In Toulouse, der sonst so beschaulichen Stadt im Südwesten Frankreichs, spielen sich am frühen Montagmorgen grausige Szenen ab. Gegen acht Uhr nähert sich ein Mann auf einem Motorroller der örtlichen jüdischen Schule. Er parkt in aller Ruhe sein Gefährt am Straßenrand und steuert auf den Schulhof zu. Seinen Helm mit getöntem Visier behält er dabei an. Er zieht eine 9-Millimeter-Pistole und schießt auf den Rabbiner Yonatan Sandler (30) sowie dessen Söhne Aryeh (3) und Gavriel (6), die etwas abseits der Menge stehen.
Unter den rund 200 vor dem Gebäude versammelten Schülern bricht Panik aus, als der Unbekannte um sich schießend weiter in den Schulhof vordringt. Einige können sich in die angrenzende Synagoge flüchten. Andere werden im Kugelhagel verletzt, ein 17-Jähriger schwer.
kopfschuss Als seine Waffe plötzlich blockiert, steckt der Täter sie ganz ruhig zurück in seinen Gürtel. Dann zieht er ein Mädchen an den Haaren zu sich heran, nimmt eine zweite Pistole und streckt das Kind mit einem Kopfschuss nieder. Es ist die achtjährige Myriam Monsonego, die Tochter des Schuldirektors. Der Unbekannte kehrt um und rast auf seinem Roller davon. Zurück bleiben zutiefst traumatisierte Kinder und Lehrer, die von den herbeigerufenen Notärzten versorgt werden.
Umgehend startete die Polizei eine groß angelegte Suchaktion. Bereits Tage zuvor waren Spezialkräfte auf den Mann angesetzt: Er soll auch die tödlichen Anschläge auf drei Fallschirmjäger in Toulouse und im 50 Kilometer entfernten Montabaun letzte Woche verübt haben. Die Ermittler befürchten, dass weitere Attentate folgen könnten.
Denn alle drei ereigneten sich mit einem zeitlichen Abstand von vier Tagen und weisen starke Parallelen auf: Der Mann habe jedes Mal einen gestohlenen Yamaha-Motorroller sowie Schusswaffen des gleichen Typs benutzt. Außerdem soll er bei dem letzten Attentat eine Kamera um den Hals getragen haben. Augenzeugen beschreiben ihn als mittelgroßen athletischen Mann, der während der Tat seinen Helm anbehält und beim Schießen sehr zielsicher ist.
Für die jüdische Gemeinschaft in Frankreich ist der Mordanschlag ein neuer, trauriger Beweis dafür, dass antisemitische Gewalt eine anhaltende Bedrohung darstellt, gegen die es keinen absoluten Schutz geben kann. Frankreichs Oberrabbiner Gilles Bernheim sagte der Tageszeitung Le Monde: »Ich bin entsetzt und in meinem Körper und meiner Seele verletzt.«
Nicole Yardeni, die Präsidentin des Dachverbandes CRIF der Region Midi-Pyréenees, konnte – nachdem sie sich das Video der Überwachungskamera, das die Morde zeigt, angesehen hatte – ihre Trauer nur schwer in Worte fassen. Mit brüchiger Stimme berichtete sie, wie fassungslos sie sah, wie der Attentäter sich das Mädchen gegriffen habe – »wie jemand, der Tiere abschlachtet«.
wahlkampf Auf politischer Seite war die Betroffenheit ebenfalls groß. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Attentats stellten die Präsidentschaftskandidaten den Wahlkampf ein. Präsident Nicolas Sarkozy traf bereits gegen Mittag am Tatort ein und sprach von einer »nationalen Tragödie«.
Sein Herausforderer François Hollande von der Sozialistischen Partei nannte das Ereignis »ein schreckliches Drama und eine Schande« und fügte hinzu: »Es ist ganz Frankreich und die ganze Republik, die getroffen wurde.« Mit Gebeten und Gedenkmärschen haben Tausende Menschen noch am selben Tag der Opfer gedacht. Am Dienstag um 11 Uhr wurde an allen französischen Schulen eine Schweigeminute eingelegt.
Eine Stunde später wurden die Leichen der Opfer auf Wunsch der Angehörigen vom Flughafen Charles-de-Gaulle nach Israel überführt. Am Mittwochvormittag wurden sie auf dem Har Hamenuchot in Jerusalem beigesetzt.
Zur gleichen Zeit belagerte die französische Polizei in Toulouse das Haus, in dem sich der 24-jährige mutmaßliche Attentäter Mohammed Merah verschanzt hatte. Bis Donnerstag dauerte der Nervenkrieg an. Als die Polizei am Vormittag die Wohnung stürmte, starb der Mann bei einem Feuerfecht.