Dass sein Name eines Tages für eine eigene politische Protestform stehen würde, konnte Charles Cunningham Boycott nicht ahnen, als er 1880 Gutsverwalter im irischen Mayo wurde. Nach kurzer Zeit hatte er dort nicht nur die Landpächter gegen sich aufgebracht – alle Bewohner des Landstrichs wehrten sich durch komplette Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit gegen den jähzornigen, ungerechten Mann. Am Ende wurde Boycott von einer Militäreskorte außer Landes gebracht – und sein Name weltberühmt.
Googelt man heute nach »Boykott«, findet man sofort auch das Wort »Israel«. Waren anderer Länder werden nicht mit derartiger Ausdauer auf Schwarze Listen gesetzt und mit Kaufverboten belegt. Das begann schon zweieinhalb Jahre, bevor der jüdische Staat überhaupt entstand. Am 2. Dezember 1945 verabschiedete die neun Monate zuvor gegründete Arabische Liga eine Resolution, in der alle Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen wurden, keine Produkte aus dem jüdischen Sektor Palästinas zu kaufen. Nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1948 wurde der Boykott ausgedehnt und auch Privatleuten jeglicher Handel mit Israel untersagt.
Zwei Jahre später versuchte man zusätzlich, internationale Firmen zu treffen: Jedes Unternehmen, das Handelsbeziehungen zu Israel unterhielt, sollte fortan von den Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga boykottiert werden. Um die Beschlüsse besser zu koordinieren, wurde 1951 im syrischen Damaskus ein Zentralbüro für den Boykott Israels eröffnet. Dort wurde unter anderem die Schwarze Liste der Unternehmen verwaltet, mit denen offiziell kein Handel mehr betrieben werden durfte – 1976 umfasste sie die Namen von 6300 Firmen.
»bds« Warum sich nach vielen Jahrzehnten organisierten arabischen Boykotts gegen alles, was aus Israel kommt oder dem Land nur nahesteht, dann im Juli 2005 noch zusätzlich eine palästinensische Initiative gründen musste, ist unklar. BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) heißt die laut ihrer Webseite (www.bdsmovement.net) von einer nicht näher ausgewiesenen »palästinensischen Zivilgesellschaft« initiierte Bewegung, die Israel per wirtschaftlichem Druck zwingen will, »das Völkerrecht und die palästinensischen Rechte« zu respektieren.
Zwar wird die BDS-Bewegung selbst bei den üblichen Verdächtigen inzwischen höchst kritisch gesehen: Norman Finkelstein, von Israelhassern jahrelang gern als jüdische Stimme gegen den zionistischen Feind gefeiert, nannte die BDS-Bewegung Anfang 2012 »eine Sekte«, die lediglich behaupte, die Interessen der palästinensischen Zivilgesellschaft zu vertreten, in Wirklichkeit jedoch »absolut nichts repräsentiert«. Ihr Auftreten sei »albern, kindisch, linkes Getue«. Dem Engagement der internationalen BDS-Anhänger hat das aber keinen Abbruch getan. Vor allem in Großbritannien und den USA sind die Boykotteure insbesondere im akademischen Milieu weiter höchst aktiv.
linke Auch Deutschland hat seinen BDS-Ableger, der auf seiner Webseite www.bds-kampagne.de stolz Aktionen vermerkt, wie Proteste gegen SPD-Baumpflanzungen in Israel oder ein »Walk-In« bei Kaufhof, wo israelische Produkte wie Ahava-Kosmetik und Sodastream verkauft werden. Bei Boykotten gegen Israel sind auch immer wieder Politiker der Partei Die Linke zu finden. Der Bekannteste unter ihnen dürfte Hermann Dierkes sein. 2009 hatte der Chef der Linke-Fraktion im Duisburger Rat und Oberbürgermeisterkandidat seiner Partei im kommunalen Wahlkampf dazu aufgerufen, Israel zu boykottieren.
Nach Protesten jüdischer und anderer Organisationen im In- und Ausland distanzierten sich Linken-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau zwar mit sehr deutlichen Worten von dem Duisburger Genossen im Besonderen und Israelboykotten im Allgemeinen. Doch Linke-NRW-Landesvorsitzender Wolfgang Zimmermann unterstützte Dierkes und verteidigte ihn gegen Antisemitismusvorwürfe. Zwei Jahre später, im April 2011, machte Dierkes’ Duisburger Linke wieder von sich reden, als der Kreisverband auf seiner Webseite ein Flugblatt postete, das einen Davidstern mit Hakenkreuz zeigte und zum Boykott Israels aufforderte: »Tretet der moralischen Erpressung durch den sogenannten Holocaust entgegen.«
Einen Monat vorher waren die Bremer Genossen in die Kritik geraten, als sie eine antiisraelische Boykottaufrufaktion vor einem Rewe-Markt auf der parteieigenen Webseite wohlwollend begleitet und antisemitische Userpostings veröffentlicht hatten.
katholiken Noch rühriger als Die Linke ist in Sachen Israelboykott eine katholische Organisation. »Pax Christi« war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von französischen Katholiken als »Kreuzzug des Gebets um Versöhnung« gegründet worden. Inzwischen scheint ein Fokus der deutschen Sektion der international aktiven Friedensfreunde auf Antizionismus zu liegen. Im Sommer 2012 machte die Gruppe von sich reden, als sie unter dem Motto »Besatzung schmeckt bitter« einen Aufruf zum Boykott von Waren startete, die möglicherweise in besetzten Gebieten von Siedlern produziert worden sein könnten.
»Wir empfehlen, auf Lebensmittel mit der unklaren Angabe ›Made in Israel‹ zu verzichten, wenn es sich um Siedlungsprodukte handeln könnte«, erklärte Manfred Budzinski, Mitglied der Nahostkommission von Pax Christi. Der »Kaufverzicht« – das Wort Boykott vermied man, möglicherweise wegen peinlicher historischer Parallelen – soll nach der Vorstellung der Vereinigung nur ein erster Schritt sein: Ziel ist eine allgemeine, gesetzlich vorgeschriebene »Kennzeichnungspflicht« für in den besetzten Gebieten von Juden produzierte Güter, »ganz im Sinne eines kritischen Konsums«, so Budzinski.
Pax Christi gehört auch zur »Free Gaza«-Bewegung, die 2010 sechs Schiffe mit Hilfsgütern in den Gazastreifen bringen wollte. Nachdem die Boote von der israelischen Armee gestoppt wurden, verurteilte der Vorsitzende von Pax Christi, der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen, den »tödlichen Angriff« scharf und forderte »schonungslose Aufklärung«. Als die Partei Die Linke ein Jahr später entschied, sich nicht an einer zweiten Gaza-Flottille zu beteiligen – 2010 waren ihre Bundestagsabgeordneten Annette Groth, Inge Hoeger und Norman Paech mit von der Partie gewesen –, beklagte Pax-Christi-Vizepräsidentin Wiltrud Rösch-Metzler die »Anpassung an die Merkelsche Staatsräson«.
Rösch-Metzlers Brief wurde von diversen weiteren Organisationen unterzeichnet. Dazu gehörte unter anderem auch »Attac«, das sich inzwischen nach einigem Hin und Her von Boykottaufrufen eigener Gruppen distanziert hat. Auch unter den Unterzeichnern ist das »Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg«, dessen Vorsitzender Joachim Guillard 2003 zum Terror im Irak erklärt hatte: »Widerstand, auch militärische Aktionen gegen die Besatzer, ist selbstverständlich legitim. Das hat mit Terrorismus im engeren Sinne nichts zu tun.«
Ebenso wenig will der Friedensaktivist Israelboykotte als antisemitisch verstanden wissen: »Es sollte möglich sein, klarzumachen, dass sich so eine Bewegung, die sich für Boykott, Divestment und Sanktionen einsetzt, nicht gegen Juden und auch nicht gegen die israelische Bevölkerung richtet, sondern allein gegen das zionistische Regime.«
kirchentag Auch der »Deutsch-palästinensische Frauenverein« gehörte zu den Unterzeichnern. Bekannt wurde die bundesweit tätige Organisation, nachdem sie beim Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden Flyer verteilt hatte, auf denen es hieß: »Boykottiert israelische Apartheid«. Vorstandsmitglied Bianka Buddeberg, 1945 mit Mutter und Geschwistern aus Schlesien vertrieben und dadurch nach eigener Aussage sensibilisiert für die Palästina-Frage, hofft durch die Arbeit im Verein, das »tragische Schicksal des palästinensischen Volkes zu lindern«.
Aktiv in Sachen Boykott ist auch das »Institut für Palästinakunde«, ein entgegen dem hochtrabenden Titel lediglich eingetragener Verein, der von steuerlich absetzbaren Spenden lebt und laut Impressum von der Publizistin und Ethnologin Angelika Vetter geleitet wird. Im September 2012 versuchte der Verein – vergeblich –, in mehreren Offenen Briefen den Oberbürgermeister der Stadt Bonn von der Schirmherrschaft über den Israel-Tag abzubringen.
Auf seiner Webseite verlinkt das »Institut« antiisraelische Boykottaufrufe und kommt gelegentlich auch ins antizionistische Schwärmen, wenn es etwa vom Vortrag eines jungen palästinensischen Aktivisten berichtet: »Das erfrischende Engagement, die Eloquenz und die gleichzeitige ungespielte Bescheidenheit gibt Anlass zu der Hoffnung, dass es der nachwachsenden Palästinenser-Generation doch noch gelingen könnte, sich vom Joch der Besatzer zu befreien.«
Last but not least hat die Boykottbewegung, wie jede gute antizionistische Initiative, auch ihre Rennomierjuden. In Deutschland ist das ein kleiner Verein mit langem Namen. Die »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« wurde schon mit Mahnwachen vor einem Berliner Kaufhaus gesichtet, dessen Lebensmittelabteilung eine »Israel-Woche« veranstaltete. Einen spürbaren Absatzrückgang der Produkte scheint diese Aktion, wie die meisten anderen, allerdings nicht bewirkt zu haben.