassen. Die Briten zum Beispiel haben viel Erfahrung damit. 1956 verbannten sie den Erzbischof Makarios III. auf die Seychellen, holten ihn aber bereits ein Jahr darauf zurück, um eine politische Lösung umzusetzen. Makarios wurde der erste Präsident Zyperns. In gewisser Weise war es nichts anderes, als die Spitze der PLO aus Tunesien zurück in die Palästinensischen Gebiete durfte. Generell ist so etwas möglich.«

Lavie gibt jedoch zu bedenken, dass die Freilassung Barghutis im Zuge einer Vereinbarung mit der Hamas negative Folgen für Palästinenserpräsident Abbas und Fatah habe. »Barghuti müsste der Hamas danken, das schränkt seine Möglichkeiten als Anführer im Kampf gegen die Männer in Gaza ein. Außerdem würden die Islamisten in der Bevölkerung punkten, weil es ihnen gelang, ihn freizubekommen.« Lavie schlägt daher vor, Barghuti nicht im Rahmen eines Gefangenendeals mit der Hamas zu entlassen, sondern als Teil eines Prozesses, der innerhalb der ganzen palästinensischen Gesellschaft Anerkennung findet.

Alternativlos »Auf jeden Fall sollte Israel nicht erwarten, dass Barghuti der Retter ist, der Abbas heute oder in kommenden Wahlen ersetzen kann.« Nach Meinung Lavies sollte es das Ziel sein, Fatah zu rehabilitieren, damit die bröckelnde Bewegung zu politischer Bedeutung zurückfindet und eine Alternative zur Hamas darstellt. »Hier könnte Barghuti tatsächlich eine Hilfe sein.« Der jetzige Palästinenserpräsident wisse, dass er die Pflicht habe, die Macht von der alten Generation der PLO, die aus Tunesien kam, an die Jungen abzugeben.

Taxifahrer Mosche Roth sind derartige Erwägungen ziemlich egal. Für ihn kommt es nicht infrage, einem verurteilten Mörder die Freiheit zu schenken. »Barghuti ist und bleibt ein Terrorist, der das Leben anderer nicht achtet. Man darf so jemandem niemals trauen.« Roth ist sicher, dass es tragisch für Israel wäre, öffneten sich die Gefängnistore für den prominenten Insassen. »Damit spuckt man auf die Opfer, die Familien, die zerstört wurden. Schaut man nach Itamar, denkt an die toten Eltern, die Kinder und das Baby, dann weiß man, dass man mit Mördern nicht verhandeln darf.«

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