Als Machtmensch hat es Recep Tayyip Erdogan faustdick hinter den Ohren. Innenpolitisch, so scheint es, braucht der populäre türkische Premier mittlerweile keinen Gegner mehr zu fürchten. Selbst das Militär lässt ihn beim Umbau vom laizistischen zu einem islamischen Staat bislang gewähren. Auch außenpolitisch kann der 57-Jährige offenkundig vor Kraft kaum laufen. Seit einiger Zeit lässt der starke Mann vom Bosporus nichts unversucht, um aller Welt seine Entschlossenheit zu demonstrieren: Seht her, den Erdogan in seinem Lauf hält keiner auf. Und jetzt will er, der Berufene, sogar an einem ganz großen Rad drehen.
Der türkisch-arabische Antagonismus, der bis in osmanische Zeiten zurückreicht, soll unter seiner Ägide ein Ende finden. Und was anstelle der Differenzen des 19. und 20. Jahrhunderts nach Erdogans Vorstellung in Zukunft treten könnte, hat er jetzt Freund und Feind durch eine Rede in Kuwait wissen lassen: eine muslimische Union, bestehend aus der Türkei und den arabischen Staaten. Ein Bündnis, das Potenzial hätte, »die ganze Welt« zu gestalten. Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Denn selbstredend, so würde Erdogan sicherlich beteuern, geht es hier weder um einen Herrschaftsanspruch noch um Überlegenheitsfantasien. I wo! Nur ein bisschen mehr Einfluss, um Politik mitzugestalten - das wäre nicht von Übel und vor allem nach vielen Jahrhunderten der Missachtung durch den Westen mehr als angebracht.
Auf dem Kreuzzug Und deshalb ist es laut Erdogan längst überfällig, dass sich die vereinigte islamische Welt scharf vom Christentum (vermutlich auch vom Judentum) abgrenzt. »Türken und Araber haben diese Gegenden gemeinsam in der Zeit der Kreuzzüge verteidigt«, sagte Erdogan laut einem von der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu verbreiteten Text. Auch später habe man Seit an Seit gegen die »Invasoren« gekämpft. Lammfromm klingt anders.
Tatsächlich leitet Erdogan aus seiner Vision konkrete Gestaltungspläne ab. Eine türkisch-arabische Solidargemeinschaft biete zum Beispiel die Möglichkeit, sowohl das Palästina-Problem zu lösen als auch den »Schmerz« im Irak und in Afghanistan zu beenden - ein Leid, das nach seiner Lesart allein der Westen verursacht habe. Nur die eigene Opferrolle zählt. Bei einem solch eindimensionalen Weltbild kann einem angst und bange werden.
Wir allein bestimmen unsere Außenpolitik, im Ausland solle keiner glauben, er könne die Türkei beeinflussen – auch das hat Erdogan in Kuwait folgerichtig betont. Es scheint, als habe sich Ankara – vielleicht noch nicht endgültig, aber sicherlich auf absehbare Zeit – vom Westen enttäuscht abgewendet. Das stolze Land, das sich als Großmacht mit legitimem Führungsanspruch versteht, sucht jetzt sein morgenländisches Glück. Und das schließt eine enge Kooperation mit der potenziellen Atommacht Iran ein. Eine beunruhigende Vorstellung.
Tschüss Europa An dieser fatalen Entwicklung ist gerade die Europäische Union nicht schuldlos. Über Jahre hinweg ließ man die Türkei bei der Frage einer Mitgliedschaft zappeln. Ein Versprechen folgte auf das nächste, ohne dass es aus Ankaras Sicht einen einzigen Schritt voranging mit den Verhandlungen. Dass dies dem ohnehin labilen Verhältnis schaden würde, lag auf der Hand. Trotzig sucht Erdogan nun nach neuen Wegen, um die von ihm herbeigesehnte Wertschätzung einschließlich einer Führungsrolle zu erhalten. Die Vergangenheit wird er ohne Wehmut hinter sich lassen. Und versuchen, sich in Zukunft eine Union nach seinen eigenen Vorstellungen zu erschaffen – eine islamische, die, wohlgemerkt, das Zeug haben soll, die Welt zu gestalten.
Aber vielleicht bleibt das alles ja Wunschdenken. Denn die Herrscher aus Tausendundeiner Nacht sind sich selbst am nächsten. Von anderen lassen sie sich ungern reinreden, schon gar nicht vom gefürchteten Iran. Ohnehin ist ihnen Erdogan schon seit längerem ein Dorn im Auge, wird er doch von der arabischen Straße fast als Held verehrt – eine potenzielle Gefahr für die Scheichs.
Also: Unterschätze keiner die Ambitionen des türkischen Regierungschefs. Eine islamische Achse – das wäre ganz nach seinem Geschmack.