Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024 09:54 Uhr

Rabbiner Jehoschua B. Ahrens Foto: Markus Forte

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024 09:54 Uhr

Seit dem 7. Oktober 2023 ist der ohnehin ziemlich fragile jüdisch-muslimische Dialog noch schwieriger geworden. Gerade in den sozialen Medien wird die Stimmung zusätzlich angeheizt und Juden und Muslime als unversöhnlich auseinanderdividiert.

Schwarz-weiß statt der ganzen Komplexität der Situation und auch der Akteure. Dialogräume, die den Austausch ermöglichen sollten, funktionieren nicht mehr. Ich erlebe das auch persönlich. Langjährige Gesprächspartner wenden sich ab – oder umgekehrt, ich wende mich von ihnen ab, nachdem ich gelesen oder gehört habe, was sie schreiben oder sagen.

All das zeigt, dass es offensichtlich noch an Vertrauen zwischen Juden und Muslimen fehlt. Der sozio-kulturelle Unterschied ist weiterhin sehr groß, trotz der vielen Gemeinsamkeiten, gerade in der Religionspraxis. Hier sind sich wahrscheinlich keine zwei anderen Religionen so nahe wie der Islam und das Judentum, gerade als Minderheiten in den christlich geprägten Gesellschaften in Europa. Das verbindet beide und stärkt auch die Zusammenarbeit für gemeinsame Interessen.

Spirale des Misstrauens

Doch wie kommen wir heraus aus der Spirale des Misstrauens zwischen Muslimen und Juden? Ganz wichtig ist eine Entpolitisierung. In Europa werden wir nicht die Probleme und Konflikte des Nahen Ostens lösen können. Ich sage ganz bewusst Konflikte im Plural, denn der israelisch-palästinensische Konflikt ist nur einer unter vielen.

Natürlich werden Muslime und Juden in Europa auf die ein oder andere Weise mit Ländern in Nahost verbunden sein, und selbstverständlich werden wir unsere Meinungen dazu haben, was Ursache ist und was Lösung sein kann. Das ist auch völlig in Ordnung, es darf nur nicht alles überschatten, sondern Meinungen müssen respektiert werden. Selbstverständlich ist das nur möglich, wenn wir es schaffen, die Emotionen herauszunehmen und die Diskussion zu versachlichen.

Zugegeben, die Situation im Nahen Osten ist momentan für uns sehr persönlich, und der Schmerz und die Traumata sind nahe. Es zeigt auch, wie zerbrechlich die Welt ist, in der wir leben. Umso wichtiger ist es, Empathie für den anderen zu haben, dessen Leid anzuerkennen.

Wenn die Religion Teil des Problems ist, dann muss sie auch Teil der Lösung sein.

Klar ist aber auch: Eine Meinung kann nur dann als Meinung und andere Perspektive dienen, wenn sie einen Weg hin zur Lösung beschreibt und nicht zu noch mehr Hass und Gewalt führt. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehr Begegnungen zwischen Juden und Muslimen haben. Dialog findet nicht nur zwischen Institutionen statt, sondern zwischen Menschen.

Wenn Menschen einander kennenlernen, dann bekommt der Dialog eine tiefere Dimension, dann wird nicht mehr abstrakt über den anderen gesprochen, sondern das Gegenüber bekommt ein Gesicht und einen Namen, wird Mensch. Freundschaften können auch Krisen aushalten und ermöglichen Verständnis, auch ohne allem zustimmen zu müssen. Wir brauchen echte, authentische Beziehungen und Verbindungen zum anderen, das schafft Frieden.

Das Wichtigste und die Basis von alldem aber ist die Religion. Wenn die Religion Teil des Problems ist, dann muss sie auch Teil der Lösung sein. Dieses Zitat wird bekanntermaßen Rabbiner Menachem Froman zugeschrieben, einem religiösen Zionisten und Siedler. Er hat sein Leben der Friedensarbeit in Israel gewidmet und sich aus religiöser Perspektive und Überzeugung heraus stark engagiert.

Den Weg zueinander ebnen

Er konnte damit politische und religiöse Gräben überwinden und versuchte insbesondere, die Kluft zwischen Juden und Muslimen, Israelis und Palästinensern zu überbrücken. Religionen können Brücken bauen. Gerade in den zersplitterten und sehr individualisierten Gesellschaften Eu­ropas, in denen Menschen kaum noch etwas gemeinsam haben, können unsere grundlegenden Werte einen Weg zueinander ebnen, eine Basis schaffen.

Ja, es gibt viel Judenhass in unserer Gesellschaft, auch unter Muslimen, aber es gibt auch viel Gutes, sicherlich auch im Islam. Das müssen wir erkennen und unterstützen. Wir müssen klar zwischen dem extremen Islamismus und dem Islam unterscheiden – sie dürfen nicht in einen Topf geworfen werden. Ganz im Gegenteil: Juden und Muslime stehen gemeinsam im Kampf gegen Hass-Ideologien.

Im kommenden Jahr feiern wir 60 Jahre Nostra Aetate, der Beginn einer revolutionären Veränderung in den christlich-jüdischen Beziehungen. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir den nächsten Schritt gehen und einen Prozess der Geschwisterlichkeit mit dem Islam beginnen. Das Potenzial ist da, vor allem weil Juden und Muslime nicht nur ein gemeinsames religiöses Erbe haben, sondern eine Familie sind: Juden als Nachkommen Jizchaks und Muslime als Nachkommen Jischmaels. Familien streiten sich manchmal, aber Familien können sich auch versöhnen und in Eintracht miteinander leben.

Der Autor ist Vertreter der Europäischen Rabbinerkonferenz im Muslim Jewish Leadership Council.

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