Für die einen gilt er als renommierter Experte. Die anderen sagen, er delegitimiere Israels Sicherheitsinteressen und bediene verschwörungsideologisches Denken: Michael Lüders, Islamwissenschaftler und Politologe, wurde am vergangenen Samstag im ehemaligen Ost-Berliner Kino Kosmos in den erweiterten Vorstand des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) gewählt. Die Personalie gibt einen Anhaltspunkt, wie sich die neue Partei der ehemaligen Linken-Ikone in der Nahost-Politik positionieren wird.
Lüders gibt den Ton vor: Schon drei Tage nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 gab er dem Südwestrundfunk ein Interview, in dem er die Vergeltungsmaßnahmen Israels als falsch und als Kriegsverbrechen bezeichnete und dem Westen eine Mitverantwortung für die Eskalation des Konflikts gab, denn dieser habe nichts gegen die Situation der Palästinenser unternommen. Und so könnte sich bestätigen, was die 2017 verstorbene Politologin und ehemalige Redakteurin dieser Zeitung, Sylke Tempel, 2012 im »Tagesspiegel« über das »Prinzip Lüders« schrieb: »Alles wird so verdreht, dass es in sein Weltbild der bösen israelischen und amerikanischen Kriegshetzer und des armen, rein defensiven Iran passt.« Will Wagenknecht das auch als Leitlinie für ihre Partei?
Reaktionen auf die Wahl von Michael Lüders
Argwöhnisch reagierten frühere Linkspartei-Genossen der BSW-Vorsitzenden Wagenknecht auf die Wahl von Lüders, der am Samstag von allen Kandidaten das beste Ergebnis erzielte. Und dies aus mehreren Gründen: Der Menschenrechtsaktivist Martin Glasenapp, der jahrelang für die Linken-Politikerin Katja Kipping gearbeitet hat, schrieb auf der Plattform X, inhaltlich passe das schon mit Lüders: »Der deutsche Nahostexperte behauptet bekanntlich wie Sahra Wagenknecht, dass vor allem der Westen für den Krieg in Syrien verantwortlich gewesen wäre und alle Sanktionen gegen das syrische Folterregime fallen müssen.«
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner wies darauf hin, dass Lüders offenbar wenig Berührungsängste mit Rechtsradikalen hat: Im April will er auf einem Investorentag in Liechtenstein über das Thema »Gaza-Krieg ohne Ende?« referieren. Dort sind als Redner auch der ehemalige WerteUnion-Bundesvorsitzende und AfD-Präsidentschaftskandidat Max Otte sowie Markus Krall angekündigt, der sich in der WerteUnion gleichfalls als Türöffner Richtung AfD engagierte.
So sortiert sich eine neue Partei, nicht nur in der Nahost-Frage, sondern auch in der Frage des Umgangs mit der AfD und anderen Akteuren am rechten Rand. Zwar schließt das BSW Koalitionen mit der AfD aus. Zugleich aber zielt die neue Partei durchaus auf deren Wählermilieus. Funktionäre der AfD sollen bei Interesse nicht übergangslos in die Wagenknecht-Partei aufgenommen werden – das aber schließt nicht aus, dass der eine oder die andere, die früher in der rechtsradikalen Partei aktiv waren, künftig bei Wagenknecht & Co. mitmischen können. Die zum Gründungsparteitag im Kosmos-Kino versammelte Mitgliedschaft – etwa 400 Teilnehmer – war handverlesen, die ältere Generation und auch die Männer dominierten. Streit in den eigenen Reihen wie bei ihrem nach wenigen Jahren fehlgeschlagenen Projekt »Aufstehen« will Wagenknecht tunlichst vermeiden.
Es gibt Hinweise auf Schnittmengen zwischen der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht.
Noch ist längst nicht klar, ob der Vorsitzende der erzkonservativen WerteUnion, Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, recht bekommt mit seiner Einschätzung, dass Wagenknecht und ihre Partei – anders als er das vorhat – eine Brandmauer zur AfD errichten und letztlich nur Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne werden. Er schätze Wagenknecht, weil sie Probleme anspreche, sagte Maaßen in einem Interview mit dem Lokalsender »tv Berlin« kurz vor dem BSW-Gründungsparteitag. Ihre Lösungsvorschläge aber kämen aus der »alten rostigen Werkzeugkiste des Sozialismus«.
Es gibt durchaus Hinweise auf inhaltliche Schnittmengen zwischen BSW und AfD. Die Linkspartei-nahe Zeitung »nd« schrieb in ihrem Parteitagsbericht: »In der Kritik an der AfD bleibt das BSW indifferent. Eine klare Verurteilung der rechtsextremen Pläne mit AfD-Beteiligung für Massenausweisungen blieb die Ausnahme. Mehrere Redner legten nahe, dass viele Menschen aus Wut über die Regierungspolitik quasi gegen ihren inneren Willen AfD gewählt hätten.«
Das Blatt zitierte den früheren Linkspartei-Vorsitzenden Klaus Ernst, der sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht angeschlossen hat, mit den Worten, bei der Kritik an zu wenig Sozialausgaben und Investitionen in die Wirtschaft sowie zu viel Geld für Rüstung gebe es »momentan nur eine Partei, die da ab und zu auch mal was Richtiges sagt, das ist die AfD«.
Unterstützung von AfD-Anträgen
Die im BSW organisierte Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen antwortete vergangene Woche bei »Abgeordnetenwatch« auf die Frage, warum sie sich der AfD-Forderung im Bundestag nach einer »Friedensinitiative« im Ukraine-Konflikt mit Abkehr von der militärischen Logik nicht angeschlossen habe: »Den AfD-Antrag haben wir sorgsam geprüft. In der Endabwägung konnten wir nicht zustimmen, die vorgeschlagene konkrete Umsetzung ist vielfach kritikwürdig.« Offensichtlich hält das BSW also auch die Unterstützung von AfD-Anträgen prinzipiell für möglich.
Was die BSW-Erfolgsaussichten angeht, sind die Wahlforscher noch sehr unsicher. In jüngsten Umfragen zur Landtagswahl in Sachsen wird die neue Partei zwischen vier und acht Prozent taxiert, in Brandenburg zwischen vier und 13 und in Thüringen sogar zwischen vier und 17 Prozent. Aufmischen könnte Wagenknecht die Parteienlandschaft aber sehr wohl. Ihr Mann Oskar Lafontaine betonte in der Schlussrede auf dem Gründungsparteitag einen Unterschied zur AfD, der bei Landtagswahlen kaum zählen dürfte: Demnach stehe die AfD wie alle anderen Parteien »an der Seite Israels«. Sie sei deshalb keine echte »Friedenspartei«.