Deborah Lipstadt

Die Aufklärerin

Deborah Lipstadt (68) nahm in Berlin an der Tagung des Netzwerkes zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus (NEBA) teil. Foto: Gregor Zielke

Adolf Hitler war der beste Freund der Juden. Die Gaskammern von Auschwitz sind Attrappen für Touristen. Die USA hatten die Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg. Es sind unerträgliche Aussagen wie diese, die zum Kern von Holocaustleugnung gehören – seit mehr als 20 Jahren das Forschungsfeld der US-Historikerin Deborah Lipstadt. Man kann sich kaum vorstellen, welche kruden Thesen ihr im Lauf ihrer wissenschaftlichen Karriere begegnet sind.

So verwundert es wenig, dass ihr Schritt schleppend ist, als sie zum Gespräch in der Lobby eines Berliner Hotels erscheint. Doch der Schein trügt: Lipstadt trägt nicht etwa schwer am Gewicht ihrer Forschung. Sie hat sich am Fuß verletzt. »Ich bin heute leider nicht so beweglich«, entschuldigt sie sich lachend und streckt den in bunt geringelten Socken steckenden Knöchel empor, den eine Schiene stützt.

Vernunft Die 68-Jährige ist wegen der NEBA-Konferenz gegen Antisemitismus in der Stadt, sie musste nicht lange überlegen, ob sie die Einladung zu der Veranstaltung annimmt. »Es gab so viele Diskussionen über Antisemitismus, dass jede Gelegenheit, bei der vernünftige Wissenschaftler, Experten und NGOs zusammenkommen, gut ist.« »Vernünftig« ist ihr wichtig: Die Diskussion über Judenhass müsse sachlich und rational geführt werden. »Das erlaubt, einen Schritt zurückzutreten und mit Distanz auf das Problem zu schauen«, betont die Historikerin.

Angesichts antisemitischer Parolen wie die während der Demonstrationen zum Gaza-Krieg im vergangenen Jahr oder der Attentate in Paris und Brüssel herrsche Angst in Teilen der jüdischen Welt. »Darauf reagiert man mit Emotionen und diese führen nicht unbedingt zu den besten Entscheidungen«, weiß Lipstadt. Stattdessen solle man lieber die Energie auf rationale Lösungen verwenden.

Wenn die Geschichtswissenschaftlerin mit ihrer sonoren Stimme über die Wichtigkeit von Rationalität spricht, kann man sie sich gut im Hörsaal vorstellen: Seit 1993 ist sie Professorin für Moderne Jüdische Geschichte und Holocauststudien an der Emory University in Atlanta. Ihre Bücher, darunter Werke über den Eichmann-Prozess oder die Ignoranz US-amerikanischer Medien während des Zweiten Weltkriegs, erregten international Aufmerksamkeit.

Vor allem aber ist Lipstadt wegen ihres Buches Denying the Holocaust von 1993 und des folgenden Prozesses bekannt: Der notorische Holocaustleugner David Irving hatte sie und den Verlag nach dem Erscheinen wegen Beleidigung, übler Nachrede und Geschäftsschädigung verklagt. Vier Jahre sollte das Verfahren dauern, bei dem die Beweislast aufgrund des englischen Rechtssystems bei Lipstadt und ihrem Team aus Anwälten lag. Sie mussten belegen, dass Irving ein Bewunderer Hitlers und Sprachrohr der Holocaustleugner ist.

Klage Wenn Lipstadt über den Prozess spricht, wird ihre Stimme noch eindringlicher, als sie es ohnehin ist: »Wir haben im Verfahren nicht bewiesen, dass der Holocaust stattfand, sondern dessen Leugner widerlegt.« Nicht der Holocaust habe vor Gericht gestanden, sondern Geschichte: »Das ist ein wichtiger Unterschied.« Am 15. März 2000 fiel schließlich das Urteil: Irvings Klage wurde abgewiesen und Lipstadt in allen wesentlichen Punkten recht gegeben.

Noch heute ist der Historikerin die Freude über den klaren Rechtsspruch anzusehen – nicht etwa aus persönlicher Genugtuung, sondern angesichts dessen, was der Prozess bewirkt hat. »Er zog den Hardcore-Leugnern den Boden unter den Füßen weg.« Zudem hätten sie und ihre Anwälte die Fußnoten der Holocaustleugnung bis zu ihren Quellen zurückverfolgt und nachgewiesen, dass sich die Geschichtsklitterer ständig gegenseitig zitieren.

Geistiger Bankrott Das Verfahren habe den »völligen geistigen Bankrott« dieser Szene belegt und deren Lügen aufgedeckt. »Und es hat gezeigt, dass manchmal Dinge einfach wahr oder falsch sind – nicht alles ist relativ«, betont sie. Die Erinnerung an jene Zeit führt zu einem der wenigen Momente, in denen Lipstadt einen Einblick in ihre Gefühlswelt gibt: Der Prozess habe nicht nur Jahre ihrer akademischen Karriere gekostet, sondern auch ihre sozialen Beziehungen zu Freunden und Familie stark in Mitleidenschaft gezogen, weil sie ständig vor Ort sein musste.

Genauer geht sie nicht darauf ein, doch es gibt ein Foto vom Tag der Urteilsverkündung, das Lipstadt mit Daumen-Hoch-Geste und müden Augen vor dem Gerichtsgebäude zeigt, die Wangen gebläht, mit fest aufeinander gepressten Lippen, als müsse sie das erleichterte Aufatmen vor den Kameras der Weltpresse zurückhalten.

Wie wichtig jener Moment noch heute für sie ist, zeigt nicht zuletzt ihr Twitter-Account: In der Profil-Info zu ihrem Kanal verlinkt sie zu ihrer Webseite über das Verfahren und nicht etwa zu ihrer akademischen Homepage bei der Universität.

Die Erinnerung an den Prozess wird nun noch einmal zunehmen, denn Hollywood hat sich des Stoffs angenommen: Oscar-Gewinnerin Hilary Swank wird die Rolle Lipstadts übernehmen, bereits im Herbst diesen Jahren sollen die Dreharbeiten beginnen. »Schon vor der Verhandlung sagten Freunde aus der Filmbranche zu mir, dass daraus mal ein Film werden sollte, was ich für albern hielt – dass das jetzt wirklich passiert, ist einfach fantastisch«, erzählt Lipstadt mit breitem Lächeln.

Drehbuch Ein wenig ungläubig scheint sie immer noch, wenn sie die prominenten Namen aufzählt, die an der Produktion beteiligt sind. »Ich finde es verwirrend, dass ich mit meinem Abschluss in Geschichte von einer der besten Schauspielerinnen der Welt gespielt werde.«

Überraschend groß sei zudem ihr Einfluss auf das Drehbuch gewesen: David Hare, der auch die Drehbücher zu Bernhard Schlinks Romanverfilmung Der Vorleser und The Hours schrieb, habe sie oft nach ihrer Meinung gefragt. Lipstadt freut sich auf das Ergebnis: »Ich bin mir sicher, dass es bei dem Level an Talent ein guter Film wird.« Vor allem aber hoffe sie, dass die Geschichte auf diese Weise noch mehr Menschen bekannt wird.

Dass sie überhaupt anfing, sich wissenschaftlich mit Holocaustleugnung zu beschäftigen, ist nach Lipstadts Ansicht ein glücklicher Zufall: So verbrachte sie Ende der 60er-Jahre ein Studienjahr in Israel, wo sie sich unter anderem mit dem Historiker Yehuda Bauer traf. »Er meinte, ich solle mich auf die Holocaustleugnung konzentrieren«, erinnert sie sich. Damals glaubte sie noch, ein Forschungsfeld für etwa zwei Jahre gefunden zu haben – es sollte zur Lebensaufgabe werden.

Ein familiäres Motiv für ihre Arbeit habe sie nicht, sagt Lipstadt. »Mein Vater ist zwar aus Deutschland, kam aber schon in den 20er-Jahren in die USA. Ich stamme also nicht aus einer Familien von Schoa-Überlebenden.« Der Holocaust sei eher ein prägendes Element des 20. Jahrhunderts, über das sie einfach mehr wissen wollte.

Hardcore-Leugnung Heute gilt Lipstadt als eine der führenden Expertinnen für die Leugnung der Nazi-Verbrechen. Doch so wichtig der Prozess gegen David Irving für sie auch war, warnt sie mittlerweile vor einer anderen Form der Holocaustleugnung als der »Hardcore-Variante« des Briten.

Sie beobachte inzwischen »vor allem die Softcore-Leugnung«. Die Anklänge an die Sprache der Pornografie, die sie mit diesen Begrifflichkeiten schafft, sind gewollt: »Leugnung ist die Pornografie der Geschichte«, sagt sie. Dabei meint sie mit »Softcore« die Trivialisierung der Judenvernichtung, indem alles als Holocaust bezeichnet werde.

Ebenso fällt für sie der Vorwurf darunter, die Juden würden ihre »Opferrolle« ausnutzen, oder die Inversion, wenn Israelis die »Nazis des Nahen Ostens« genannt werden. »Man kann die israelische Palästinenser-Politik kritisieren, aber diese Benennung verharmlost die Taten der Nazis.« Gerade im Zuge der wachsenden Beliebtheit von Verschwörungstheorien im Internet gewinne jene Form der Holocaustleugnung mehr an Bedeutung.

Und dennoch ist sie keine Befürworterin von Gesetzen, die derartige Aussagen unter Strafe stellen. »Das mag angesichts meines Forschungsgegenstands überraschen, aber ich glaube an die Redefreiheit«, erklärt Lipstadt. Diese gebe jedem das Recht, einen Idioten aus sich zu machen. Dennoch verstehe sie, dass es in Deutschland und Österreich aufgrund deren Geschichte entsprechende Gesetze gebe. »Hätte aber Großbritannien auch einen solchen Paragrafen gehabt, hätte mein Prozess nie stattgefunden«, weiß sie heute. Schließlich habe er doch Gutes bewirkt, »nicht nur den kommenden Film«, sagt sie und lacht.

optimistin Überhaupt beweist die Historikerin immer wieder einen äußerst trockenen Humor. Einige ihrer Artikel zum Thema Antisemitismus beginnen zunächst mit einem Witz. So verwundert es nicht, dass sie sich selbst als Optimistin bezeichnet. »Mich motiviert das Gefühl, etwas zu tun, das zählt und Bedeutung hat«, beschreibt sie die Motivation zu ihrer Arbeit – in der sie sich als Nächstes mit dem wachsenden Antisemitismus in Europa beschäftigen will.

Seine Ursachen und Ausprägungen sollen im Mittelpunkt ihres nächsten Buches stehen. Dafür plant sie eine große »Hör-Reise« durch verschiedene Länder. »Ich bin eine gute Zuhörerin und will von den Menschen erfahren, wie schlimm es wirklich steht.« Sie will sich mit Vertretern von Organisationen und Universitäten treffen und dabei sowohl mit Juden als auch Nichtjuden sprechen.

Gradmesser Obwohl sie mehrfach betont, dass die Situation jetzt eine ganz andere als 1939 sei, habe sie ein ungutes Bauchgefühl: »Meine Hypothese ist, dass Juden so etwas wie der Gradmesser einer Gesellschaft sind: Wer sie angreift, greift alle demokratischen und multikulturellen Werte an.« Jeder, der denke, dass Antisemitismus ein rein jüdisches Problem sei, lebe im »Lala-Land«.

Mit dem neuen Buch wird Lipstadt ihr gewohntes Terrain verlassen: »Wenn man über Nazis schreibt, dann kennt man das Ende: Es gibt sie nicht mehr«, sagt sie. Bei Holocaustleugnung sei das anders und bei aktuellem Antisemitismus erst recht: »Es ist ein schreckliches Thema und es ist eben nicht Geschichte, sondern etwas Aktuelles«. Sie, die die Rationalität ihres Faches so sehr schätzt und vor Emotionen warnt, scheint besorgt: »Die Arbeit daran wird hart werden.«

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