Herr Shalicar, Sie artikulieren in Büchern und Zeitungskommentaren regelmäßig Ihren Unmut darüber, wie in Deutschland über palästinensische Terrorangriffe berichtet wird. Woran genau nehmen Sie Anstoß?
In Deutschland versteht man leider oft nicht den Gesamtzusammenhang oder die lokalen Zusammenhänge. Wenn es zu einer Eskalation kommt, sei es mit der Hamas im Gazastreifen, dem Islamischen Dschihad oder jetzt in Dschenin, relativiert man in deutschen Medien, man blendet radikal-islamistischen beziehungsweise palästinensischen Terror komplett aus. Diese Worte werden oft nicht einmal erwähnt. Das Schlimmste ist: Man hat oft das Gefühl, dass Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird.
In deutschen Agenturberichten werden regelmäßig die Opferzahlen bei Israelis und Palästinensern verglichen. Was ist daran problematisch?
Schon seit vielen Jahrzehnten befindet sich Israel in einem Kampf gegen den Terror. Die Terroristen operieren oft in dicht besiedeltem Gebiet – und dies natürlich mit voller Absicht. Was man zudem häufig nicht versteht, ist die Tatsache, dass die Täter, die oft als minderjährige oder zivile Opfer bezeichnet werden, eigentlich palästinensische Terroristen sind, die dann auf arabischen Kanälen als Mitglieder der Hamas oder des Islamischen Dschihad gelobt und als Märtyrer gefeiert werden. In diesem Sinne ist es falsch, in einem Anti-Terror-Kampf diese Zahlen zu vergleichen. Denn wenn in Dschenin Palästinenser getötet werden, von denen viele mit Waffen unterwegs waren und auf israelische Sicherheitsbeamte geschossen haben, dann ist das etwas anderes, als wenn Terroristen einfach das Feuer auf israelische Zivilisten eröffnen und sie umbringen. Dies zu vergleichen, ist deshalb ein Problem. Deutschland ist darin leider Weltmeister.
Das Stichwort Täter-Opfer-Umkehr hatten Sie ja bereits erwähnt. Wie sieht das konkret aus?
Ursache und Wirkung werden gern vertauscht. Das beste Beispiel ist Gaza. Oft heißt es in deutschen Zeitungen: »Israel beschießt Palästinensergebiete« in großen Lettern - und im Untertitel, klein, ist dann »... als Reaktion auf Raketenbeschuss« zu lesen. Dasselbe findet nun auch in Zusammenhang mit Dschenin statt. Die dortigen Terroristen des Islamischen Dschihad und der Hamas, die vom Mullah-Regime im Iran finanziert werden, sind seit Jahren am Drücker. Ihr Ziel ist es, die »A-Gebiete« im Westjordanland zu erobern – es handelt sich um von Abu Mazen (Mahmud Abbas) kontrollierte Gebiete – und eine Art zweites Gaza zu errichten. Abbas würde damit als Erster einen hohen Preis bezahlen. Genau dagegen geht Israel seit Jahren vor.
In Gaza und im Westjordanland feierten Palästinenser den tödlichen Terroranschlag vom Dienstag dieser Woche, indem sie Süßigkeiten verteilten. Warum wird dieser Aspekt in Deutschland fast nie erwähnt?
Besonders in den öffentlich-rechtlichen Medien gibt es die Tendenz, dass bestimmte Dinge absichtlich verdreht und bestimmte Aspekte komplett ausgeblendet werden, damit das Narrativ nicht verrutscht. Wenn im Rahmen israelischer Operationen Palästinenser getötet werden, finden in Israel keine Feiern statt. Es gibt keine Israelis, die auf der Straße feiern, wenn Palästinenser - egal ob militant oder nicht militant - im Kampf umkommen. Auf der anderen Seite ist es bei den Palästinensern normal, besonders in den drei Terror-Hochburgen Dschenin, Nablus und Gaza, so gut wie immer auf offener Straße zu feiern und Süßigkeiten zu verteilen, wenn Juden ermordet wurden. Solange dies der Fall ist und Deutschland dies weder wahrnimmt noch darüber berichtet, kann man von den Israelis nicht erwarten, dass sie bei den Palästinensern auf einen Friedenskurs einschwenken. Das ist einfach nicht hinnehmbar.
Ist Unkenntnis im Spiel, wenn die Berichterstattung in Deutschland anti-israelisch ausgerichtet zu sein scheint? Oder ist dies volle Absicht?
Es ist einerseits Unkenntnis. Denn wer in Deutschland weiß schon, was in Dschenin wirklich los ist? Wer in Deutschland versteht, dass der Iran dahintersteckt? Die meisten deutschen Journalisten verstehen dies nicht – und versuchen auch nicht, es zu verstehen, weil dies alles viel komplizierter machen würde.
Ist das der einzige Grund?
Es gibt andererseits eine Art Tunnelblick, wenn es darum geht, wie man Israel gern zeigen möchte. Und diese Narrative dürfen nicht gestört werden. In meinem Buch »Der neu-deutsche Antisemit« von 2018 habe ich der verzerrten und verdrehten Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen ein ganzes Kapitel gewidmet und mit vielen Beispielen erläutert, warum dies auch dem Antisemitismus auf deutschen Straßen hilft.
Die jüngsten Ereignisse im Westjordanland sind besorgniserregend. Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie nun?
Auf der einen Seite gibt es Dschenin als zweites Gaza, eine Terror-Hochburg der Hamas und des Islamischen Dschihad, die von der Hisbollah im Libanon und dem Mullah-Regime im Iran angestachelt wird, damit dort die Kiste explodiert - mit dem Ziel, dass der Terror die »A-Gebiete« übernimmt. Weder Israel noch Abu Mazen (Mahmud Abbas) wollen jedoch, dass das System zusammenbricht. Israel muss dagegenhalten und den Terror bekämpfen. Es gibt keinen anderen Weg. Mit welcher Intensität Israel den Terror fortan bekämpfen wird, ist natürlich eine Frage, auf die ich nicht eingehen kann. Aber der Terror wird bekämpft, denn wenn Dschenin fallen würde, dann hätte das natürlich einen Einfluss auf andere palästinensische Städte, die dann auch in die Hände der Hamas, des Islamischen Dschihad und des Mullah-Regimes im Iran fallen würden.
Auch hochrangige Soldaten sagen oft hinter vorgehaltener Hand, Dschenin sei ein zweites Gaza. Was ist da dran?
Natürlich ist Dschenin von der Konstellation her ähnlich wie Gaza. Der Terror beherrscht dort die Innenstadt. Die Situation ist anders als in anderen palästinensischen Orten, denn hier gibt es ein Flüchtlingslager mitten in der Innenstadt. Das Lager ist der Kern des Problems. Obwohl die Stadt zu 100 Prozent unter palästinensischer Verwaltung steht, gibt es das Flüchtlingslager - und zwar, damit die Menschen dort ihren Hass auf Israel weiterhin ausleben können. Dschenin ist eine Art Gaza - mit dem Unterschied, dass israelische Sicherheitskräfte in Gaza nicht eingreifen können, um Terroristen zu bekämpfen. In Dschenin wird der Kampf aber weiterhin geführt werden müssen.
In deutschen Agenturberichten heißt es stets, das Westjordanland werde illegal durch Israel besetzt beziehungsweise die Siedlungen verletzten internationales Recht. Ist dies zutreffend?
Nein. Das ist Unkenntnis, die dadurch entsteht, dass man sich überhaupt nicht mit der Geschichte beschäftigt. Im Jahr 1967 hat Israel in einem Krieg das Westjordanland von Jordanien erobert - und nicht von den Palästinensern. Vor Jordanien war das Gebiet in den Händen der Briten, und davor war es Teil des Osmanischen Reiches. Das Westjordanland war nie Teil eines palästinensischen Staates. Wenn man jetzt schaut, was nach 1967 passierte, wird man wahrnehmen, dass Israel mehrmals Friedensverträge angeboten hat, um das Gebiet zumindest teilweise den Palästinensern zu übergeben, aber deren Regierung hat immer Nein gesagt. Das heißt: Es handelt sich um umstrittene Gebiete, die sowohl jüdisch als auch palästinensisch sind. Solange es keine Friedenslösung gibt, die von den Palästinensern leider immer wieder verhindert wird, werden die »A-Gebiete« palästinensisch sein, die »B-Gebiete« halbe-halbe und die »C-Gebiete« in israelischen Händen.
Mit dem Ex-Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, Politologen und deutsch-iranisch-israelischen Schriftsteller sprach Imanuel Marcus.