Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, fordert die gründliche Aufklärung möglicher Fälle von Rechtsextremismus bei Polizei und Bundeswehr. Schuster bezog dies auf das Beispiel der rassistischen Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0. In dem Fall sei auch die hessische Polizei genau unter die Lupe zu nehmen, mahnte der Zentralratspräsident am Donnerstag.
»Wenn es rechtsextreme Gruppen oder gar Strukturen in der Polizei gibt und das gedeckt wird, dann schadet das nicht nur jenen Menschen, die Opfer dieser Extremisten werden, sondern es schadet auch massiv dem Ansehen der gesamten Polizei«, erklärte Schuster im einer Rede in der Magdeburger Johanniskirche. Dasselbe gelte für die Bundeswehr. »Es besteht das Risiko, dass nachhaltig das Vertrauen unserer Bürger in unsere Sicherheitskräfte beschädigt wird.«
Um dem wachsenden Antisemitismus zu begegnen, brauche Deutschland gut ausgebildete Polizisten sowie eine wachsame Justiz. »Manchmal scheint die Justiz auf dem rechten Auge eine gewisse Sehschwäche zu haben«, erklärte Schuster. »Doch bei Antisemitismus und Rassismus darf kein Auge zugedrückt werden.«
NARRATIV Schuster hat zudem antisemitische Motive bei Demonstrationen gegen die Corona-Politik scharf kritisiert: »Es sind die Corona-Leugner selbst, die die Demokratie mit Füßen treten.« Gegner der Corona-Maßnahmen griffen zu einem alten antisemitischen Narrativ, das der aktuellen Situation angepasst wird, beklagte Schuster.
»Zugleich ist die paradoxe Situation entstanden, dass die Corona-Leugner einerseits Juden als Verursacher der Pandemie, also als Täter, identifizieren und andererseits sich selbst mit Holocaust-Opfern vergleichen.« Er verwies darauf, dass bei den Demonstrationen gelbe »Judensterne« mit der Aufschrift »Ungeimpft« in Anlehnung an die NS-Zeit zu sehen waren.
»Wer sich hierzulande wegen der Corona-Maßnahmen auf eine Stufe mit Opfern der Schoa stellt, handelt menschenverachtend und total respektlos.«
zentralratspräsident josef schuster
Der Appell der Regierenden, in der Pandemie möglichst zu Hause zu bleiben, sei mit der Situation in den 40er-Jahren gleichgesetzt worden, in der Juden sich verstecken mussten, um ihr Leben zu retten. Ein trauriger Höhepunkt sei gewesen, als sich bei einer »Querdenken«-Demonstration eine Elfjährige mit Anne Frank verglich.
»Daneben finden sich solche unverfrorenen Vergleiche mit der Nazi-Zeit absurderweise auch am anderen Ende des Spektrums, bei den Menschen, die einen harten Lockdown befürworten, bei der No-Covid-Bewegung. Die Präsenzpflicht in den Schulen vergleichen sie mit der Eugenik des Dritten Reiches«, so Schuster. Kinder sollten laut dieser Gruppe angeblich planmäßig »durchseucht« und Schulen als »Vernichtungsstätten« bezeichnet werden.
»Lassen Sie es mich ganz klipp und klar sagen: Wer sich hierzulande wegen der Corona-Maßnahmen auf eine Stufe mit Opfern der Schoa stellt, handelt menschenverachtend und total respektlos«, sagte Schuster.
VEREINNAHMUNG Er äußerte sich auch mit Blick auf sogenannte Querdenker, die sich im Widerstand zu einer angeblichen Corona-Diktatur wähnen und mit Sophie Scholl von der »Weißen Rose« vergleichen. Er sprach von einer »unverschämten Vereinnahmung der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus durch Menschen, die die Demokratie ablehnen«.
Josef Schuster würdigte die Leistung des medizinischen und pflegerischen Personals in der Pandemie.
Der Vortrag des Zentralratspräsidenten trug den Titel »Gemeinsame Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft« und war in die diesjährige »Woche der Brüderlichkeit« sowie in das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« eingebettet. Neben den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus sprach Schuster auch zu den Folgen der Corona-Pandemie, zur Bedeutung der Religionsgemeinschaften beziehungsweise dem christlich-jüdischen Dialog sowie zum Stellenwert von Bildung.
Schuster würdigte die Leistung des medizinischen und pflegerischen Personals in den vergangenen zwei Jahren: »Wenn Deutschland noch recht glimpflich bisher durch die Pandemie gekommen ist, verdankt es das zum größten Teil Ihnen! Sie können stolz auf sich sein!«
Der Zentralratspräsident stellte zudem mehrere Programme vor, die der Zentralrat aufgelegt hat, um die 105 Mitgliedsgemeinden dabei zu unterstützen, die Mitgliederbindung zu stärken: darunter Angebote für junge Familien wie die Kinderbuch-Bibliothek »PJ Library« sowie das Gemeindecoaching, eine Jahr »professionelle Beratung und Begleitung für Gemeindeentwicklung«.
FUNDAMENT Zum Stellenwert der Religionsgemeinschaften sagte Schuster: »Einen inneren Halt zu haben, ein Fundament – wie wichtig das ist, dürften viele Menschen in der Corona-Krise begriffen haben« Leider hätten viel zu viele Bürger Halt bei rechten Rattenfängern gesucht. »Gerade die Religionsgemeinschaften können und müssen dem etwas entgegensetzen«, betonte der Zentralratspräsident.
Auch Defizite bei der schulischen Vermittlung jüdischer Religion, Geschichte und Kultur sprach Schuster an.
»Über das moderne jüdische Leben in Deutschland, über die jüdische Religion, zum Beispiel die Feiertage oder über den Beitrag von Juden zur deutschen Geistesgeschichte wissen die meisten Menschen hierzulande extrem wenig«, beklagte er. Aus genau diesem Grund entstehe derzeit das finanziell größte Projekt, das der Zentralrat in seinem rund 70-jährigen Bestehen angehe: »Wir bauen in Frankfurt am Main eine Jüdische Akademie.« »Hier sollen gesellschaftliche Debatten um die jüdische Perspektive bereichert werden. Hier wollen wir Juden und Nichtjuden in einen Austausch bringen«, so Schuster.
Auch Defizite bei der schulischen Vermittlung der jüdischen Religion, Geschichte und Kultur sprach Schuster an. Er hob zugleich den Stellenwert des Kampfes gegen Antisemitismus an Schulen hervor und würdigte das Begegnungsprojekt des Zentralrats »Meet a Jew«.
Trotz der Sorgen, die es in der jüdischen Gemeinschaft gebe, sagte Josef Schuster, »betrachten wir Deutschland aber als unser Zuhause und sehen uns als integralen Bestandteil der Gesellschaft«. Die in Magdeburg und Dessau entstehenden Synagogenneubaten seien »ein deutliches Zeichen«. Der Zentralratspräsident resümierte: »Die jüdische Gemeinschaft sieht ihre Zukunft in Deutschland – trotz allem!« dpa/kna/ja