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Die Macht der Realität

Für viele bleibt der US-Präsident ein Hoffnungsträger, auch wenn Träume von der Wirklichkeit eingeholt werden. Foto: dpa, (M) F. Albinus

Das außenpolitische Programm, mit dem Barack Obama seinen Wahlkampf bestritt, ließe sich mit vier Buchstaben abkürzen: AAAB – Alles Anders Als Bush. Der heutige US-Präsident versprach nicht nur den Amerikanern grundlegende Veränderungen, sondern auch der übrigen Welt. Obama-Fans schien es, als würde mit ihm eine neue Epoche der US-Außenpolitik eingeläutet.

Das geschah nicht. Ein Jahr nach Obamas Amtsantritt gibt es Guantánamo Bay immer noch. Der Präsident hat die Truppen in Afghanistan aufstocken lassen. Den Friedensprozess im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern konnte er nicht voranbringen, und erst jetzt ist mit dem Truppenabzug im Irak begonnen worden. Egal, was Obama tut oder unterlässt – seine Bewunderer in der amerikanischen Linken schreien inzwischen Verrat. Der renommierte Historiker Garry Wills schrieb kürzlich in der New York Review of Books, eine Wahl John McCains wäre vielleicht das geringere Übel gewesen, weil der wenigstens seine militaristischen Neigungen nicht verberge. Zur gleichen Zeit schießen sich die Neokonservativen auf den Chef des Weißen Hauses ein. Der sei nach dem gescheiterten Versuch, ein Flugzeug vor der Landung in Detroit in die Luft zu sprengen, dem Terrorismus nicht scharf genug entgegengetreten. Da stellt sich die Frage: Kann Obama überhaupt irgendetwas richtig machen? Sieht seine Bilanz wirklich so schlecht aus?

Einflusslos Beginnen wir mit Israel. Zunächst verrechnete sich Obama, als er und Außenministerin Hillary Clinton im Frühjahr 2009 jeglichen Fortschritt in den israelisch-palästinensischen Beziehungen von einem totalen Stopp der Siedlungsaktivitäten abhängig machten. Die Amerikaner besaßen schlicht und einfach nicht den politischen Einfluss, um dem Wohnungs- und Häuserbau komplett Einhalt zu gebieten, wollten sie nicht Israel mit einer Sperre der Finanzhilfen drohen. Das wiederum war politisch nicht durchsetzbar, weil der Kongress dazwischengefunkt hätte.

Dennoch hat Obama der Regierung Netanjahu das Versprechen abgerungen, neue Siedlungsaktivitäten zumindest teilweise ein Jahr lang einzufrieren. Ein ernsthaftes Gesprächsangebot vonseiten der Fatah um Mahmud Abbas ist aber bisher ausgeblieben. Vielleicht liegt die Tragödie gerade darin, dass Netanjahu womöglich der konservative israelische Premier ist, dem man tatsächlich zutraut, dass er zu einem Übereinkommen mit den Palästinensern gelangt. Sollte es dem US-Sondergesandten George Mitchell nicht gelingen, die Streitparteien 2010 an den Verhandlungstisch zurückzubringen (wofür einiges spricht), wäre dies kaum Obama anzulasten, der alles daransetzt, Fortschritte zu erzielen.

Und der Irak? Der US-Präsident hat einen überstürzten Rückzug in der richtigen Überzeugung abgelehnt, dass das Land damit in ein Chaos stürzen würde. Ausschlaggebend für die Entwicklung im Irak ist, dass es in den vergangenen Monaten keine amerikanischen Toten zu beklagen gab. Gelingt es Obama, im nächsten Jahr das Gros der amerikanischen Truppen abzuziehen, wäre das ein großartiger Triumph für ihn; zudem würde ein solcher Schritt belegen, dass Amerika weder eine imperiale Besatzungsmacht ist noch sein will.

Wagnis Von diesen Soldaten werden viele nach Afghanistan gehen. Auch hier hat Obama die richtige Entscheidung getroffen, indem er eine Truppenaufstockung für einen unpopulären Krieg befürwortete – das bislang größte Wagnis seiner Präsidentschaft. Der Krieg am Hindukusch ist noch nicht verloren. Die Frage lautet lediglich: Wie ist ein Sieg zu definieren? Von der Schaffung einer liberalen Demokratie war bei Obama bis jetzt nicht die Rede. Vielmehr geht es ihm um Stabilität, eine (relativ) freie Regierung in Kabul sowie das Zurückdrängen von Al Qaida und den Taliban. Entscheidend wird das kommende Jahr. Kann der Chef der Supermacht keine echten Fortschritte vorweisen, werden die Rufe nach einem Abzug aus Afghanistan immer lauter werden.

Der Knackpunkt im Nahen und Mittleren Osten ist der Iran. Trotz interner Massenunruhen und Machtkämpfe verfolgt Teheran unbeirrt sein Ziel: die Herstellung nuklearer Waffen. In der Sanktionsfrage hat Obama bereits Zugeständnisse gemacht. Ursprünglich hatte er damit gedroht, Zwangsmaßnahmen würden nach einem Jahr verhängt, sollte es in der Atomfrage kein Entgegenkommen von iranischer Seite geben. Nun verlautet aus dem Weißen Haus, man wolle bis Juli warten. Auch im Fall von Teheran zeigt sich, dass Obamas Handlungsspielraum begrenzt ist – wenn er einen Militärschlag von fragwürdiger Wirksamkeit vermeiden will.

Israel, Afghanistan, Irak – ein Jahr Obama bedeutet, außenpolitisch betrachtet, dass die Administration unter seiner Führung keine katastrophalen Fehler gemacht hat. Das mag wenig Anlass zum Jubeln geben. Aber überraschend ist eben nicht, dass der »Weltenretter« in manchen Dingen gescheitert ist. Überraschend ist, dass Barack Obama bereits so vieles erreicht hat.

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