Gesellschaft

Die Bedrohung

Foto: REUTERS

Das Entsetzen über den Sturm auf das Kapitol in Washington ist groß. Auch mehr als eine Woche danach stellt sich die Frage: Wenn das Land mit der ältesten Demokratie der Welt so tief sinken kann, wie steht es dann um unsere Gesellschaft?

Die gute Nachricht zuerst: Einige Merkmale des politischen Systems in Deutschland sind per se weniger förderlich, eine extreme Polarisierung – wie in den USA geschehen – entstehen zu lassen. Das gilt insbesondere für die beiden großen Volksparteien, die sich aus amerikanischer Perspektive immer etwas zu nüchtern und zu kooperativ geben. Zudem erschwert das Vielparteiensystem einen Entwurf im Sinne von »konservativ« versus »progressiv«, der die moderaten Kräfte auf beiden Seiten zu den Extremen drängt und die anderen außen vorlässt.

redefreiheit Entscheidend ist aber, dass die weniger kategorische Auffassung von Redefreiheit in Deutschland die Möglichkeit bietet, Reden, Versammlungen und Organisationen extremistischer Prägung zu verbieten.

Selbst wenn es den Rechtspopulisten noch nicht gelungen ist, eine große Volkspartei zu übernehmen, so sind die Vorsitzenden der AfD zweifelsohne ein Spiegelbild von Donald Trump.

Doch auch hier finden antidemokratische Verschwörungstheoretiker Gehör. Und selbst, wenn es den Rechtspopulisten noch nicht gelungen ist, eine große Volkspartei zu übernehmen, so sind die Vorsitzenden der AfD zweifelsohne ein Spiegelbild von Donald Trump. Sie versammeln einen ähnlichen Mob hinter sich. Und sie sind keine zu unterschätzende Kraft.
Betrachten wir die deutsche Medienlandschaft, lässt sich feststellen, dass sie zwar weniger gespalten und polarisiert ist als die amerikanische.

Aber auch bei uns nehmen die Verschwörungsmythen rund um eine sogenannte Lügenpresse zu. 31 bis 32 Prozent der Deutschen stellen die Medien infrage, wenn es beispielsweise um kontroverse Themen wie den Islam oder die AfD geht. In den USA trauen 33 Prozent der Bürger den Medien »überhaupt nicht«, wie eine jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts »Gallup« ergab.

QAnon Deutschland hat nach den USA die meisten Anhänger der QAnon-Gruppe in der nichtenglischsprachigen Welt. Das scheint schon sehr bizarr, wenn man bedenkt, wie unpopulär Donald Trump und wie beliebt Angela Merkel ist. Aber QAnons Dämonisierung der liberalen – sprich amerikanisch-jüdischen – Eliten oder der Kindermord-Mythos, der den Ritualmordlegenden des Mittelalters ähnelt, schwören antisemitische Tropen herauf, die auch in der extremen Rechten in Deutschland tief verwurzelt sind.

Zahlreiche QAnon-Symbole waren beim Sturm auf das Kapitol zu sehen. Auf der Facebook-Seite der NPD gab es für den Mob offene Anerkennung. »Respekt und Hochachtung an die TRUMP-Anhänger!«, hieß es da. Wir wissen, dass die extreme Rechte in Deutschland wächst und bereit ist, sogar Gewalt anzuwenden – auch gegen Politiker und die Symbole der Demokratie.

Auch hierzulande finden antidemokratische Verschwörungstheoretiker Gehör.

Ob so etwas wie der Sturm auf das Kapitol auch hierzulande passieren könnte, darüber müssen wir eigentlich nicht lange spekulieren. Eine ähnliche Aktion wurde bereits im August vergangenen Jahres von Teilnehmern einer Anti-Corona-Demons­tration in Berlin initiiert. Die Tatsache, dass der Versuch, in den Reichstag zu gelangen, von drei Polizisten vereitelt wurde, sollte keine Zuversicht erzeugen.

blindheit Es wird geraume Zeit dauern, bevor man versteht, was genau am 6. Januar in Washington falsch gelaufen ist. Aber ein Teil des Problems war sicherlich die systematische Unterschätzung der Bedrohung von rechts. Seit dem NSU wissen wir – und werden durch andere Vorkommnisse immer wieder daran erinnert –, dass es auch bei deutschen Sicherheitsbehörden eine gewisse Blindheit auf dem rechten Auge gibt und, ja, sogar eine gewisse Nähe einiger Beamter in den Sicherheitsbehörden zu Gruppen und Denkmustern der extremen Rechten.

Die Grenze von einem konservativen Verständnis von Recht und Ordnung zu Autoritarismus ist fließend. Politisches Chaos und Gewalt verstärken nur die öffentliche Angst und bekräftigen den Ruf nach ebendieser strikten Politik von Recht und Ordnung. Eine Spirale, die gefährlich vorteilhaft für die autoritären Kräfte und gefährlich schwächend für die demokratischen Kräfte sein kann. Das hat uns die Weimarer Republik gelehrt. Deutsche Demokraten täten gut daran, sich daran zu erinnern.

Die Grenze von einem konservativen Verständnis von Recht und Ordnung zu Autoritarismus ist fließend.

Dass die Republikaner Trump unterstützt haben, hat ihnen genau die Steuersenkungen und konservativen Richter eingebracht, die sie gefordert haben. Aber als sich ein Mob den verschlossenen Türen des Senats und des Repräsentantenhauses entgegenstemmte, haben sich vielleicht einige – hoffentlich viele – gefragt, ob es das wert war. Manch einer hat seine Unterstützung für Trumps unbegründete Behauptungen des Wahlbetrugs widerrufen.

Markus Söder twitterte am vergangenen Freitag: »Dauerhafte Lügen führen in eine gefährliche Scheinwelt. Was in den USA stattfand, ist nicht weit weg. Wir müssen unsere Demokratie schützen.« Diese Beobachtung ist richtig. Richtig ist aber auch, dass vor allem die konservativen Kräfte eine besondere Verantwortung tragen, sich rechtsgerichteten Verschwörungsmythen und -botschaften entgegenzustellen. Und sie müssen vermeiden, den Ärger und die Ängste der Wähler zu verschärfen, um politisch zu punkten.

Die Autorin ist Redaktionsleiterin beim German Marshall Fund.

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