Es ist ein absurdes Bild, das sich den Spaziergängern an diesem Samstag auf dem Frankfurter Rebstockgelände bietet. Mitten in der Ödnis am Rande der Großstadt, eingezwängt zwischen Autobahn und weiträumigem Park, ist eine Art Koppel entstanden. Die Polizei hat ein mehrere Hundert Quadratmeter großes Feld abgesperrt. Penibel wird jeder durchsucht, der in diesen »Käfig« hineinmöchte.
disko An den Zugangspunkten bilden sich Schlangen. Männer unterschiedlichsten Alters stehen an. Einige modisch gekleidet, mit Ed-Hardy-T-Shirts und Gelfrisuren, andere im Kaftan. Auch etliche Frauen wollen zu der Veranstaltung. Viele sehen aus, als wären sie auf dem Weg in die Disko, andere sind voll verschleiert.
Etwa 450 Zuhörer haben den Weg zum Rebstockgelände gefunden. Vorne auf dem Kleinlaster, dessen Transportfläche als Bühne dient, berichtet ein junger Mann mit rührseliger Stimme von seiner Konversion zum Islam. Sven Lau alias Abu Adam hat ein jungenhaftes Gesicht, das von einem unregelmäßigen Bart eingerahmt wird. »Früher habe ich mich beim Gebet hinter der Maschine versteckt«, sagt Lau. Doch jetzt will er sich nicht mehr verstecken. Seine Zuhörer auch nicht. Immer wieder schallt der lautstarke Ruf »Allahu Akbar« über das Rebstockgelände.
Künstlername Sven Lau ist ein guter Anheizer, sozusagen die Vorband, die sein Verein »Einladung ins Paradies« an diesem Samstag ins Rennen schickt. Der Hauptakt des Abends steht zu diesem Zeitpunkt links neben der Bühne, in einem Pulk von Reportern, und beantwortet geduldig mit einem Grinsen auf den Lippen Fragen zu seinem bevorstehenden Auftritt.
Pierre Vogel macht einen lockeren Eindruck. Seit dem Ende seiner Karriere als Profiboxer hat der Rheinländer an Gewicht zugelegt. Mit der inzwischen zum Markenzeichen avancierten Häkelmütze erinnert er rein äußerlich ein wenig an den Musiker DJ Ötzi, nur, dass Vogels Kinnbart deutlich länger ist. Und dass er einen ganz anderen »Künstlernamen« trägt: Abu Hamza.
mekka Pierre Vogel ist Deutschlands bekanntester Konvertit und zugleich der umstrittenste. In den Medien firmiert der 32-Jährige meist nur als »Hassprediger«. Der Verfassungsschutz beobachtet ihn. Knapp zehn Jahre ist es her, dass sich Vogel dem fundamentalistischen Islam zugewandt und seine Boxerkarriere an den Nagel gehängt hat. Von 2004 bis 2006 studierte er an der Umm-al-Qura-Universität in Mekka.
Nach Deutschland ist er nur wieder zurückgekehrt, weil seine Tochter mit einem Herzfehler geboren wurde. Seitdem ist er für den salafistischen Verein »Einladung zum Paradies« als Prediger tätig, hält öffentliche Vorträge über Glaubensfragen oder verbreitet seine Ansichten über Internetvideos. Als Salafist steht er für die strengstmögliche Auslegung des Korans und der Sunna. Seine Ansichten zur Rolle der Frau, die offen formulierte Ablehnung von Homosexualität oder prinzipielle Bejahung auch umstrittener Vorschriften der Scharia haben für Aufsehen gesorgt und das Interesse an seinen Predigten geweckt.
Totengebet An diesem Samstag sind es zunächst die Medienvertreter, die an Vogels Lippen hängen. In der Woche vor dem Auftritt in Frankfurt hatte sein Verein über das Internet verbreiten lassen, Abu Hamza wolle hier das islamische Totengebet für Al-Qaida-Chef Osama bin Laden sprechen. Das Ordnungsdezernat versuchte daraufhin, die Veranstaltung verbieten zu lassen.
Das Verwaltungsgericht hob das Verbot wieder auf, verwies die Salafisten aber aus der Innenstadt, wo sie sich ursprünglich versammeln wollten. »Ein strategischer Fehler« sei das gewesen, erklärt Vogel einer Reporterin lächelnd, als wäre ihm die umstrittene Ankündigung einfach so herausgerutscht. »Wir machen alle mal Fehler, oder?«
hitler Doch seine Auftritte haben nichts Zufälliges. Wenig später wird Vogel auf der Bühne erklären, dass es sein Hauptziel sei, »die Botschaft des Islam in jedes Wohnzimmer zu tragen« und dass ihm dies, angesichts der Medienpräsenz bei seinem Auftritt, offenbar auch gelinge. Die Provokation einige Tage zuvor hat Früchte getragen, auch wenn ihm das Verwaltungsgericht untersagt hat, über bin Laden und sein Wirken zu sprechen. Den Skandal hat Vogel einkalkuliert. Zweieinhalb Wochen vorher hatte er sich Hitlers Geburtstag für eine Predigt zum Thema »Rassismus« ausgesucht. Damals durfte er in die Innenstadt. Und rund 1.500 Muslime aus dem Rhein-Main-Gebiet folgten seinem Ruf.
Auch, dass der Prediger binnen weniger Wochen zwei Mal in Frankfurt auftrat, ist alles andere als ein Zufall. Ähnlich wie im Rest der Republik wird auch hier seit Jahren eine verbissene Integrationsdebatte geführt, in deren Zentrum die muslimischen Einwanderer stehen. Der Konflikt um den Bau einer Großmoschee im Stadtteil Hausen hat seinerzeit die Lokalpolitik bewegt, insbesondere, nachdem der designierte Vorbeter der Gemeinde auf antiisraelischen Demonstrationen gesichtet wurde.
In den letzten Monaten stand zudem die ebenfalls salafistische Dawa-Gruppe um den fundamentalistischen Prediger Sheikh Abdellatif im Fokus der Öffentlichkeit, vor allem, weil sich der Frankfurter Flughafenattentäter Arid U., der Anfang März zwei US-Soldaten am Rhein-Main-Airport erschoss, für deren Internetvideos interessierte. Eine Gemengelage, in der den schrillen Stimmen immer mehr Gehör geschenkt wird. Vogel möchte in diesem Konzert mitspielen.
fundamentalist »Ich bin ein islamischer Fundamentalist, und das ist auch gut so«, verkündet der Mann mit der Häkelmütze seinem Publikum. Wie zur Bestätigung erschallt erneut das »Allahu Akbar«. Fast zwei Stunden lang referiert der Promi-Konvertit über den Standpunkt des Islam zu Terrorismus. Daran, dass seine Religion Terrorismus verbietet, will er keinen Zweifel lassen. Er zitiert den Koran, beruft sich auf Fatwas arabischer Rechtsgelehrter und Hadithe des Propheten Mohammed. Dazwischen schweift er ab, erläutert scheinbar aus dem Stegreif seine Absicht, den Umweltschutz unter den Muslimen zum Thema zu machen. Er sagt das mit der gleichen Nonchalance, mit der er nur Augenblicke später »allen, die sterben, ohne den Islam angenommen zu haben« das ewige Höllenfeuer prophezeit.
Man wird an diesem Abend aus Pierre Vogels Mund keinen Aufruf zur Gewalt vernehmen. Mehr als ein dutzend Mal wird er betonen, dass es aus Sicht des Korans keine Rechtfertigung für das Töten von Zivilisten gibt. Auch über Juden und Christen verliert er kein schlechtes Wort, selbst wenn sie sich, wie er ab und an betont, auf einem Irrweg befinden würden.
»Wischiwaschi-Muslim« Wenn der Prediger eine Attacke reitet, richtet sie sich gegen jene, die eine vermittelnde Haltung einnehmen. Von einem »Dialüg der Religionen« ist dann die Rede, welcher die Unterschiede der einzelnen Glaubensbekenntnisse verwischen wolle, von »Weihnachts- baum-Muslimen«, die die Grundsätze ihrer eigenen Religion verrieten. Es ist eine merkwürdig vertraute Wortwahl, eine, die stark an die rhetorischen Bilder des in Europa grassierenden Rechtspopulismus erinnert.
Wo die Wilders und Sarrazins von »Gutmenschen«, »Multikulti-Anhängern« und »Kulturbereicherern« sprechen, greift Vogel zum »Wischiwaschi-Muslim«. Wo die Rechtspopulisten unantastbare »christlich-abendländische Werte« ins Feld führen, geht es Vogel um die »Reinheit des Islams«. Das Feindbild ist dasselbe: dialogbereite Vertreter der Moderne. Jedwede Form von Relativismus stellt für beide Lager bereits einen Abfall vom Glauben dar. Vogels Argumentation etwa beschränkt sich ausschließlich auf das Zitieren seiner islamischen Quellen. Einen rationalen Diskurs über Sinn und Zweck dieser Vorschriften deutet der Übergetretene nicht einmal an.
Juden Es sind vorwiegend junge Muslime, die diese Botschaft erreicht. Ein Großteil davon sieht nicht so aus, als wäre die Scharia der Leitfaden ihres Lebens. Pierre Vogel sei ein cooler Typ, ist dennoch ein Satz, den man an diesem Samstag ziemlich häufig hört. Ebenso wie das immer wiederkehrende Lamento über die vermeintliche Unterdrückung des Islam. Vogel, der sich öfter in die Rolle des Opfers begibt, dem Medien und Politiker gerne den Stempel des Terroristen aufdrücken möchten, bestärkt sie in dieser Wahrnehmung: »Wir haben eine Situation in Deutschland, in der die Menschen dem Islam nicht neutral gegenüberstehen.« Bei anderer Gelegenheit hat er die heutige Lage der Muslime in Europa mit der der Juden im Dritten Reich verglichen. Und auf der von seinem Verein betriebenen Website »Muslime gegen Rechts« ist gar von einem drohenden Holocaust die Rede.
An diesem Samstag predigt Vogel keinen Hass. Aber er vermittelt wie immer seinen Zuhörern das Gefühl, um eine Anerkennung gebracht worden zu sein, eine, die ihnen als Anhänger der »einzig wahren Religion« zustehen würde. »Wir bekämpfen nur die, die uns angreifen«, sagt er über den Dschihad, wobei er sich direkt auf den Propheten Mohammed bezieht. Wo ein solcher Angriff anfängt, wer der »Feind« im Fall der Fälle ist, lässt er offen. Er legt »nur« den Grundstein für eine weitergehende Radikalisierung. Auch in diesem Sinne ist Pierre Vogel ein echter Fundamentalist.