»Wir werden das millionenfache Leid und die Opfer niemals vergessen.« Diese Worte hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am 2. März dieses Jahres ins Gästebuch von Yad Vashem eingetragen. Am vergangenen Sonntag sprach er in Berlin von seinem Besuch in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte und davon, wie tief berührt er an diesem Ort war: »Das furchtbare Verbrechen, das Deutsche an sechs Millionen europäischen Juden begangen haben, wird spürbar. Die Namen der Ermordeten werden in die Gegenwart gerettet.«
Die Arbeit der Gedenk- und Forschungsstätte zu unterstützen – das ist die Aufgabe des Freundeskreises Yad Vashem in Deutschland.
Die Arbeit dieser Gedenk- und Forschungsstätte zu unterstützen – das ist die Aufgabe des Freundeskreises Yad Vashem in Deutschland. Der Verein feierte am 4. September sein 25-jähriges Bestehen mit einer Gedenkveranstaltung in der Synagoge Joachimsthaler Straße in Berlin. Dabei sprach der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe die Begrüßungsworte, Rabbiner Yitzhak Ehrenberg sagte das Kaddisch und Kantor Isidoro Abramowicz sang das »Ani Maamin«. Zahlreiche Gäste waren der Einladung des Freundeskreises gefolgt, darunter Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Israels Botschafter Ron Prosor, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.
Ehrengast war die eigens aus Israel angereiste Schoa-Überlebende Fanny Ben-Ami. Sie wurde 1930 in Baden-Baden geboren und konnte durch die Flucht mit ihren Schwestern überleben. Ihre Eltern wurden ermordet. Nach dem Krieg wanderte sie nach Israel aus, heiratete und hat zwei Kinder und sechs Enkel. Bei der Veranstaltung am Sonntag bekannte sie, dass sie noch niemals in einer Synagoge gesprochen habe und ihr dies schwerfalle. In Baden-Baden sei sie inzwischen schon öfter gewesen, auch, um vor Schülern Zeugnis abzulegen, um über Antisemitismus und Rassismus zu sprechen. Etwas entmutigt fragte sie: »Hat das heute überhaupt einen Sinn? Ich glaube nicht.« Rassismus und Antisemitismus seien immer noch vorhanden, stellte sie resigniert fest: »In unserer modernen Welt dürfte das gar nicht sein.«
Dann hörten Fanny Ben-Ami und die anderen Gäste ganz genau auf die Worte des Bundeskanzlers, sprach er doch gut zwei Wochen, nachdem der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, im Berliner Kanzleramt mit seinen Äußerungen für weltweite Empörung gesorgt hatte. Abbas hatte gesagt, Israel habe »50 Holocausts« in palästinensischen Dörfern und Städten verübt. Scholz wurde dafür kritisiert, dass er bei der Pressekonferenz nicht direkt widersprochen hatte.
RELATIVIERUNG In seiner Rede am Sonntag verurteilte der Bundeskanzler eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen scharf. »Der Holocaust, die Tötung von sechs Millionen Menschen, ist singulär. Wer den Holocaust infrage stellt, wer falsche Vergleiche anstellt, der verharmlost und verfälscht Geschichte. Der schürt Hass und Gewalt. Der verhöhnt die Opfer.« Dies sei der Führung der Palästinenser nach Mahmud Abbas’ »empörender Entgleisung hier auf deutschem Boden« unmissverständlich klargemacht worden, so Scholz. Der Regierungschef betonte die Verpflichtung Deutschlands, an die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten zu erinnern und Überlebende zu unterstützen. Dabei verwies er auch auf die Aufnahme von Holocaust-Überlebenden aus der Ukraine. 94 von ihnen seien bislang in Deutschland aufgenommen worden, sagte er.
Der Kanzler unterstrich, dass der Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus für die Bundesregierung allerhöchste Priorität habe. Er nannte die von den Behörden registrierte Rekordzahl von mehr als 3000 antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr. »Dagegen kommen wir nur an, wenn eine handlungsbereite Politik und eine engagierte Zivilgesellschaft zusammenwirken«, sagte er. Deshalb sei er dem Freundeskreis dankbar für seine wichtige Arbeit, die ausstrahlt in die Gesellschaft.
VEREIN Der Freundeskreis wurde 1997 in Frankfurt am Main gegründet und hat heute seinen Sitz in Berlin. Anfangs standen Rita Süssmuth, Hildegard Müller und Jürgen Rüttgers an der Spitze des Vereins. Seit 2017 ist der ehemalige »BILD«-Herausgeber Kai Diekmann Vorsitzender. Stellvertreter sind Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff und Bankier Christopher Freiherr von Oppenheim. Die Geschäfte führt Ruth Ur. Der deutsche Verein ist Teil einer weltweiten Gemeinschaft von Freundeskreisen, die die Arbeit von Yad Vashem unterstützen.
Kai Diekmann sprach am Sonntag davon, dass das 25-jährige Bestehen des Vereins kein Grund zum Feiern sei, ganz im Gegenteil: »Niemand hätte sich je ge-wünscht, dass es einen solchen Freundeskreis, dass es Yad Vashem überhaupt geben muss.« Aber ein Anlass zurückzuschauen sei dieser Tag schon.
»Dass wir heute als Deutsche in Yad Vashem als Partner und Freunde begrüßt werden, empfinde ich als einzigartiges Geschenk, das ist ein wirkliches Wunder«, betonte Diekmann. Wie in keinem anderen Land sei es eine besondere Verantwortung, »die Erinnerung an den Holocaust und an die zahllosen Opfer in unseren Köpfen und unseren Herzen wachzuhalten«.
ZENTRALRAT Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, dankte allen Akteuren des Freundeskreises dafür, dass sie sich seit 25 Jahren erfolgreich »für die Unterstützung dieser außerordentlich wichtigen Gedenkstätte in Jerusalem« einsetzen. Er erwähnte Projekte wie die Aktion »Licht zeigen«, mit der das Erinnern noch stärker in die Gesellschaft hineingetragen werde und hob hervor, dass es vor einiger Zeit gelungen sei, fünf große Unternehmen zu einer großzügigen Spende für das Haus der Sammlungen in Yad Vashem zu bewegen. Dies unterstreiche den Erfolg der Arbeit. Schuster dankte auch der Bundesregierung dafür, dass sie die Arbeit von Yad Vashem fördert.
»Wer den Holocaust infrage stellt,
Bundeskanzler Olaf Scholz
wer falsche Vergleiche anstellt, der
verharmlost und verfälscht Geschichte.«
Es gebe immer noch zahlreiche Menschen, »die die Schoa leugnen oder bagatellisieren – und damit das Denkmal und die Namen von sechs Millionen Opfern des Völkermords an den europäischen Juden mit Füßen treten«. Nicht zuletzt im arabischen Raum sei die Leugnung und Bagatellisierung der Schoa ein großes Problem. Dabei verwies der Zentralratspräsident auf die Äußerungen von Mahmud Abbas im Kanzleramt. Aber nicht nur wegen dessen skandalöser Äußerung sei er der Ansicht, dass an die Zuwendungen der Bundesrepublik für die Palästinensische Autonomiebehörde endlich Bedingungen geknüpft werden sollten: »Es muss ein Ende haben, dass diese Behörde zum Terror gegen Israelis anstachelt, indem sie den Familien getöteter Terroristen sogenannte Märtyrerrenten bezahlt.« Ebenso müsse die hasserfüllte Propaganda gegen Israel in palästinensischen Schulbüchern aufhören: »Warum, das frage ich mich immer wieder, sollten deutsche Steuerzahler diese Art von Politik finanzieren?«
Die Gedenkveranstaltung fand fast zeitgleich mit der Begegnung des israelischen Präsidenten Isaac Herzog mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue statt. Scholz traf dann am Montagmorgen mit Herzog im Kanzleramt zusammen, am kommenden Sonntag erwartet er dort den Besuch von Israels Ministerpräsidenten Yair Lapid. Und auch bei dieser Begegnung, so hatte Scholz in seiner Rede am Sonntag angekündigt, wolle er nochmals bekräftigen: »Antisemitismus – und dazu gehört die Relativierung des Holocaust – werden wir in Deutschland nicht dulden.«