Unmittelbar nach der Ermordung von zehn Ärzten in Afghanistan hatte Linken-Chefin Gesine Lötzsch das Verbrechen schon in ihr Weltbild eingepasst: »Der Tod der Mediziner« zeige »das Ausmaß der Eskalation in Afghanistan«. Die Bundeswehr müsse daher »sofort« aus dem Land abgezogen werden. Die bizarre Logik folgt der Prämisse, die Lötzsch und Genossen der deutschen Öffentlichkeit einbläuen wollen: Ursache der »Eskalation« sei die westliche Intervention gegen das grausame Regiment der Taliban, nicht etwa dessen Grausamkeit selbst. Suggeriert wird, der Westen habe die mörderische Gewalt in Afghanistan ausgelöst.
Zynismus Diese orwellianische Verkehrung der Realität in alter SED-Propagandamanier beginnt Wirkung zu zeigen. Da wird etwa in öffentlich-rechtlichen Medien gerätselt, ob das jüngste Massaker an Wehrlosen überhaupt von Taliban begangen worden sein kann. Dass die Opfer ausgeraubt wurden, deute doch eher auf die Tat »Krimineller« hin. Als handele es sich bei den Taliban, die sich durch Drogenhandel und Schutzgelderpressung finanzieren, um einen idealistischen Bund Edler Wilder. Das Schönfärben der Motive der Taliban nimmt in dem Maße zu, wie sich die deutsche Öffentlichkeit für die bevorstehende Auslieferung der Afghanen an ihre Peiniger ein gutes Gewissen machen will. Neue Gipfel des Zynismus erklomm dabei Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin: Direkt nach der Ermordung der Ärzte und kurz vor der bestialischen Hinrichtung einer schwangeren Frau durch die Taliban forderte er deren »Beteiligung an der Macht«.
Kein Wunder übrigens, dass gerade Israel bei deutschen Friedensstrategen zunehmend Unwillen erregt. Will es doch partout nicht daran glauben, terroristische Verbrecher ließen sich per Umarmung besänftigen. Es wirkt so als böser Spielverderber im großen Illusionstheater des Rückzugs.
Der Autor ist Politischer Korrespondent der »Welt« und der »Welt am Sonntag«.