Herr Taylor, Sie sind vor wenigen Tagen zum neuen Präsidenten der Claims Conference gewählt worden. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Es ist eine große Ehre für mich, für eine solche Position in Betracht gezogen zu werden und in die Fußstapfen jüdischer Führungspersönlichkeiten wie Nahum Goldmann zu treten, der diese Organisation 1951 gegründet hat. Eines der wichtigsten Merkmale der Claims Conference ist, dass sie das breite Spektrum des jüdischen Lebens zusammenbringt. Da sitzen orthodoxe, säkulare und Reformjuden mit am Tisch, Amerikaner, Israelis und Europäer, Holocaust-Überlebende und Nachgeborene. Sie bringen unterschiedliche Perspektiven mit, aber es gibt ein gemeinsames Ziel.
Was sind Ihre Prioritäten in den kommenden Monaten und Jahren?
Unser Augenmerk liegt erst einmal auf den Verhandlungen mit der deutschen Regierung. Die Schoa-Überlebenden sind sehr alt, ihr Bedürfnis nach Pflege und Fürsorge wächst stetig. Wir müssen sicherstellen, dass ihnen die Leistungen angeboten werden können, die sie benötigen, und dass diese auch finanziert sind. Genauso wichtig sind die Entschädigungsprogramme für Überlebende. Hierfür hat die Claims Conference lange und hart gekämpft. Das ist nur eine symbolische Anerkennung des Leids, das sie erfahren haben. Dennoch ist das Geld für manche Überlebende sehr wichtig, gerade in diesen schwierigen Zeiten.
Stichwort Covid-19: Wie haben die Überlebenden die Krise durchgestanden?
Das war eine sehr schwierige Zeit, und für diese Gruppe ganz besonders. Wenn man lange allein und abgeschottet in den eigenen vier Wänden sitzen muss, fühlt man sich an die Zeit der Schoa erinnert.
Wie würden Sie die Beziehung der Claims Conference zu Deutschland beschreiben?
Sehr positiv. Die Bundesregierung hat Verständnis für die Bedürfnisse der Überlebenden. Wir sehen natürlich, dass sich die politische Landschaft auch in Deutschland verändert. Da ist es wichtig, dass wir eng mit den Nachwuchspolitikern zusammenarbeiten, um so sicherzustellen, dass Deutschland sich seiner moralischen Verantwortung auch bewusst bleibt. Die Bundesregierung versteht auch die Bedeutung der Holocaust-Erziehung und des Gedenkens. Ich glaube, dass sie sehr vorausschauend handelt und der Verantwortung des Landes gerecht wird.
Wie sehen Sie die zukünftige Rolle der Claims Conference?
Solange auch nur ein einziger Überlebender noch unter uns ist, werden wir für gute Betreuung und für Entschädigungszahlungen kämpfen. Uns ist auch sehr bewusst, dass die Berichte der Zeitzeugen für künftige Generationen unerlässlich sind. Wir haben nur noch wenig Zeit, daher müssen wir kluge Wege finden, dieses Wissen zu bewahren, unter anderem durch den Einsatz moderner Technologien.
Mit dem neuen Präsidenten der Claims Conference sprach Michael Thaidigsmann.