Als ich vor drei Jahren öffentlich davor warnte, als Jude in bestimmten Großstadtvierteln mit Kippa herumzulaufen, löste dies Erstaunen und Entsetzen aus. Offenbar hatte bis zu meiner Bemerkung, die ich selbst eher banal fand, kaum jemand in der Mehrheitsgesellschaft den alltäglichen Antisemitismus wahrgenommen, dem viele Juden ausgesetzt sind.
Auch in den seither vergangenen drei Jahren ist es zu antisemitischen Vorfällen gekommen, über die in den Medien und sozialen Netzwerken berichtet wurde. Sie sind aber nur ein Bruchteil dessen, was Juden in Deutschland tatsächlich erleben. Ob auf dem Fußballplatz oder auf Facebook, ob in der Schule oder beim Einkaufen – Antisemitismus spielt sich häufig unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit ab und wird nicht angezeigt. Verletzend und verstörend ist er immer.
warnung Ich bedauere es zutiefst, dass sich meine Warnung erst jüngst durch den antisemitischen Angriff in Prenzlauer Berg als berechtigt erwiesen hat. Viel lieber wäre es mir, wenn ich dauernd widerlegt würde.
Dem ist nicht so. Und endlich wird dieser wuchernde Alltags-Antisemitismus auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Deutschland trägt Kippa – in mehreren Städten gab es Solidaritätskundgebungen oder wird es sie geben.
Solche Symbole sind wichtig. Sie genügen aber nicht. In der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft sollte jeder sein Verhalten im Alltag selbstkritisch hinterfragen. Wir sollten auch genau hinschauen, wer solidarisch die Kippa aufgesetzt hat – und wer nicht. Fanatisierte muslimische Jugendliche werden wir mit der Aktion ebenso wenig erreicht haben wie Neonazis. Hier sind viel mehr und nachhaltigere Maßnahmen notwendig.
Solidarität brauchen wir weiterhin. Von den Menschen, die im Café sitzen und beobachten, wie ein Jude angegriffen wird. Ob sie ihm helfen und eingreifen – das ist entscheidend. Nicht ihre Kopfbedeckung.
Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.