Herr Minister, Sie erhalten heute den Leo-Baeck-Preis 2022. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Es ist eine große Ehre, auch, weil ich keine herkömmliche Perspektive einbringe. Deshalb verstehe ich die Auszeichnung auch als Auftrag, mich weiterhin für die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland einzusetzen und mich konsequent gegen Antisemitismus zu stellen, egal aus welcher Ecke er kommt. Wer in Deutschland lebt und Teil dieser Gesellschaft ist, muss sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinandersetzen – wie es Bundespräsident von Weizsäcker gesagt hat: nicht im Sinne von Schuld, sondern von Verantwortung. Dabei spielt es keine Rolle, woher die eigenen Vorfahren stammen.
Mit dem Preis wird Ihr Engagement »für ein liberales und aufgeklärtes Deutschland« gewürdigt. Was motiviert Sie für dieses Engagement?
Nichts ist selbstverständlich, die Demokratie schon gar nicht. Wir müssen sie verteidigen, damit auch die Generation unserer Kinder in einer offenen Gesellschaft leben kann. Entscheidungen, die wir heute treffen, verändern den Planeten für viele Jahrzehnte. Das gilt aber nicht nur für die Klimakrise, sondern auch für das gesellschaftliche Miteinander.
Was meinen Sie konkret, wenn Sie sagen, dass es mehr Härte und Klarheit gegen jede Art von Antisemitismus braucht?
Wer sagt, dass Antisemitismus keinen Platz in unserer Gesellschaft haben darf, muss dem auch Taten folgen lassen. Das betrifft dann beispielsweise auch unsere Schulen und Eltern, denn kein Kind wird als Rassist und Antisemit geboren. Es sollte nicht das jüdische Kind die Schule wechseln müssen, sondern diejenigen, die Antisemitismus verbreiten. Wenn sich Kinder trauen, auf einem Foto mit der Bundesinnenministerin Zeichen von Verbrecherbanden und Terroristen zu zeigen, muss das ein Nachspiel haben, das sich herumspricht.
Der Preis würdigt darüber hinaus Ihr klares Einstehen für den Staat Israel. Ist diese Haltung in Ihrer Partei mehrheitsfähig?
Die Sicherheit Israels gehört unverhandelbar zur deutschen Staatsräson – wir sind da als Partei geschlossen und sehr klar. Wer das als Grüner anders sehen sollte, hat sich jedenfalls verirrt.
Sie setzen sich für einen säkularen Islam ein und erhalten jetzt die Auszeichnung des Zentralrats der Juden auch für Ihr Bekenntnis zur freien Religionsausübung. Wie viel Religion braucht unsere Gesellschaft?
Sie braucht Religion und Religionskritik. Mir ist wichtig, dass alle Menschen, ob religiös oder nicht, mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Die Zehenspitzen reichen nicht. Daher braucht es mehr Klarheit im Umgang mit den muslimischen Dachverbänden und weniger parteiübergreifende paternalistische Naivität, die mich unglaublich ärgert.
Mit dem Minister für Ernährung und Landwirtschaft sprach Detlef David Kauschke.